Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
mir ein entsetzlicher Gedanke, ich glaube, es gibt Menschen, die unglücklich sind, unheilbar, blos weil sie sind. (Sie erhebt sich.) Gouvernante. Wohin mein Kind? Lena. Ich will hinunter in den Garten. Gouvernante. Aber -- Lena. Aber liebe Mutter, du weißt, man hätte mich eigentlich in eine Scherbe setzen sollen. Ich brauche Thau und Nachtluft, wie die Blumen. -- Hörst du die Harmonie des Abends? Wie die Grillen den Tag einsingen und die Nachtviolen ihn mit ihrem Duft einschläfern! Ich kann nicht im Zimmer bleiben. Die Wände fallen auf mich. Vierte Scene. Der Garten. Nacht und Mondschein. Man sieht Lena auf dem Rasen sitzend. Valerio (in einiger Entfernung). Es ist eine schöne Sache um die Natur, sie wäre aber doch noch schöner, wenn es keine Schnaken gäbe, die Wirthsbetten etwas reinlicher wären und die Todtenuhren nicht so an den Wänden pickten. Drin schnarchen die Menschen, und da außen quaken die Frösche, drin pfeifen die Hausgrillen und da außen die Feld- grillen. Lieber Rasen, dies ist ein rasender Entschluß. Leonce tritt auf, bemerkt die Prinzessin und nähert sich ihr leise. Lena (spricht vor sich hin). Die Grasmücke hat im Traum gezwitschert. -- Die Nacht schläft tiefer, ihre Wange
mir ein entſetzlicher Gedanke, ich glaube, es gibt Menſchen, die unglücklich ſind, unheilbar, blos weil ſie ſind. (Sie erhebt ſich.) Gouvernante. Wohin mein Kind? Lena. Ich will hinunter in den Garten. Gouvernante. Aber — Lena. Aber liebe Mutter, du weißt, man hätte mich eigentlich in eine Scherbe ſetzen ſollen. Ich brauche Thau und Nachtluft, wie die Blumen. — Hörſt du die Harmonie des Abends? Wie die Grillen den Tag einſingen und die Nachtviolen ihn mit ihrem Duft einſchläfern! Ich kann nicht im Zimmer bleiben. Die Wände fallen auf mich. Vierte Scene. Der Garten. Nacht und Mondſchein. Man ſieht Lena auf dem Raſen ſitzend. Valerio (in einiger Entfernung). Es iſt eine ſchöne Sache um die Natur, ſie wäre aber doch noch ſchöner, wenn es keine Schnaken gäbe, die Wirthsbetten etwas reinlicher wären und die Todtenuhren nicht ſo an den Wänden pickten. Drin ſchnarchen die Menſchen, und da außen quaken die Fröſche, drin pfeifen die Hausgrillen und da außen die Feld- grillen. Lieber Raſen, dies iſt ein raſender Entſchluß. Leonce tritt auf, bemerkt die Prinzeſſin und nähert ſich ihr leiſe. Lena (ſpricht vor ſich hin). Die Grasmücke hat im Traum gezwitſchert. — Die Nacht ſchläft tiefer, ihre Wange <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#LENA"> <p><pb facs="#f0339" n="143"/> mir ein entſetzlicher Gedanke, ich glaube, es gibt Menſchen,<lb/> die unglücklich ſind, unheilbar, blos weil <hi rendition="#g">ſie ſind</hi>.</p> <stage>(Sie<lb/> erhebt ſich.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#GOU"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Gouvernante.</hi> </hi> </speaker> <p>Wohin mein Kind?</p> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena.</hi> </hi> </speaker> <p>Ich will hinunter in den Garten.</p> </sp><lb/> <sp who="#GOU"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Gouvernante.</hi> </hi> </speaker> <p>Aber —</p> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena.</hi> </hi> </speaker> <p>Aber liebe Mutter, du weißt, man hätte mich<lb/> eigentlich in eine Scherbe ſetzen ſollen. Ich brauche Thau<lb/> und Nachtluft, wie die Blumen. — Hörſt du die Harmonie<lb/> des Abends? Wie die Grillen den Tag einſingen und die<lb/> Nachtviolen ihn mit ihrem Duft einſchläfern! Ich kann nicht<lb/> im Zimmer bleiben. Die Wände fallen auf mich.</p> </sp> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div type="scene" n="4"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Vierte Scene.</hi> </hi> </hi> </head><lb/> <stage>Der Garten. Nacht und Mondſchein.<lb/> Man ſieht <hi rendition="#fr"><hi rendition="#b">Lena</hi></hi> auf dem Raſen ſitzend.</stage><lb/> <sp who="#VAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Valerio</hi> </hi> </speaker> <stage>(in einiger Entfernung).</stage> <p>Es iſt eine ſchöne<lb/> Sache um die Natur, ſie wäre aber doch noch ſchöner, wenn<lb/> es keine Schnaken gäbe, die Wirthsbetten etwas reinlicher<lb/> wären und die Todtenuhren nicht ſo an den Wänden pickten.<lb/> Drin ſchnarchen die Menſchen, und da außen quaken die<lb/> Fröſche, drin pfeifen die Hausgrillen und da außen die Feld-<lb/> grillen. Lieber Raſen, dies iſt ein raſender Entſchluß.</p><lb/> <stage><hi rendition="#fr"><hi rendition="#b">Leonce</hi></hi> tritt auf, bemerkt die Prinzeſſin und nähert ſich ihr leiſe.</stage> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena</hi> </hi> </speaker> <stage>(ſpricht vor ſich hin).</stage> <p>Die Grasmücke hat im<lb/> Traum gezwitſchert. — Die Nacht ſchläft tiefer, ihre Wange<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [143/0339]
mir ein entſetzlicher Gedanke, ich glaube, es gibt Menſchen,
die unglücklich ſind, unheilbar, blos weil ſie ſind. (Sie
erhebt ſich.)
Gouvernante. Wohin mein Kind?
Lena. Ich will hinunter in den Garten.
Gouvernante. Aber —
Lena. Aber liebe Mutter, du weißt, man hätte mich
eigentlich in eine Scherbe ſetzen ſollen. Ich brauche Thau
und Nachtluft, wie die Blumen. — Hörſt du die Harmonie
des Abends? Wie die Grillen den Tag einſingen und die
Nachtviolen ihn mit ihrem Duft einſchläfern! Ich kann nicht
im Zimmer bleiben. Die Wände fallen auf mich.
Vierte Scene.
Der Garten. Nacht und Mondſchein.
Man ſieht Lena auf dem Raſen ſitzend.
Valerio (in einiger Entfernung). Es iſt eine ſchöne
Sache um die Natur, ſie wäre aber doch noch ſchöner, wenn
es keine Schnaken gäbe, die Wirthsbetten etwas reinlicher
wären und die Todtenuhren nicht ſo an den Wänden pickten.
Drin ſchnarchen die Menſchen, und da außen quaken die
Fröſche, drin pfeifen die Hausgrillen und da außen die Feld-
grillen. Lieber Raſen, dies iſt ein raſender Entſchluß.
Leonce tritt auf, bemerkt die Prinzeſſin und nähert ſich ihr leiſe.
Lena (ſpricht vor ſich hin). Die Grasmücke hat im
Traum gezwitſchert. — Die Nacht ſchläft tiefer, ihre Wange
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |