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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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der Etat jedes einzelnen Ministeriums aufgezählt und dann
untersucht wird, welche Früchte das Volk daraus ziehe. So
werden nacheinander das Justiz-, Finanz- und Kriegswesen
der schärfsten Kritik unterworfen. Noch grimmiger sind die
Erwägungen, welche den Posten "Civilliste" erläutern, sie
sind eine Phillippika gegen das monarchische Prinzip über-
haupt, wie jene zum Posten "Ausgaben für die Landstände"
eine Phillippika gegen das constitutionelle Prinzip. Damit
ist die Kritik alles Bestehenden beendet, seine Schädlichkeit
und Abscheulichkeit, im besten Falle seine Nutzlosigkeit nach-
gewiesen. Daran reiht sich der positive Theil der Schrift.
Aus mehreren historischen Thatsachen, der Revolution von
1789, dem Sturze Napoleons, den Pariser Julitagen, wird
der Schluß gezogen, daß die Volkskraft und der Volkswille
überall stark genug gewesen, unleidlichen Zuständen ein jähes
Ende zu machen. Auch in Deutschland werde eine Erhebung
Aller zu einer freien und menschenwürdigen Staatsordnung
führen. Dann wird die Nothwendigkeit dieser Erhebung
betont und die Macht der Regierungen als eine geringe,
leicht zu überwältigende geschildert. Die Schrift endet in
ihrer vorliegenden Form mit religiös-schwärmerischen Ver-
heißungen, bei Büchner mag sie mit einem directen Appell
zur Revolution geschlossen haben.

Wir haben dies Gerippe des Pamphlets blosgelegt,
weil es dem flüchtigen Blick durch Weidig's Zusätze oft ver-
deckt wird -- dem aufmerksamen Leser wird ohnedies sofort
die klare, strenglogische Structur ersichtlich sein. Schon diese
Eigenschaft unterscheidet den "Landboten" auf das Schärfste
von den meisten Flugschriften gleichen oder ähnlichen Inhalts.
Hier declamirt kein unklarer Fanatismus in verworrenen

der Etat jedes einzelnen Miniſteriums aufgezählt und dann
unterſucht wird, welche Früchte das Volk daraus ziehe. So
werden nacheinander das Juſtiz-, Finanz- und Kriegsweſen
der ſchärfſten Kritik unterworfen. Noch grimmiger ſind die
Erwägungen, welche den Poſten "Civilliſte" erläutern, ſie
ſind eine Phillippika gegen das monarchiſche Prinzip über-
haupt, wie jene zum Poſten "Ausgaben für die Landſtände"
eine Phillippika gegen das conſtitutionelle Prinzip. Damit
iſt die Kritik alles Beſtehenden beendet, ſeine Schädlichkeit
und Abſcheulichkeit, im beſten Falle ſeine Nutzloſigkeit nach-
gewieſen. Daran reiht ſich der poſitive Theil der Schrift.
Aus mehreren hiſtoriſchen Thatſachen, der Revolution von
1789, dem Sturze Napoleons, den Pariſer Julitagen, wird
der Schluß gezogen, daß die Volkskraft und der Volkswille
überall ſtark genug geweſen, unleidlichen Zuſtänden ein jähes
Ende zu machen. Auch in Deutſchland werde eine Erhebung
Aller zu einer freien und menſchenwürdigen Staatsordnung
führen. Dann wird die Nothwendigkeit dieſer Erhebung
betont und die Macht der Regierungen als eine geringe,
leicht zu überwältigende geſchildert. Die Schrift endet in
ihrer vorliegenden Form mit religiös-ſchwärmeriſchen Ver-
heißungen, bei Büchner mag ſie mit einem directen Appell
zur Revolution geſchloſſen haben.

Wir haben dies Gerippe des Pamphlets blosgelegt,
weil es dem flüchtigen Blick durch Weidig's Zuſätze oft ver-
deckt wird — dem aufmerkſamen Leſer wird ohnedies ſofort
die klare, ſtrenglogiſche Structur erſichtlich ſein. Schon dieſe
Eigenſchaft unterſcheidet den "Landboten" auf das Schärfſte
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[CXVI/0132] der Etat jedes einzelnen Miniſteriums aufgezählt und dann unterſucht wird, welche Früchte das Volk daraus ziehe. So werden nacheinander das Juſtiz-, Finanz- und Kriegsweſen der ſchärfſten Kritik unterworfen. Noch grimmiger ſind die Erwägungen, welche den Poſten "Civilliſte" erläutern, ſie ſind eine Phillippika gegen das monarchiſche Prinzip über- haupt, wie jene zum Poſten "Ausgaben für die Landſtände" eine Phillippika gegen das conſtitutionelle Prinzip. Damit iſt die Kritik alles Beſtehenden beendet, ſeine Schädlichkeit und Abſcheulichkeit, im beſten Falle ſeine Nutzloſigkeit nach- gewieſen. Daran reiht ſich der poſitive Theil der Schrift. Aus mehreren hiſtoriſchen Thatſachen, der Revolution von 1789, dem Sturze Napoleons, den Pariſer Julitagen, wird der Schluß gezogen, daß die Volkskraft und der Volkswille überall ſtark genug geweſen, unleidlichen Zuſtänden ein jähes Ende zu machen. Auch in Deutſchland werde eine Erhebung Aller zu einer freien und menſchenwürdigen Staatsordnung führen. Dann wird die Nothwendigkeit dieſer Erhebung betont und die Macht der Regierungen als eine geringe, leicht zu überwältigende geſchildert. Die Schrift endet in ihrer vorliegenden Form mit religiös-ſchwärmeriſchen Ver- heißungen, bei Büchner mag ſie mit einem directen Appell zur Revolution geſchloſſen haben. Wir haben dies Gerippe des Pamphlets blosgelegt, weil es dem flüchtigen Blick durch Weidig's Zuſätze oft ver- deckt wird — dem aufmerkſamen Leſer wird ohnedies ſofort die klare, ſtrenglogiſche Structur erſichtlich ſein. Schon dieſe Eigenſchaft unterſcheidet den "Landboten" auf das Schärfſte von den meiſten Flugſchriften gleichen oder ähnlichen Inhalts. Hier declamirt kein unklarer Fanatismus in verworrenen

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/132>, abgerufen am 21.11.2024.