Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
nichts weniger. Die Unterschiede sind so groß nicht, wir Alle sind Schurken und Engel, Dummköpfe und Genie's, und zwar das Alles in Einem; die vier Dinge finden Platz genug in dem nämlichen Körper, sie sind nicht so breit, als man sich einbildet. Schlafen, Verdauen, Kinder machen -- das treiben Alle; die übrigen Dinge sind nur Variationen aus verschiedenen Tonarten über das nämliche Thema. Da braucht man sich auf die Zehen zu stellen und Gesichter zu schneiden, da braucht man sich vor einander zu geniren! Wir haben uns Alle am nämlichen Tische krank gegessen und haben Leibgrimmen, was haltet ihr euch die Servietten vor das Gesicht? Schreit nur und greint, wie es euch an- kommt. Schneidet nur keine so tugendhaften und so witzigen und so heroischen und so genialen Grimassen, wir kennen uns ja einander, spart euch die Mühe. Herault. Ja, Camille, wir wollen uns bei einander setzen und schreien; nichts dummer, als die Lippen zusammen zu pressen, wenn Einem was weh thut. -- Griechen und Götter schrieen, Römer und Stoiker machten die heroische Fratze. Danton. Die einen waren so gut Epikuräer, wie die andern. Sie machten sich ein ganz behagliches Selbstgefühl zurecht. Es ist nicht so übel, seine Toga zu drapiren und sich umzusehen, ob man einen langen Schatten wirft. Was sollen wir uns zieren? Ob wir uns nun Lorbeerblätter, Rosenkränze oder Weinlaub vorbinden oder uns nackt tragen? Philippeau. Meine Freunde, man braucht gerade nicht hoch über der Erde zu stehen, um von all dem wirren Schwanken und Flimmern nichts mehr zu sehen und die Augen nur von einigen großen, göttlichen Linien erfüllt zu haben. Es gibt ein Ohr, für welches das Ineinander-
nichts weniger. Die Unterſchiede ſind ſo groß nicht, wir Alle ſind Schurken und Engel, Dummköpfe und Genie's, und zwar das Alles in Einem; die vier Dinge finden Platz genug in dem nämlichen Körper, ſie ſind nicht ſo breit, als man ſich einbildet. Schlafen, Verdauen, Kinder machen — das treiben Alle; die übrigen Dinge ſind nur Variationen aus verſchiedenen Tonarten über das nämliche Thema. Da braucht man ſich auf die Zehen zu ſtellen und Geſichter zu ſchneiden, da braucht man ſich vor einander zu geniren! Wir haben uns Alle am nämlichen Tiſche krank gegeſſen und haben Leibgrimmen, was haltet ihr euch die Servietten vor das Geſicht? Schreit nur und greint, wie es euch an- kommt. Schneidet nur keine ſo tugendhaften und ſo witzigen und ſo heroiſchen und ſo genialen Grimaſſen, wir kennen uns ja einander, ſpart euch die Mühe. Hérault. Ja, Camille, wir wollen uns bei einander ſetzen und ſchreien; nichts dummer, als die Lippen zuſammen zu preſſen, wenn Einem was weh thut. — Griechen und Götter ſchrieen, Römer und Stoiker machten die heroiſche Fratze. Danton. Die einen waren ſo gut Epikuräer, wie die andern. Sie machten ſich ein ganz behagliches Selbſtgefühl zurecht. Es iſt nicht ſo übel, ſeine Toga zu drapiren und ſich umzuſehen, ob man einen langen Schatten wirft. Was ſollen wir uns zieren? Ob wir uns nun Lorbeerblätter, Roſenkränze oder Weinlaub vorbinden oder uns nackt tragen? Philippeau. Meine Freunde, man braucht gerade nicht hoch über der Erde zu ſtehen, um von all dem wirren Schwanken und Flimmern nichts mehr zu ſehen und die Augen nur von einigen großen, göttlichen Linien erfüllt zu haben. Es gibt ein Ohr, für welches das Ineinander- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#CAM"> <p><pb facs="#f0287" n="91"/> nichts weniger. Die Unterſchiede ſind ſo groß nicht, wir<lb/> Alle ſind Schurken und Engel, Dummköpfe und Genie's,<lb/> und zwar das Alles in Einem; die vier Dinge finden Platz<lb/> genug in dem nämlichen Körper, ſie ſind nicht ſo breit, als<lb/> man ſich einbildet. Schlafen, Verdauen, Kinder machen —<lb/> das treiben Alle; die übrigen Dinge ſind nur Variationen<lb/> aus verſchiedenen Tonarten über das nämliche Thema. Da<lb/> braucht man ſich auf die Zehen zu ſtellen und Geſichter zu<lb/> ſchneiden, da braucht man ſich vor einander zu geniren!