Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

träumen. Die zunehmende materielle Wohlfahrt der Völker
schien ihm auch die Revolution zu verschieben. Je mehr jene
zunimmt, desto mehr schwindet ihm eine Aussicht auf diese."
(Man vergl. den Brief an Gutzkow auf S. 383 und den-
jenigen an seinen Bruder Wilhelm auf Seite 349-50.)

In Straßburg wandte sich Büchner wieder ganz seinen
ernsten Studien zu; beinahe auf sich allein angewiesen, suchte
er sich mit Macht eine Stellung zu erringen. Sein Erfolg
auf dem Felde der dramatischen Poesie war weit entfernt,
ihn seinem ursprünglichen Studienplane zu entfremden. Wenn
er auch die praktische Medicin entschieden aufgab, so
setzte er doch die naturwissenschaftlichen Studien um
so eifriger fort. Nachrichten aus Zürich über die schlechte
Besetzung einiger naturwissenschaftlichen Fächer ließen ihn den
Gedanken fassen, sich für einen Lehrcursus über verglei-
chende Anatomie, die in Zürich noch nicht vorgetragen
worden war, vorzubereiten. Der berühmte Lauth und
Düvernoy, Professor der Zoologie, leisteten ihm für diese
Studien allen Vorschub und machten ihm den Gebrauch der
Stadtbibliothek sowohl, wie einiger bedeutenden Privatbiblio-
theken möglich. Einige leichte literarische Arbeiten, die
ihn zwischendurch beschäftigten, betrachtete er mehr als Er-
holung. Auf Sauerländer's Anstehen übersetzte er in der
Serie von Victor Hugo's übertragenen Werken die
"Tudor" und "Borgia" mit ächt dichterischer Verwandt-
schaft zum Original. (Man vergl. S. 241-259.) Alfred
de Müsset zog ihn, wie Gutzkow erzählt, an, während er
nicht wußte, "wie er sich durch Victor Hugo durchnagen"
solle. Hugo gäbe nur "aufspannende Situationen", Alfred
de Müsset aber doch "Charaktere, wenn auch ausgeschnitzte".


träumen. Die zunehmende materielle Wohlfahrt der Völker
ſchien ihm auch die Revolution zu verſchieben. Je mehr jene
zunimmt, deſto mehr ſchwindet ihm eine Ausſicht auf dieſe."
(Man vergl. den Brief an Gutzkow auf S. 383 und den-
jenigen an ſeinen Bruder Wilhelm auf Seite 349-50.)

In Straßburg wandte ſich Büchner wieder ganz ſeinen
ernſten Studien zu; beinahe auf ſich allein angewieſen, ſuchte
er ſich mit Macht eine Stellung zu erringen. Sein Erfolg
auf dem Felde der dramatiſchen Poeſie war weit entfernt,
ihn ſeinem urſprünglichen Studienplane zu entfremden. Wenn
er auch die praktiſche Medicin entſchieden aufgab, ſo
ſetzte er doch die naturwiſſenſchaftlichen Studien um
ſo eifriger fort. Nachrichten aus Zürich über die ſchlechte
Beſetzung einiger naturwiſſenſchaftlichen Fächer ließen ihn den
Gedanken faſſen, ſich für einen Lehrcurſus über verglei-
chende Anatomie, die in Zürich noch nicht vorgetragen
worden war, vorzubereiten. Der berühmte Lauth und
Düvernoy, Profeſſor der Zoologie, leiſteten ihm für dieſe
Studien allen Vorſchub und machten ihm den Gebrauch der
Stadtbibliothek ſowohl, wie einiger bedeutenden Privatbiblio-
theken möglich. Einige leichte literariſche Arbeiten, die
ihn zwiſchendurch beſchäftigten, betrachtete er mehr als Er-
holung. Auf Sauerländer's Anſtehen überſetzte er in der
Serie von Victor Hugo's übertragenen Werken die
"Tudor" und "Borgia" mit ächt dichteriſcher Verwandt-
ſchaft zum Original. (Man vergl. S. 241-259.) Alfred
de Müſſet zog ihn, wie Gutzkow erzählt, an, während er
nicht wußte, "wie er ſich durch Victor Hugo durchnagen"
ſolle. Hugo gäbe nur "aufſpannende Situationen", Alfred
de Müſſet aber doch "Charaktere, wenn auch ausgeſchnitzte".


