Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
zupfe. Ich habe noch eine gewisse Dosis Enthusiasmus zu verbrauchen; aber wenn ich Alles recht warm gekocht habe, so brauche ich eine unendliche Zeit, um einen Löffel zu finden, mit dem ich das Gericht esse, und darüber steht es ab. Valerio. Ergo bibamus! Diese Flasche ist keine Ge- liebte, keine Idee, sie macht keine Geburtsschmerzen, sie wird nicht langweilig, wird nicht treulos, sie bleibt eins vom ersten Tropfen bis zum letzten. Du brichst das Siegel, und alle Träume, die in ihr schlummern, sprühen Dir entgegen. Leonce. O Gott! Die Hälfte meines Lebens soll ein Gebet sein, wenn mir nur ein Strohhalm bescheert wird, auf dem ich reite, wie auf einem prächtigen Roß, bis ich selbst auf dem Stroh liege. -- Welch' unheimlicher Abend! Da unten ist Alles still, und da oben wechseln und ziehen die Wolken, und der Sonnenschein geht und kommt wieder. Sieh, was seltsame Gestalten sich dort jagen, sieh die langen weißen Schatten mit den entsetzlich mageren Beinen und Fledermausschwingen, und Alles so rasch, so wirr, und da unten rührt sich kein Blatt, kein Halm. Die Erde hat sich ängstlich zusammengeschmiegt, wie ein Kind, und über ihre Wiege schreiten die Gespenster. Valerio. Ich weiß nicht, was Ihr wollt, mir ist ganz behaglich zu Muth. Die Sonne sieht aus, wie ein Wirths- hausschild, und die feurigen Wolken darüber wie die Auf- schrift: "Wirthshaus zur goldenen Sonne". Die Erde und das Wasser da unten sind wie ein Tisch, auf dem Wein verschüttet ist, und wir liegen darauf wie Spielkarten, mit denen Gott und der Teufel aus Langeweile eine Parthie machen, und Ihr seid ein Kartenkönig, und ich bin ein Kartenbube, es fehlt nur noch eine Dame, eine schöne Dame,
zupfe. Ich habe noch eine gewiſſe Doſis Enthuſiasmus zu verbrauchen; aber wenn ich Alles recht warm gekocht habe, ſo brauche ich eine unendliche Zeit, um einen Löffel zu finden, mit dem ich das Gericht eſſe, und darüber ſteht es ab. Valerio. Ergo bibamus! Dieſe Flaſche iſt keine Ge- liebte, keine Idee, ſie macht keine Geburtsſchmerzen, ſie wird nicht langweilig, wird nicht treulos, ſie bleibt eins vom erſten Tropfen bis zum letzten. Du brichſt das Siegel, und alle Träume, die in ihr ſchlummern, ſprühen Dir entgegen. Leonce. O Gott! Die Hälfte meines Lebens ſoll ein Gebet ſein, wenn mir nur ein Strohhalm beſcheert wird, auf dem ich reite, wie auf einem prächtigen Roß, bis ich ſelbſt auf dem Stroh liege. — Welch' unheimlicher Abend! Da unten iſt Alles ſtill, und da oben wechſeln und ziehen die Wolken, und der Sonnenſchein geht und kommt wieder. Sieh, was ſeltſame Geſtalten ſich dort jagen, ſieh die langen weißen Schatten mit den entſetzlich mageren Beinen und Fledermausſchwingen, und Alles ſo raſch, ſo wirr, und da unten rührt ſich kein Blatt, kein Halm. Die Erde hat ſich ängſtlich zuſammengeſchmiegt, wie ein Kind, und über ihre Wiege ſchreiten die Geſpenſter. Valerio. Ich weiß nicht, was Ihr wollt, mir iſt ganz behaglich zu Muth. Die Sonne ſieht aus, wie ein Wirths- hausſchild, und die feurigen Wolken darüber wie die Auf- ſchrift: "Wirthshaus zur goldenen Sonne". Die Erde und das Waſſer da unten ſind wie ein Tiſch, auf dem Wein verſchüttet iſt, und wir liegen darauf wie Spielkarten, mit denen Gott und der Teufel aus Langeweile eine Parthie machen, und Ihr ſeid ein Kartenkönig, und ich bin ein Kartenbube, es fehlt nur noch eine Dame, eine ſchöne Dame, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#LEO"> <p><pb facs="#f0336" n="140"/> zupfe. Ich habe noch eine gewiſſe Doſis Enthuſiasmus zu<lb/> verbrauchen; aber wenn ich Alles recht warm gekocht habe,<lb/> ſo brauche ich eine unendliche Zeit, um einen Löffel zu finden,<lb/> mit dem ich das Gericht eſſe, und darüber ſteht es ab.