Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
dieser göttlich einfältige Mund, dieses schafnasige griechische Profil, dieser geistige Tod in diesem geistigen Leib. Valerio. Teufel! da sind wir schon wieder auf der Grenze. Das ist ein Land, wie eine Zwiebel, nichts als Schaalen, oder wie ineinandergesteckte Schachteln, in der größten sind nichts als Schachteln, und in der kleinsten ist gar nichts. (Er wirft seinen Pack zu Boden.) Soll denn dieser Pack mein Grabstein werden? Sehen Sie Prinz, ich werde philosophisch, ein Bild des menschlichen Lebens. Ich schleppe diesen Pack mit wunden Füßen durch Frost und Sonnenbrand, weil ich Abends ein reines Hemd anziehen will, und wenn endlich der Abend kommt, so ist meine Stirne gefurcht, meine Wange hohl, mein Auge dunkel, und ich habe grade noch Zeit, mein Hemd anzuziehen als Todtenhemd. Hätte ich nun nicht gescheidter gethan, ich hätte mein Bündel vom Stecken gehoben und es in der ersten besten Kneipe verkauft, und hätte mich dafür betrunken und im Schatten geschlafen, bis es Abend geworden wäre, und hätte nicht geschwitzt und mir keine Leichdörner gelaufen? Und Prinz, jetzt kommt die Anwendung und die Praxis. Aus lauter Schamhaftigkeit wollen wir jetzt auch den inneren Menschen bekleiden und Rock und Hosen inwendig anziehen. (Beide gehen auf das Wirthshaus los.) Ei du lieber Pack, welch' ein köstlicher Duft, welche Weindüfte und Bratengerüche! Ei ihr lieben Hosen, wie wurzelt ihr im Boden und grünt und blüht, und die langen, schweren Trauben hängen mir in den Mund, und der Most gährt unter der Kelter. (Sie gehen ab.) Prinzessin Lena. Die Gouvernante (kommen). Gouvernante. Es muß ein bezauberter Tag sein, die
dieſer göttlich einfältige Mund, dieſes ſchafnaſige griechiſche Profil, dieſer geiſtige Tod in dieſem geiſtigen Leib. Valerio. Teufel! da ſind wir ſchon wieder auf der Grenze. Das iſt ein Land, wie eine Zwiebel, nichts als Schaalen, oder wie ineinandergeſteckte Schachteln, in der größten ſind nichts als Schachteln, und in der kleinſten iſt gar nichts. (Er wirft ſeinen Pack zu Boden.) Soll denn dieſer Pack mein Grabſtein werden? Sehen Sie Prinz, ich werde philoſophiſch, ein Bild des menſchlichen Lebens. Ich ſchleppe dieſen Pack mit wunden Füßen durch Froſt und Sonnenbrand, weil ich Abends ein reines Hemd anziehen will, und wenn endlich der Abend kommt, ſo iſt meine Stirne gefurcht, meine Wange hohl, mein Auge dunkel, und ich habe grade noch Zeit, mein Hemd anzuziehen als Todtenhemd. Hätte ich nun nicht geſcheidter gethan, ich hätte mein Bündel vom Stecken gehoben und es in der erſten beſten Kneipe verkauft, und hätte mich dafür betrunken und im Schatten geſchlafen, bis es Abend geworden wäre, und hätte nicht geſchwitzt und mir keine Leichdörner gelaufen? Und Prinz, jetzt kommt die Anwendung und die Praxis. Aus lauter Schamhaftigkeit wollen wir jetzt auch den inneren Menſchen bekleiden und Rock und Hoſen inwendig anziehen. (Beide gehen auf das Wirthshaus los.) Ei du lieber Pack, welch' ein köſtlicher Duft, welche Weindüfte und Bratengerüche! Ei ihr lieben Hoſen, wie wurzelt ihr im Boden und grünt und blüht, und die langen, ſchweren Trauben hängen mir in den Mund, und der Moſt gährt unter der Kelter. (Sie gehen ab.) Prinzeſſin Lena. Die Gouvernante (kommen). Gouvernante. Es muß ein bezauberter Tag ſein, die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#LEO"> <p><pb facs="#f0333" n="137"/> dieſer göttlich einfältige Mund, dieſes ſchafnaſige griechiſche<lb/> Profil, dieſer geiſtige Tod in dieſem geiſtigen Leib.</p> </sp><lb/> <sp who="#VAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Valerio.