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0184" n="CLXVIII"/>
träumen. Die zunehmende materielle Wohlfahrt der Völker<lb/>
&#x017F;chien ihm auch die Revolution zu ver&#x017F;chieben. Je mehr jene<lb/>
zunimmt, de&#x017F;to mehr &#x017F;chwindet ihm eine Aus&#x017F;icht auf die&#x017F;e."<lb/>
(Man vergl. den Brief an Gutzkow auf S. 383 und den-<lb/>
jenigen an &#x017F;einen Bruder Wilhelm auf Seite 349-50.)</p><lb/>
        <p>In Straßburg wandte &#x017F;ich Büchner wieder ganz &#x017F;einen<lb/>
ern&#x017F;ten Studien zu; beinahe auf &#x017F;ich allein angewie&#x017F;en, &#x017F;uchte<lb/>
er &#x017F;ich mit Macht eine Stellung zu erringen. Sein Erfolg<lb/>
auf dem Felde der dramati&#x017F;chen Poe&#x017F;ie war weit entfernt,<lb/>
ihn &#x017F;einem ur&#x017F;prünglichen Studienplane zu entfremden. Wenn<lb/>
er auch die <hi rendition="#g">prakti&#x017F;che Medicin</hi> ent&#x017F;chieden aufgab, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;etzte er doch die <hi rendition="#g">naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen</hi> Studien um<lb/>
&#x017F;o eifriger fort. Nachrichten aus Zürich über die &#x017F;chlechte<lb/>
Be&#x017F;etzung einiger naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Fächer ließen ihn den<lb/>
Gedanken fa&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich für einen Lehrcur&#x017F;us über <hi rendition="#g">verglei</hi>-<lb/><hi rendition="#g">chende Anatomie</hi>, die in Zürich noch nicht vorgetragen<lb/>
worden war, vorzubereiten. Der berühmte <hi rendition="#g">Lauth</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Düvernoy</hi>, Profe&#x017F;&#x017F;or der Zoologie, lei&#x017F;teten ihm für die&#x017F;e<lb/>
Studien allen Vor&#x017F;chub und machten ihm den Gebrauch der<lb/>
Stadtbibliothek &#x017F;owohl, wie einiger bedeutenden Privatbiblio-<lb/>
theken möglich. Einige leichte <hi rendition="#g">literari&#x017F;che</hi> Arbeiten, die<lb/>
ihn zwi&#x017F;chendurch be&#x017F;chäftigten, betrachtete er mehr als Er-<lb/>
holung. Auf Sauerländer's An&#x017F;tehen über&#x017F;etzte er in der<lb/>
Serie von <hi rendition="#g">Victor Hugo</hi>'s übertragenen <hi rendition="#g">Werken</hi> die<lb/>
"<hi rendition="#g">Tudor</hi>" und "<hi rendition="#g">Borgia</hi>" mit ächt dichteri&#x017F;cher Verwandt-<lb/>
&#x017F;chaft zum Original. (Man vergl. S. 241-259.) Alfred<lb/>
de Mü&#x017F;&#x017F;et zog ihn, wie Gutzkow erzählt, an, während er<lb/>
nicht wußte, "wie er &#x017F;ich durch Victor Hugo durchnagen"<lb/>
&#x017F;olle. Hugo gäbe nur "auf&#x017F;pannende Situationen", Alfred<lb/>
de Mü&#x017F;&#x017F;et aber doch "Charaktere, wenn auch ausge&#x017F;chnitzte".</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[CLXVIII/0184] träumen. Die zunehmende materielle Wohlfahrt der Völker ſchien ihm auch die Revolution zu verſchieben. Je mehr jene zunimmt, deſto mehr ſchwindet ihm eine Ausſicht auf dieſe." (Man vergl. den Brief an Gutzkow auf S. 383 und den- jenigen an ſeinen Bruder Wilhelm auf Seite 349-50.) In Straßburg wandte ſich Büchner wieder ganz ſeinen ernſten Studien zu; beinahe auf ſich allein angewieſen, ſuchte er ſich mit Macht eine Stellung zu erringen. Sein Erfolg auf dem Felde der dramatiſchen Poeſie war weit entfernt, ihn ſeinem urſprünglichen Studienplane zu entfremden. Wenn er auch die praktiſche Medicin entſchieden aufgab, ſo ſetzte er doch die naturwiſſenſchaftlichen Studien um ſo eifriger fort. Nachrichten aus Zürich über die ſchlechte Beſetzung einiger naturwiſſenſchaftlichen Fächer ließen ihn den Gedanken faſſen, ſich für einen Lehrcurſus über verglei- chende Anatomie, die in Zürich noch nicht vorgetragen worden war, vorzubereiten. Der berühmte Lauth und Düvernoy, Profeſſor der Zoologie, leiſteten ihm für dieſe Studien allen Vorſchub und machten ihm den Gebrauch der Stadtbibliothek ſowohl, wie einiger bedeutenden Privatbiblio- theken möglich. Einige leichte literariſche Arbeiten, die ihn zwiſchendurch beſchäftigten, betrachtete er mehr als Er- holung. Auf Sauerländer's Anſtehen überſetzte er in der Serie von Victor Hugo's übertragenen Werken die "Tudor" und "Borgia" mit ächt dichteriſcher Verwandt- ſchaft zum Original. (Man vergl. S. 241-259.) Alfred de Müſſet zog ihn, wie Gutzkow erzählt, an, während er nicht wußte, "wie er ſich durch Victor Hugo durchnagen" ſolle. Hugo gäbe nur "aufſpannende Situationen", Alfred de Müſſet aber doch "Charaktere, wenn auch ausgeſchnitzte".

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/184
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CLXVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/184>, abgerufen am 27.11.2024.