Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
wird bleicher und ihr Athem stiller. Der Mond ist wie ein schlafendes Kind, die goldnen Locken sind ihm im Schlaf über das liebe Gesicht heruntergefallen. -- Oh, sein Schlaf ist Tod. Wie der todte Engel auf seinem dunklen Kissen ruht und die Sterne gleich Kerzen um ihn brennen! Armes Kind! Es ist traurig, todt und so allein. Leonce. Steh' auf in deinem weißen Kleid und wandle hinter der Leiche durch die Nacht und singe ihr das Sterbelied. Lena. Wer spricht da? Leonce. Ein Traum. Lena. Träume sind selig. Leonce. So träume dich selig und laß mich dein seliger Traum sein. Lena. Der Tod ist der seligste Traum. Leonce. So laß mich dein Todesengel sein. Laß meine Lippen sich gleich seinen Schwingen auf deine Augen senken. (Er küßt sie). Schöne Leiche, du ruhst so lieblich auf dem schwarzen Bahrtuche der Nacht, daß die Natur das Leben haßt und sich in den Tod verliebt. Lena. Nein, laß mich. (Sie springt auf und entfernt sich rasch.) Leonce. Zu viel! Zu viel! Mein ganzes Sein ist in dem einen Augenblick. Jetzt stirb! Mehr ist unmöglich. Wie frischathmend, schönheitglänzend ringt die Schöpfung sich aus dem Chaos mir entgegen. Die Erde ist eine Schale von dunklem Gold, wie schäumt das Licht in ihr und fluthet über ihren Rand, und hellauf perlen daraus die Sterne. Dieser eine Tropfen Seligkeit macht mich zu einem köstlichen Gefäß. Hinab, heiliger Becher! (Er will sich in den Fluß stürzen.) Valerio (springt auf und umfaßt ihn). Halt, Serenissime!
wird bleicher und ihr Athem ſtiller. Der Mond iſt wie ein ſchlafendes Kind, die goldnen Locken ſind ihm im Schlaf über das liebe Geſicht heruntergefallen. — Oh, ſein Schlaf iſt Tod. Wie der todte Engel auf ſeinem dunklen Kiſſen ruht und die Sterne gleich Kerzen um ihn brennen! Armes Kind! Es iſt traurig, todt und ſo allein. Leonce. Steh' auf in deinem weißen Kleid und wandle hinter der Leiche durch die Nacht und ſinge ihr das Sterbelied. Lena. Wer ſpricht da? Leonce. Ein Traum. Lena. Träume ſind ſelig. Leonce. So träume dich ſelig und laß mich dein ſeliger Traum ſein. Lena. Der Tod iſt der ſeligſte Traum. Leonce. So laß mich dein Todesengel ſein. Laß meine Lippen ſich gleich ſeinen Schwingen auf deine Augen ſenken. (Er küßt ſie). Schöne Leiche, du ruhſt ſo lieblich auf dem ſchwarzen Bahrtuche der Nacht, daß die Natur das Leben haßt und ſich in den Tod verliebt. Lena. Nein, laß mich. (Sie ſpringt auf und entfernt ſich raſch.) Leonce. Zu viel! Zu viel! Mein ganzes Sein iſt in dem einen Augenblick. Jetzt ſtirb! Mehr iſt unmöglich. Wie friſchathmend, ſchönheitglänzend ringt die Schöpfung ſich aus dem Chaos mir entgegen. Die Erde iſt eine Schale von dunklem Gold, wie ſchäumt das Licht in ihr und fluthet über ihren Rand, und hellauf perlen daraus die Sterne. Dieſer eine Tropfen Seligkeit macht mich zu einem köſtlichen Gefäß. Hinab, heiliger Becher! (Er will ſich in den Fluß ſtürzen.) Valerio (ſpringt auf und umfaßt ihn). Halt, Sereniſſime! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#LENA"> <p><pb facs="#f0340" n="144"/> wird bleicher und ihr Athem ſtiller. Der Mond iſt wie ein<lb/> ſchlafendes Kind, die goldnen Locken ſind ihm im Schlaf<lb/> über das liebe Geſicht heruntergefallen. — Oh, ſein Schlaf<lb/> iſt Tod. Wie der todte Engel auf ſeinem dunklen Kiſſen<lb/> ruht und die Sterne gleich Kerzen um ihn brennen! Armes<lb/> Kind! Es iſt traurig, todt und ſo allein.