</hi> </hi> </speaker> <p>Teufel! da ſind wir ſchon wieder auf der<lb/> Grenze. Das iſt ein Land, wie eine Zwiebel, nichts als<lb/> Schaalen, oder wie ineinandergeſteckte Schachteln, in der<lb/> größten ſind nichts als Schachteln, und in der kleinſten iſt<lb/> gar nichts. <stage>(Er wirft ſeinen Pack zu Boden.)</stage> Soll denn dieſer<lb/> Pack mein Grabſtein werden? Sehen Sie Prinz, ich werde<lb/> philoſophiſch, ein Bild des menſchlichen Lebens. Ich ſchleppe<lb/> dieſen Pack mit wunden Füßen durch Froſt und Sonnenbrand,<lb/> weil ich Abends ein reines Hemd anziehen will, und wenn<lb/> endlich der Abend kommt, ſo iſt meine Stirne gefurcht,<lb/> meine Wange hohl, mein Auge dunkel, und ich habe grade<lb/> noch Zeit, mein Hemd anzuziehen als Todtenhemd. Hätte<lb/> ich nun nicht geſcheidter gethan, ich hätte mein Bündel vom<lb/> Stecken gehoben und es in der erſten beſten Kneipe verkauft,<lb/> und hätte mich dafür betrunken und im Schatten geſchlafen,<lb/> bis es Abend geworden wäre, und hätte nicht geſchwitzt und<lb/> mir keine Leichdörner gelaufen? Und Prinz, jetzt kommt die<lb/> Anwendung und die Praxis. Aus lauter Schamhaftigkeit<lb/> wollen wir jetzt auch den inneren Menſchen bekleiden und<lb/> Rock und Hoſen inwendig anziehen. <stage>(Beide gehen auf das<lb/> Wirthshaus los.)</stage> Ei du lieber Pack, welch' ein köſtlicher<lb/> Duft, welche Weindüfte und Bratengerüche! Ei ihr lieben<lb/> Hoſen, wie wurzelt ihr im Boden und grünt und blüht, und<lb/> die langen, ſchweren Trauben hängen mir in den Mund, und<lb/> der Moſt gährt unter der Kelter.</p> <stage>(Sie gehen ab.)</stage> </sp><lb/> <stage>Prinzeſſin <hi rendition="#fr"><hi rendition="#b">Lena.</hi></hi> Die <hi rendition="#fr"><hi rendition="#b">Gouvernante</hi></hi> (kommen).</stage><lb/> <sp who="#GOU"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Gouvernante.</hi> </hi> </speaker> <p>Es muß ein bezauberter Tag ſein, die<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [137/0333]
dieſer göttlich einfältige Mund, dieſes ſchafnaſige griechiſche
Profil, dieſer geiſtige Tod in dieſem geiſtigen Leib.
Valerio. Teufel! da ſind wir ſchon wieder auf der
Grenze. Das iſt ein Land, wie eine Zwiebel, nichts als
Schaalen, oder wie ineinandergeſteckte Schachteln, in der
größten ſind nichts als Schachteln, und in der kleinſten iſt
gar nichts. (Er wirft ſeinen Pack zu Boden.) Soll denn dieſer
Pack mein Grabſtein werden? Sehen Sie Prinz, ich werde
philoſophiſch, ein Bild des menſchlichen Lebens. Ich ſchleppe
dieſen Pack mit wunden Füßen durch Froſt und Sonnenbrand,
weil ich Abends ein reines Hemd anziehen will, und wenn
endlich der Abend kommt, ſo iſt meine Stirne gefurcht,
meine Wange hohl, mein Auge dunkel, und ich habe grade
noch Zeit, mein Hemd anzuziehen als Todtenhemd. Hätte
ich nun nicht geſcheidter gethan, ich hätte mein Bündel vom
Stecken gehoben und es in der erſten beſten Kneipe verkauft,
und hätte mich dafür betrunken und im Schatten geſchlafen,
bis es Abend geworden wäre, und hätte nicht geſchwitzt und
mir keine Leichdörner gelaufen? Und Prinz, jetzt kommt die
Anwendung und die Praxis. Aus lauter Schamhaftigkeit
wollen wir jetzt auch den inneren Menſchen bekleiden und
Rock und Hoſen inwendig anziehen. (Beide gehen auf das
Wirthshaus los.) Ei du lieber Pack, welch' ein köſtlicher
Duft, welche Weindüfte und Bratengerüche! Ei ihr lieben
Hoſen, wie wurzelt ihr im Boden und grünt und blüht, und
die langen, ſchweren Trauben hängen mir in den Mund, und
der Moſt gährt unter der Kelter. (Sie gehen ab.)
Prinzeſſin Lena. Die Gouvernante (kommen).
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