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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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mit einem großen Lebkuchenherz auf der Brust und einer
mächtigen Tulpe, worin die lange Nase sentimental versinkt
(die Gouvernante und die Prinzessin treten auf) und -- bei Gott
-- da ist sie! Es ist aber eigentlich keine Tulpe, sondern
eine Prise Tabak, und es ist eigentlich keine Nase, sondern ein
Rüssel! (Zur Gouvernante) Warum schreiten Sie, Wertheste,
so eilig, daß man Ihre weiland Waden bis zu Ihren respec-
tabeln Strumpfbändern sieht?
Gouvernante (heftig erzürnt, bleibt stehen). Warum reißen
Sie, Geehrtester, den Mund so weit auf, daß Sie einem
ein Loch in die Aussicht machen?
Valerio. Damit Sie, Geehrteste, sich die Nase am
Horizont nicht blutig stoßen. Solch' eine Nase ist wie der
Thurm auf Libanon, der gen Damascum steht.
Lena (zur Gouvernante). Meine Liebe, ist denn der Weg
so lang?
Leonce (träumend vor sich hin). O jeder Weg ist lang.
Das Picken der Todtenuhr in unserer Brust ist langsam,
und jeder Tropfen Blut mißt seine Zeit, und unser Leben
ist ein schleichend Fieber. Für müde Füße ist jeder Weg zu
lang ...
Lena (die ihm ängstlich sinnend zuhört). Und müden Augen
jedes Licht zu scharf, und müden Lippen jeder Hauch zu
schwer (lächelnd), und müden Ohren jedes Wort zu viel.

(Sie tritt mit der Gouvernante in das Haus.)
Leonce. O lieber Valerio! Könnte ich nicht auch sagen:
"Sollte nicht dies und ein Wald von Federbüschen nebst ein
Paar gepufften Rosen auf meinen Schuhen --?" Ich hab'
es, glaub' ich, ganz melancholisch gesagt. Gott sei Dank,
daß ich anfange, mit der Melancholie niederzukommen. Die
mit einem großen Lebkuchenherz auf der Bruſt und einer
mächtigen Tulpe, worin die lange Naſe ſentimental verſinkt
(die Gouvernante und die Prinzeſſin treten auf) und — bei Gott
— da iſt ſie! Es iſt aber eigentlich keine Tulpe, ſondern
eine Priſe Tabak, und es iſt eigentlich keine Naſe, ſondern ein
Rüſſel! (Zur Gouvernante) Warum ſchreiten Sie, Wertheſte,
ſo eilig, daß man Ihre weiland Waden bis zu Ihren reſpec-
tabeln Strumpfbändern ſieht?
Gouvernante (heftig erzürnt, bleibt ſtehen). Warum reißen
Sie, Geehrteſter, den Mund ſo weit auf, daß Sie einem
ein Loch in die Ausſicht machen?
Valerio. Damit Sie, Geehrteſte, ſich die Naſe am
Horizont nicht blutig ſtoßen. Solch' eine Naſe iſt wie der
Thurm auf Libanon, der gen Damascum ſteht.
Lena (zur Gouvernante). Meine Liebe, iſt denn der Weg
ſo lang?
Leonce (träumend vor ſich hin). O jeder Weg iſt lang.
Das Picken der Todtenuhr in unſerer Bruſt iſt langſam,
und jeder Tropfen Blut mißt ſeine Zeit, und unſer Leben
iſt ein ſchleichend Fieber. Für müde Füße iſt jeder Weg zu
lang ...
Lena (die ihm ängſtlich ſinnend zuhört). Und müden Augen
jedes Licht zu ſcharf, und müden Lippen jeder Hauch zu
ſchwer (lächelnd), und müden Ohren jedes Wort zu viel.

(Sie tritt mit der Gouvernante in das Haus.)
Leonce. O lieber Valerio! Könnte ich nicht auch ſagen:
"Sollte nicht dies und ein Wald von Federbüſchen nebſt ein
Paar gepufften Roſen auf meinen Schuhen —?" Ich hab'
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[141/0337] mit einem großen Lebkuchenherz auf der Bruſt und einer mächtigen Tulpe, worin die lange Naſe ſentimental verſinkt (die Gouvernante und die Prinzeſſin treten auf) und — bei Gott — da iſt ſie! Es iſt aber eigentlich keine Tulpe, ſondern eine Priſe Tabak, und es iſt eigentlich keine Naſe, ſondern ein Rüſſel! (Zur Gouvernante) Warum ſchreiten Sie, Wertheſte, ſo eilig, daß man Ihre weiland Waden bis zu Ihren reſpec- tabeln Strumpfbändern ſieht? Gouvernante (heftig erzürnt, bleibt ſtehen). Warum reißen Sie, Geehrteſter, den Mund ſo weit auf, daß Sie einem ein Loch in die Ausſicht machen? Valerio. Damit Sie, Geehrteſte, ſich die Naſe am Horizont nicht blutig ſtoßen. Solch' eine Naſe iſt wie der Thurm auf Libanon, der gen Damascum ſteht. Lena (zur Gouvernante). Meine Liebe, iſt denn der Weg ſo lang? Leonce (träumend vor ſich hin). O jeder Weg iſt lang. Das Picken der Todtenuhr in unſerer Bruſt iſt langſam, und jeder Tropfen Blut mißt ſeine Zeit, und unſer Leben iſt ein ſchleichend Fieber. Für müde Füße iſt jeder Weg zu lang ... Lena (die ihm ängſtlich ſinnend zuhört). Und müden Augen jedes Licht zu ſcharf, und müden Lippen jeder Hauch zu ſchwer (lächelnd), und müden Ohren jedes Wort zu viel. (Sie tritt mit der Gouvernante in das Haus.) Leonce. O lieber Valerio! Könnte ich nicht auch ſagen: "Sollte nicht dies und ein Wald von Federbüſchen nebſt ein Paar gepufften Roſen auf meinen Schuhen —?" Ich hab' es, glaub' ich, ganz melancholiſch geſagt. Gott ſei Dank, daß ich anfange, mit der Melancholie niederzukommen. Die

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/337>, abgerufen am 21.11.2024.