Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

die Nacht hinein an seinem Arbeitstische, hastig und heimlich
Szene um Szene seines Drama's entwerfend. "Ich schreibe
im Fieber", sagte er dann dem Bruder, "aber das schadet
dem Werke nicht -- im Gegentheil! Uebrigens habe ich
keine Wahl, ich kann mir keine Ruhe gönnen, bis ich nicht
den Danton unter der Guillotine habe und obendrein brauche
ich Geld, Geld!" Dies letztere Motiv betonte er immer
häufiger, je mehr die Arbeit vorrückte, und je näher ihm die
Gefahr kam. Denn von Mitte Februar ab brachte fast
jeder Tag eine schlimme Neuigkeit: in Gießen, Butzbach und
Darmstadt mehrten sich die Verhaftungen, auch Koch wurde
in's Gefängniß geschleppt, in dem er sein Leben beschließen
sollte. Als Büchner auf die Nachricht hievon zu einem
Freunde eilte, um nähere Erkundigungen einzuziehen, gewahrte
er, daß ihm ein Polizist auf Schritt und Tritt folgte, zwei
andere waren an den beiden Enden der Straße postirt, in
der er wohnte. "Ich bin verloren!" sagte er dem Bruder,
als er heimkehrte, brütete einige Stunden stumm und ver-
zweifelt vor sich hin, raffte sich dann jedoch gewaltsam auf.
Noch am selben Abend befestigte er mit Wilhelm's Hülfe
eine Strickleiter an der hohen Mauer des Hausgartens, um in
die benachbarten Gärten flüchten zu können, wenn die Häscher
kämen. Die nächsten drei Tage (20.-23. Febr.) verbrachte er
wieder am Schreibtisch, vollendete den Entwurf des Drama's,
feilte es durch und schrieb es in's Reine. "Ich hätte sonst
Wochen daran gewendet", sagte er dem Bruder, "aber nun
ist keine Zeit mehr zu verlieren". Man sieht, es war keine
Uebertreibung, wenn er später einmal an Gutzkow schrieb:
"Für Danton sind die Darmstädtischen Polizeidiener meine
Musen gewesen". Die Polizisten patrouillirten fortwährend

die Nacht hinein an ſeinem Arbeitstiſche, haſtig und heimlich
Szene um Szene ſeines Drama's entwerfend. "Ich ſchreibe
im Fieber", ſagte er dann dem Bruder, "aber das ſchadet
dem Werke nicht — im Gegentheil! Uebrigens habe ich
keine Wahl, ich kann mir keine Ruhe gönnen, bis ich nicht
den Danton unter der Guillotine habe und obendrein brauche
ich Geld, Geld!" Dies letztere Motiv betonte er immer
häufiger, je mehr die Arbeit vorrückte, und je näher ihm die
Gefahr kam. Denn von Mitte Februar ab brachte faſt
jeder Tag eine ſchlimme Neuigkeit: in Gießen, Butzbach und
Darmſtadt mehrten ſich die Verhaftungen, auch Koch wurde
in's Gefängniß geſchleppt, in dem er ſein Leben beſchließen
ſollte. Als Büchner auf die Nachricht hievon zu einem
Freunde eilte, um nähere Erkundigungen einzuziehen, gewahrte
er, daß ihm ein Poliziſt auf Schritt und Tritt folgte, zwei
andere waren an den beiden Enden der Straße poſtirt, in
der er wohnte. "Ich bin verloren!" ſagte er dem Bruder,
als er heimkehrte, brütete einige Stunden ſtumm und ver-
zweifelt vor ſich hin, raffte ſich dann jedoch gewaltſam auf.
Noch am ſelben Abend befeſtigte er mit Wilhelm's Hülfe
eine Strickleiter an der hohen Mauer des Hausgartens, um in
die benachbarten Gärten flüchten zu können, wenn die Häſcher
kämen. Die nächſten drei Tage (20.-23. Febr.) verbrachte er
wieder am Schreibtiſch, vollendete den Entwurf des Drama's,
feilte es durch und ſchrieb es in's Reine. "Ich hätte ſonſt
Wochen daran gewendet", ſagte er dem Bruder, "aber nun
iſt keine Zeit mehr zu verlieren". Man ſieht, es war keine
Uebertreibung, wenn er ſpäter einmal an Gutzkow ſchrieb:
"Für Danton ſind die Darmſtädtiſchen Polizeidiener meine
Muſen geweſen". Die Poliziſten patrouillirten fortwährend