</p> </sp><lb/> <sp who="#VAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Valerio.</hi> </hi> </speaker> <p><hi rendition="#aq">Ergo bibamus!</hi> Dieſe Flaſche iſt keine Ge-<lb/> liebte, keine Idee, ſie macht keine Geburtsſchmerzen, ſie wird<lb/> nicht langweilig, wird nicht treulos, ſie bleibt eins vom<lb/> erſten Tropfen bis zum letzten. Du brichſt das Siegel, und<lb/> alle Träume, die in ihr ſchlummern, ſprühen Dir entgegen.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Leonce.</hi> </hi> </speaker> <p>O Gott! Die Hälfte meines Lebens ſoll ein<lb/> Gebet ſein, wenn mir nur ein Strohhalm beſcheert wird,<lb/> auf dem ich reite, wie auf einem prächtigen Roß, bis ich<lb/> ſelbſt auf dem Stroh liege. — Welch' unheimlicher Abend!<lb/> Da unten iſt Alles ſtill, und da oben wechſeln und ziehen<lb/> die Wolken, und der Sonnenſchein geht und kommt wieder.<lb/> Sieh, was ſeltſame Geſtalten ſich dort jagen, ſieh die langen<lb/> weißen Schatten mit den entſetzlich mageren Beinen und<lb/> Fledermausſchwingen, und Alles ſo raſch, ſo wirr, und da<lb/> unten rührt ſich kein Blatt, kein Halm. Die Erde hat ſich<lb/> ängſtlich zuſammengeſchmiegt, wie ein Kind, und über ihre<lb/> Wiege ſchreiten die Geſpenſter.</p> </sp><lb/> <sp who="#VAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Valerio.</hi> </hi> </speaker> <p>Ich weiß nicht, was Ihr wollt, mir iſt ganz<lb/> behaglich zu Muth. Die Sonne ſieht aus, wie ein Wirths-<lb/> hausſchild, und die feurigen Wolken darüber wie die Auf-<lb/> ſchrift: "Wirthshaus zur goldenen Sonne". Die Erde und<lb/> das Waſſer da unten ſind wie ein Tiſch, auf dem Wein<lb/> verſchüttet iſt, und wir liegen darauf wie Spielkarten, mit<lb/> denen Gott und der Teufel aus Langeweile eine Parthie<lb/> machen, und Ihr ſeid ein Kartenkönig, und ich bin ein<lb/> Kartenbube, es fehlt nur noch eine Dame, eine ſchöne Dame,<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [140/0336]
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mit dem ich das Gericht eſſe, und darüber ſteht es ab.
Valerio. Ergo bibamus! Dieſe Flaſche iſt keine Ge-
liebte, keine Idee, ſie macht keine Geburtsſchmerzen, ſie wird
nicht langweilig, wird nicht treulos, ſie bleibt eins vom
erſten Tropfen bis zum letzten. Du brichſt das Siegel, und
alle Träume, die in ihr ſchlummern, ſprühen Dir entgegen.
Leonce. O Gott! Die Hälfte meines Lebens ſoll ein
Gebet ſein, wenn mir nur ein Strohhalm beſcheert wird,
auf dem ich reite, wie auf einem prächtigen Roß, bis ich
ſelbſt auf dem Stroh liege. — Welch' unheimlicher Abend!
Da unten iſt Alles ſtill, und da oben wechſeln und ziehen
die Wolken, und der Sonnenſchein geht und kommt wieder.
Sieh, was ſeltſame Geſtalten ſich dort jagen, ſieh die langen
weißen Schatten mit den entſetzlich mageren Beinen und
Fledermausſchwingen, und Alles ſo raſch, ſo wirr, und da
unten rührt ſich kein Blatt, kein Halm. Die Erde hat ſich
ängſtlich zuſammengeſchmiegt, wie ein Kind, und über ihre
Wiege ſchreiten die Geſpenſter.
Valerio. Ich weiß nicht, was Ihr wollt, mir iſt ganz
behaglich zu Muth. Die Sonne ſieht aus, wie ein Wirths-
hausſchild, und die feurigen Wolken darüber wie die Auf-
ſchrift: "Wirthshaus zur goldenen Sonne". Die Erde und
das Waſſer da unten ſind wie ein Tiſch, auf dem Wein
verſchüttet iſt, und wir liegen darauf wie Spielkarten, mit
denen Gott und der Teufel aus Langeweile eine Parthie
machen, und Ihr ſeid ein Kartenkönig, und ich bin ein
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