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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Flugschrift. In "Danton" läßt er den Proletarier aus-
rufen: "Unser Leben ist der Mord durch Arbeit; wir hängen
sechzig Jahre lang am Strick und zappeln; aber wir werden
uns losschneiden!" -- Büchner würde niemals, hätte er das
Jahr 1848 erlebt, auf Seite Derjenigen gestanden haben,
welche durch lächerlichen Eigendünkel und kindische Furcht die
Freiheit verrathen haben, die man in ihren Händen für ge-
sichert hielt.

Die Philosophie betrieb Büchner nicht wie ein
Gelehrter, sondern wie Einer, der von dem Baume der Wissen-
schaft die Früchte des Lebens pflücken will. "Büchner würde",
sagt Gutzkow, "wie Schiller, seine Dichterkraft durch die
Philosophie geregelt und in der Philosophie mit der Freiheits-
fackel des Dichters die dunkelsten Gedankenregionen gelichtet
haben. Alle diese Hoffnungen knickte der Sturm. Zu dem
Trotze, der aus diesem Charakter sprach, lachte der Tod. Der
Friedensbogen, der sich über diese gährende Kampfes- und
Lebenslust zog, war die Sense des Schnitters, von welcher
so frühe gemäht zu werden, uns schmerzlich und fast mit
einem gerechten Scheine die Unbill des Schicksals anklagen
läßt."



Flugſchrift. In "Danton" läßt er den Proletarier aus-
rufen: "Unſer Leben iſt der Mord durch Arbeit; wir hängen
ſechzig Jahre lang am Strick und zappeln; aber wir werden
uns losſchneiden!" — Büchner würde niemals, hätte er das
Jahr 1848 erlebt, auf Seite Derjenigen geſtanden haben,
welche durch lächerlichen Eigendünkel und kindiſche Furcht die
Freiheit verrathen haben, die man in ihren Händen für ge-
ſichert hielt.

Die Philoſophie betrieb Büchner nicht wie ein
Gelehrter, ſondern wie Einer, der von dem Baume der Wiſſen-
ſchaft die Früchte des Lebens pflücken will. "Büchner würde",
ſagt Gutzkow, "wie Schiller, ſeine Dichterkraft durch die
Philoſophie geregelt und in der Philoſophie mit der Freiheits-
fackel des Dichters die dunkelſten Gedankenregionen gelichtet
haben. Alle dieſe Hoffnungen knickte der Sturm. Zu dem
Trotze, der aus dieſem Charakter ſprach, lachte der Tod. Der
Friedensbogen, der ſich über dieſe gährende Kampfes- und
Lebensluſt zog, war die Senſe des Schnitters, von welcher
ſo frühe gemäht zu werden, uns ſchmerzlich und faſt mit
einem gerechten Scheine die Unbill des Schickſals anklagen
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[CLXXX/0196] Flugſchrift. In "Danton" läßt er den Proletarier aus- rufen: "Unſer Leben iſt der Mord durch Arbeit; wir hängen ſechzig Jahre lang am Strick und zappeln; aber wir werden uns losſchneiden!" — Büchner würde niemals, hätte er das Jahr 1848 erlebt, auf Seite Derjenigen geſtanden haben, welche durch lächerlichen Eigendünkel und kindiſche Furcht die Freiheit verrathen haben, die man in ihren Händen für ge- ſichert hielt. Die Philoſophie betrieb Büchner nicht wie ein Gelehrter, ſondern wie Einer, der von dem Baume der Wiſſen- ſchaft die Früchte des Lebens pflücken will. "Büchner würde", ſagt Gutzkow, "wie Schiller, ſeine Dichterkraft durch die Philoſophie geregelt und in der Philoſophie mit der Freiheits- fackel des Dichters die dunkelſten Gedankenregionen gelichtet haben. Alle dieſe Hoffnungen knickte der Sturm. Zu dem Trotze, der aus dieſem Charakter ſprach, lachte der Tod. Der Friedensbogen, der ſich über dieſe gährende Kampfes- und Lebensluſt zog, war die Senſe des Schnitters, von welcher ſo frühe gemäht zu werden, uns ſchmerzlich und faſt mit einem gerechten Scheine die Unbill des Schickſals anklagen läßt."

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CLXXX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/196>, abgerufen am 22.11.2024.