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0174" n="CLVIII"/>
die Nacht hinein an &#x017F;einem Arbeitsti&#x017F;che, ha&#x017F;tig und heimlich<lb/>
Szene um Szene &#x017F;eines Drama's entwerfend. "Ich &#x017F;chreibe<lb/>
im Fieber", &#x017F;agte er dann dem Bruder, "aber das &#x017F;chadet<lb/>
dem Werke nicht &#x2014; im Gegentheil! Uebrigens habe ich<lb/>
keine Wahl, ich kann mir keine Ruhe gönnen, bis ich nicht<lb/>
den Danton unter der Guillotine habe und obendrein brauche<lb/>
ich Geld, Geld!" Dies letztere Motiv betonte er immer<lb/>
häufiger, je mehr die Arbeit vorrückte, und je näher ihm die<lb/>
Gefahr kam. Denn von Mitte Februar ab brachte fa&#x017F;t<lb/>
jeder Tag eine &#x017F;chlimme Neuigkeit: in Gießen, Butzbach und<lb/>
Darm&#x017F;tadt mehrten &#x017F;ich die Verhaftungen, auch Koch wurde<lb/>
in's Gefängniß ge&#x017F;chleppt, in dem er &#x017F;ein Leben be&#x017F;chließen<lb/>
&#x017F;ollte. Als Büchner auf die Nachricht hievon zu einem<lb/>
Freunde eilte, um nähere Erkundigungen einzuziehen, gewahrte<lb/>
er, daß ihm ein Polizi&#x017F;t auf Schritt und Tritt folgte, zwei<lb/>
andere waren an den beiden Enden der Straße po&#x017F;tirt, in<lb/>
der er wohnte. "Ich bin verloren!" &#x017F;agte er dem Bruder,<lb/>
als er heimkehrte, brütete einige Stunden &#x017F;tumm und ver-<lb/>
zweifelt vor &#x017F;ich hin, raffte &#x017F;ich dann jedoch gewalt&#x017F;am auf.<lb/>
Noch am &#x017F;elben Abend befe&#x017F;tigte er mit Wilhelm's Hülfe<lb/>
eine Strickleiter an der hohen Mauer des Hausgartens, um in<lb/>
die benachbarten Gärten flüchten zu können, wenn die Hä&#x017F;cher<lb/>
kämen. Die näch&#x017F;ten drei Tage (20.-23. Febr.) verbrachte er<lb/>
wieder am Schreibti&#x017F;ch, vollendete den Entwurf des Drama's,<lb/>
feilte es durch und &#x017F;chrieb es in's Reine. "Ich hätte &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
Wochen daran gewendet", &#x017F;agte er dem Bruder, "aber nun<lb/>
i&#x017F;t keine Zeit mehr zu verlieren". Man &#x017F;ieht, es war keine<lb/>
Uebertreibung, wenn er &#x017F;päter einmal an Gutzkow &#x017F;chrieb:<lb/>
"Für Danton &#x017F;ind die Darm&#x017F;tädti&#x017F;chen Polizeidiener meine<lb/>
Mu&#x017F;en gewe&#x017F;en". Die Polizi&#x017F;ten patrouillirten fortwährend<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[CLVIII/0174] die Nacht hinein an ſeinem Arbeitstiſche, haſtig und heimlich Szene um Szene ſeines Drama's entwerfend. "Ich ſchreibe im Fieber", ſagte er dann dem Bruder, "aber das ſchadet dem Werke nicht — im Gegentheil! Uebrigens habe ich keine Wahl, ich kann mir keine Ruhe gönnen, bis ich nicht den Danton unter der Guillotine habe und obendrein brauche ich Geld, Geld!" Dies letztere Motiv betonte er immer häufiger, je mehr die Arbeit vorrückte, und je näher ihm die Gefahr kam. Denn von Mitte Februar ab brachte faſt jeder Tag eine ſchlimme Neuigkeit: in Gießen, Butzbach und Darmſtadt mehrten ſich die Verhaftungen, auch Koch wurde in's Gefängniß geſchleppt, in dem er ſein Leben beſchließen ſollte. Als Büchner auf die Nachricht hievon zu einem Freunde eilte, um nähere Erkundigungen einzuziehen, gewahrte er, daß ihm ein Poliziſt auf Schritt und Tritt folgte, zwei andere waren an den beiden Enden der Straße poſtirt, in der er wohnte. "Ich bin verloren!" ſagte er dem Bruder, als er heimkehrte, brütete einige Stunden ſtumm und ver- zweifelt vor ſich hin, raffte ſich dann jedoch gewaltſam auf. Noch am ſelben Abend befeſtigte er mit Wilhelm's Hülfe eine Strickleiter an der hohen Mauer des Hausgartens, um in die benachbarten Gärten flüchten zu können, wenn die Häſcher kämen. Die nächſten drei Tage (20.-23. Febr.) verbrachte er wieder am Schreibtiſch, vollendete den Entwurf des Drama's, feilte es durch und ſchrieb es in's Reine. "Ich hätte ſonſt Wochen daran gewendet", ſagte er dem Bruder, "aber nun iſt keine Zeit mehr zu verlieren". Man ſieht, es war keine Uebertreibung, wenn er ſpäter einmal an Gutzkow ſchrieb: "Für Danton ſind die Darmſtädtiſchen Polizeidiener meine Muſen geweſen". Die Poliziſten patrouillirten fortwährend

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/174
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CLVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/174>, abgerufen am 27.11.2024.