<lb/> Wir haben uns Alle am nämlichen Tiſche krank gegeſſen<lb/> und haben Leibgrimmen, was haltet ihr euch die Servietten<lb/> vor das Geſicht? Schreit nur und greint, wie es euch an-<lb/> kommt. Schneidet nur keine ſo tugendhaften und ſo witzigen<lb/> und ſo heroiſchen und ſo genialen Grimaſſen, wir kennen<lb/> uns ja einander, ſpart euch die Mühe.</p> </sp><lb/> <sp who="#HARAU"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">H<hi rendition="#aq">é</hi>rault.</hi> </hi> </speaker> <p>Ja, Camille, wir wollen uns bei einander<lb/> ſetzen und ſchreien; nichts dummer, als die Lippen zuſammen zu<lb/> preſſen, wenn Einem was weh thut. — Griechen und Götter<lb/> ſchrieen, Römer und Stoiker machten die heroiſche Fratze.</p> </sp><lb/> <sp who="#DANTON"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker> <p>Die einen waren ſo gut Epikuräer, wie die<lb/> andern. Sie machten ſich ein ganz behagliches Selbſtgefühl<lb/> zurecht. Es iſt nicht ſo übel, ſeine Toga zu drapiren und<lb/> ſich umzuſehen, ob man einen langen Schatten wirft. Was<lb/> ſollen wir uns zieren? Ob wir uns nun Lorbeerblätter,<lb/> Roſenkränze oder Weinlaub vorbinden oder uns nackt tragen?</p> </sp><lb/> <sp who="#PHI"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Philippeau.</hi> </hi> </speaker> <p>Meine Freunde, man braucht gerade nicht<lb/> hoch über der Erde zu ſtehen, um von all dem wirren<lb/> Schwanken und Flimmern nichts mehr zu ſehen und die<lb/> Augen nur von einigen großen, göttlichen Linien erfüllt zu<lb/> haben. Es gibt ein Ohr, für welches das Ineinander-<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0287]
nichts weniger. Die Unterſchiede ſind ſo groß nicht, wir
Alle ſind Schurken und Engel, Dummköpfe und Genie's,
und zwar das Alles in Einem; die vier Dinge finden Platz
genug in dem nämlichen Körper, ſie ſind nicht ſo breit, als
man ſich einbildet. Schlafen, Verdauen, Kinder machen —
das treiben Alle; die übrigen Dinge ſind nur Variationen
aus verſchiedenen Tonarten über das nämliche Thema. Da
braucht man ſich auf die Zehen zu ſtellen und Geſichter zu
ſchneiden, da braucht man ſich vor einander zu geniren!
Wir haben uns Alle am nämlichen Tiſche krank gegeſſen
und haben Leibgrimmen, was haltet ihr euch die Servietten
vor das Geſicht? Schreit nur und greint, wie es euch an-
kommt. Schneidet nur keine ſo tugendhaften und ſo witzigen
und ſo heroiſchen und ſo genialen Grimaſſen, wir kennen
uns ja einander, ſpart euch die Mühe.
Hérault. Ja, Camille, wir wollen uns bei einander
ſetzen und ſchreien; nichts dummer, als die Lippen zuſammen zu
preſſen, wenn Einem was weh thut. — Griechen und Götter
ſchrieen, Römer und Stoiker machten die heroiſche Fratze.
Danton. Die einen waren ſo gut Epikuräer, wie die
andern. Sie machten ſich ein ganz behagliches Selbſtgefühl
zurecht. Es iſt nicht ſo übel, ſeine Toga zu drapiren und
ſich umzuſehen, ob man einen langen Schatten wirft. Was
ſollen wir uns zieren? Ob wir uns nun Lorbeerblätter,
Roſenkränze oder Weinlaub vorbinden oder uns nackt tragen?
Philippeau. Meine Freunde, man braucht gerade nicht
hoch über der Erde zu ſtehen, um von all dem wirren
Schwanken und Flimmern nichts mehr zu ſehen und die
Augen nur von einigen großen, göttlichen Linien erfüllt zu
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