Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
31. Mai, sie würden nicht gutwillig weichen. Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgestrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revo- lution, die Revolution hat uns gemacht. -- Und -- wenn es ginge -- ich will lieber guillotinirt werden, als guilloti- niren lassen. Ich habe es satt; wozu sollen wir Menschen mit einander kämpfen? Wir sollten uns neben einander setzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, als wir geschaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür, aber wir werden es uns einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns darum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchymisten. Camille. Pathetischer gesagt, würde es heißen: wie lange soll die Menschheit in ewigem Hunger ihre eignen Glieder fressen? Oder wie lange sollen wir Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut aus den Adern saugen? Oder, wie lange sollen wir Al- gebraisten im Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten x unsere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben? Danton. Du bist ein starkes Echo. Camille. Nicht wahr? -- ein Pistolenschuß schallt gleich wie ein Donnerschlag. Desto besser für dich, du solltest mich immer bei dir haben. Philippeau. Und Frankreich bleibt seinen Henkern? Danton. Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei! Sie haben Unglück; kann man mehr verlangen, um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein, oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? -- Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben!
31. Mai, ſie würden nicht gutwillig weichen. Robespierre iſt das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgeſtrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revo- lution, die Revolution hat uns gemacht. — Und — wenn es ginge — ich will lieber guillotinirt werden, als guilloti- niren laſſen. Ich habe es ſatt; wozu ſollen wir Menſchen mit einander kämpfen? Wir ſollten uns neben einander ſetzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, als wir geſchaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür, aber wir werden es uns einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was ſollen wir uns darum die Leiber aufbrechen? Geht, wir ſind elende Alchymiſten. Camille. Pathetiſcher geſagt, würde es heißen: wie lange ſoll die Menſchheit in ewigem Hunger ihre eignen Glieder freſſen? Oder wie lange ſollen wir Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöſchbarem Durſt einander das Blut aus den Adern ſaugen? Oder, wie lange ſollen wir Al- gebraiſten im Fleiſch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten x unſere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern ſchreiben? Danton. Du biſt ein ſtarkes Echo. Camille. Nicht wahr? — ein Piſtolenſchuß ſchallt gleich wie ein Donnerſchlag. Deſto beſſer für dich, du ſollteſt mich immer bei dir haben. Philippeau. Und Frankreich bleibt ſeinen Henkern? Danton. Was liegt daran? Die Leute befinden ſich ganz wohl dabei! Sie haben Unglück; kann man mehr verlangen, um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu ſein, oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? — Ob ſie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter ſterben! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#DANTON"> <p><pb facs="#f0234" n="38"/> 31. Mai, ſie würden nicht gutwillig weichen. Robespierre<lb/> iſt das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgeſtrichen<lb/> werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revo-<lb/> lution, die Revolution hat uns gemacht. — Und — wenn<lb/> es ginge — ich will lieber guillotinirt werden, als guilloti-<lb/> niren laſſen. Ich habe es ſatt; wozu ſollen wir Menſchen<lb/> mit einander kämpfen? Wir ſollten uns neben einander<lb/> ſetzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, als<lb/> wir geſchaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen<lb/> Namen dafür, aber wir werden es uns einander nicht aus<lb/> den Eingeweiden herauswühlen, was ſollen wir uns darum<lb/> die Leiber aufbrechen? Geht, wir ſind elende Alchymiſten.</p> </sp><lb/> <sp who="#CAM"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker> <p>Pathetiſcher geſagt, würde es heißen: wie<lb/> lange ſoll die Menſchheit in ewigem Hunger ihre eignen<lb/> Glieder freſſen? Oder wie lange ſollen wir Schiffbrüchige<lb/> auf einem Wrack in unlöſchbarem Durſt einander das Blut<lb/> aus den Adern ſaugen? Oder, wie lange ſollen wir Al-<lb/> gebraiſten im Fleiſch beim Suchen nach dem unbekannten,<lb/> ewig verweigerten <hi rendition="#aq">x</hi> unſere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern<lb/> ſchreiben?</p> </sp><lb/> <sp who="#DANTON"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker> <p>Du biſt ein ſtarkes Echo.</p> </sp><lb/> <sp who="#CAM"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker> <p>Nicht wahr? — ein Piſtolenſchuß ſchallt<lb/> gleich wie ein Donnerſchlag. Deſto beſſer für dich, du ſollteſt<lb/> mich immer bei dir haben.</p> </sp><lb/> <sp who="#PHI"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Philippeau.</hi> </hi> </speaker> <p>Und Frankreich bleibt ſeinen Henkern?</p> </sp><lb/> <sp who="#DANTON"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker> <p>Was liegt daran? Die Leute befinden ſich<lb/> ganz wohl dabei! Sie haben Unglück; kann man mehr<lb/> verlangen, um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu ſein,<lb/> oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? — Ob ſie<lb/> nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter ſterben!<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0234]
31. Mai, ſie würden nicht gutwillig weichen. Robespierre
iſt das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgeſtrichen
werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revo-
lution, die Revolution hat uns gemacht. — Und — wenn
es ginge — ich will lieber guillotinirt werden, als guilloti-
niren laſſen. Ich habe es ſatt; wozu ſollen wir Menſchen
mit einander kämpfen? Wir ſollten uns neben einander
ſetzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, als
wir geſchaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen
Namen dafür, aber wir werden es uns einander nicht aus
den Eingeweiden herauswühlen, was ſollen wir uns darum
die Leiber aufbrechen? Geht, wir ſind elende Alchymiſten.
Camille. Pathetiſcher geſagt, würde es heißen: wie
lange ſoll die Menſchheit in ewigem Hunger ihre eignen
Glieder freſſen? Oder wie lange ſollen wir Schiffbrüchige
auf einem Wrack in unlöſchbarem Durſt einander das Blut
aus den Adern ſaugen? Oder, wie lange ſollen wir Al-
gebraiſten im Fleiſch beim Suchen nach dem unbekannten,
ewig verweigerten x unſere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern
ſchreiben?
Danton. Du biſt ein ſtarkes Echo.
Camille. Nicht wahr? — ein Piſtolenſchuß ſchallt
gleich wie ein Donnerſchlag. Deſto beſſer für dich, du ſollteſt
mich immer bei dir haben.
Philippeau. Und Frankreich bleibt ſeinen Henkern?
Danton. Was liegt daran? Die Leute befinden ſich
ganz wohl dabei! Sie haben Unglück; kann man mehr
verlangen, um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu ſein,
oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? — Ob ſie
nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter ſterben!
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