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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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die Exemplare Nachts zwischen die Läden der Bauernhütten
schoben oder in die offenen Fenster warfen oder endlich ein-
zelne Blätter unter Couvert mit der Post versendeten. Diese
Thätigkeit wurde eifrigst und nach einem bestimmten Plane
betrieben; den einzelnen Mitgliedern waren gewisse Bezirke
und in diesen Bezirken gewisse Obliegenheiten zugewiesen.
Den Studenten Schütz und Minnigerode war, wie bereits
erwähnt, die Aufgabe zugefallen, die Exemplare aus Offen-
bach abzuholen und dann an jenen Ort zu bringen, von wo
aus die Vertheilung erfolgen sollte. In Erfüllung dieser
Mission hatten sie bereits den größten Theil der Auflage
successive nach Butzbach, Darmstadt u. a. O. gebracht und
reisten in der Nacht vom 30. zum 31. Juli von Butzbach
ab, um den Rest der Exemplare in Offenbach abzuholen
und nach Gießen zu bringen. Nachdem sie in der nächsten
Nacht die Exemplare in Offenbach erhalten, trat Minnigerode
sofort die Rückreise an, während Schütz aus zufälligen Grün-
den in Offenbach zurückblieb. Es war zu seinem Glück,
denn Minnigerode wurde, als er am 1. August, 61/2 Uhr
Abends am Thore zu Gießen erschien, verhaftet, und dann
auf seinem einspännigen Wägelchen unter großem Geleite des
neugierigen Volkes vor den Universitätsrichter geführt. Noch
ehe der Beamte -- es war dies der nachmals so berüchtigt
gewordene Rath Georgi -- eine Frage an ihn richten konnte,
erklärte Minnigerode: es sei ihm durch seine Verhaftung ein
Gang gespart worden, indem er soeben im Begriffe gewesen,
eine Anzahl Exemplare einer revolutionären Flugschrift, welche
ihm ein Meßgast in Frankfurt zur Vertheilung übergeben,
dem Kreisrath oder dem Universitätsrichter zu bringen. "Gleich-
zeitig" berichtet das Protocoll, "zog er zwischen den Bein-

die Exemplare Nachts zwiſchen die Läden der Bauernhütten
ſchoben oder in die offenen Fenſter warfen oder endlich ein-
zelne Blätter unter Couvert mit der Poſt verſendeten. Dieſe
Thätigkeit wurde eifrigſt und nach einem beſtimmten Plane
betrieben; den einzelnen Mitgliedern waren gewiſſe Bezirke
und in dieſen Bezirken gewiſſe Obliegenheiten zugewieſen.
Den Studenten Schütz und Minnigerode war, wie bereits
erwähnt, die Aufgabe zugefallen, die Exemplare aus Offen-
bach abzuholen und dann an jenen Ort zu bringen, von wo
aus die Vertheilung erfolgen ſollte. In Erfüllung dieſer
Miſſion hatten ſie bereits den größten Theil der Auflage
ſucceſſive nach Butzbach, Darmſtadt u. a. O. gebracht und
reiſten in der Nacht vom 30. zum 31. Juli von Butzbach
ab, um den Reſt der Exemplare in Offenbach abzuholen
und nach Gießen zu bringen. Nachdem ſie in der nächſten
Nacht die Exemplare in Offenbach erhalten, trat Minnigerode
ſofort die Rückreiſe an, während Schütz aus zufälligen Grün-
den in Offenbach zurückblieb. Es war zu ſeinem Glück,
denn Minnigerode wurde, als er am 1. Auguſt, 6½ Uhr
Abends am Thore zu Gießen erſchien, verhaftet, und dann
auf ſeinem einſpännigen Wägelchen unter großem Geleite des
neugierigen Volkes vor den Univerſitätsrichter geführt. Noch
ehe der Beamte — es war dies der nachmals ſo berüchtigt
gewordene Rath Georgi — eine Frage an ihn richten konnte,
erklärte Minnigerode: es ſei ihm durch ſeine Verhaftung ein
Gang geſpart worden, indem er ſoeben im Begriffe geweſen,
eine Anzahl Exemplare einer revolutionären Flugſchrift, welche
ihm ein Meßgaſt in Frankfurt zur Vertheilung übergeben,
dem Kreisrath oder dem Univerſitätsrichter zu bringen. "Gleich-
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[CXXVIII/0144] die Exemplare Nachts zwiſchen die Läden der Bauernhütten ſchoben oder in die offenen Fenſter warfen oder endlich ein- zelne Blätter unter Couvert mit der Poſt verſendeten. Dieſe Thätigkeit wurde eifrigſt und nach einem beſtimmten Plane betrieben; den einzelnen Mitgliedern waren gewiſſe Bezirke und in dieſen Bezirken gewiſſe Obliegenheiten zugewieſen. Den Studenten Schütz und Minnigerode war, wie bereits erwähnt, die Aufgabe zugefallen, die Exemplare aus Offen- bach abzuholen und dann an jenen Ort zu bringen, von wo aus die Vertheilung erfolgen ſollte. In Erfüllung dieſer Miſſion hatten ſie bereits den größten Theil der Auflage ſucceſſive nach Butzbach, Darmſtadt u. a. O. gebracht und reiſten in der Nacht vom 30. zum 31. Juli von Butzbach ab, um den Reſt der Exemplare in Offenbach abzuholen und nach Gießen zu bringen. Nachdem ſie in der nächſten Nacht die Exemplare in Offenbach erhalten, trat Minnigerode ſofort die Rückreiſe an, während Schütz aus zufälligen Grün- den in Offenbach zurückblieb. Es war zu ſeinem Glück, denn Minnigerode wurde, als er am 1. Auguſt, 6½ Uhr Abends am Thore zu Gießen erſchien, verhaftet, und dann auf ſeinem einſpännigen Wägelchen unter großem Geleite des neugierigen Volkes vor den Univerſitätsrichter geführt. Noch ehe der Beamte — es war dies der nachmals ſo berüchtigt gewordene Rath Georgi — eine Frage an ihn richten konnte, erklärte Minnigerode: es ſei ihm durch ſeine Verhaftung ein Gang geſpart worden, indem er ſoeben im Begriffe geweſen, eine Anzahl Exemplare einer revolutionären Flugſchrift, welche ihm ein Meßgaſt in Frankfurt zur Vertheilung übergeben, dem Kreisrath oder dem Univerſitätsrichter zu bringen. "Gleich- zeitig" berichtet das Protocoll, "zog er zwiſchen den Bein-

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXXVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/144>, abgerufen am 19.05.2024.