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Leonce.</hi> </hi> </speaker> <p>Steh' auf in deinem weißen Kleid und wandle<lb/> hinter der Leiche durch die Nacht und ſinge ihr das Sterbelied.</p> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena.</hi> </hi> </speaker> <p>Wer ſpricht da?</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Leonce.</hi> </hi> </speaker> <p>Ein Traum.</p> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena.</hi> </hi> </speaker> <p>Träume ſind ſelig.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Leonce.</hi> </hi> </speaker> <p>So träume dich ſelig und laß mich dein<lb/> ſeliger Traum ſein.</p> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena.</hi> </hi> </speaker> <p>Der Tod iſt der ſeligſte Traum.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Leonce.</hi> </hi> </speaker> <p>So laß mich dein Todesengel ſein. Laß meine<lb/> Lippen ſich gleich ſeinen Schwingen auf deine Augen ſenken.<lb/><stage>(Er küßt ſie).</stage> Schöne Leiche, du ruhſt ſo lieblich auf dem<lb/> ſchwarzen Bahrtuche der Nacht, daß die Natur das Leben<lb/> haßt und ſich in den Tod verliebt.</p> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena.</hi> </hi> </speaker> <p>Nein, laß mich.</p> <stage>(Sie ſpringt auf und entfernt<lb/> ſich raſch.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Leonce.</hi> </hi> </speaker> <p>Zu viel! Zu viel! Mein ganzes Sein iſt<lb/> in dem <hi rendition="#g">einen</hi> Augenblick. Jetzt ſtirb! Mehr iſt unmöglich.<lb/> Wie friſchathmend, ſchönheitglänzend ringt die Schöpfung ſich<lb/> aus dem Chaos mir entgegen. Die Erde iſt eine Schale von<lb/> dunklem Gold, wie ſchäumt das Licht in ihr und fluthet über<lb/> ihren Rand, und hellauf perlen daraus die Sterne. Dieſer<lb/> eine Tropfen Seligkeit macht mich zu einem köſtlichen Gefäß.<lb/> Hinab, heiliger Becher!</p> <stage>(Er will ſich in den Fluß ſtürzen.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#VAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Valerio</hi> </hi> </speaker> <stage>(ſpringt auf und umfaßt ihn).</stage> <p>Halt, Sereniſſime!</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0340]
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iſt Tod. Wie der todte Engel auf ſeinem dunklen Kiſſen
ruht und die Sterne gleich Kerzen um ihn brennen! Armes
Kind! Es iſt traurig, todt und ſo allein.
Leonce. Steh' auf in deinem weißen Kleid und wandle
hinter der Leiche durch die Nacht und ſinge ihr das Sterbelied.
Lena. Wer ſpricht da?
Leonce. Ein Traum.
Lena. Träume ſind ſelig.
Leonce. So träume dich ſelig und laß mich dein
ſeliger Traum ſein.
Lena. Der Tod iſt der ſeligſte Traum.
Leonce. So laß mich dein Todesengel ſein. Laß meine
Lippen ſich gleich ſeinen Schwingen auf deine Augen ſenken.
(Er küßt ſie). Schöne Leiche, du ruhſt ſo lieblich auf dem
ſchwarzen Bahrtuche der Nacht, daß die Natur das Leben
haßt und ſich in den Tod verliebt.
Lena. Nein, laß mich. (Sie ſpringt auf und entfernt
ſich raſch.)
Leonce. Zu viel! Zu viel! Mein ganzes Sein iſt
in dem einen Augenblick. Jetzt ſtirb! Mehr iſt unmöglich.
Wie friſchathmend, ſchönheitglänzend ringt die Schöpfung ſich
aus dem Chaos mir entgegen. Die Erde iſt eine Schale von
dunklem Gold, wie ſchäumt das Licht in ihr und fluthet über
ihren Rand, und hellauf perlen daraus die Sterne. Dieſer
eine Tropfen Seligkeit macht mich zu einem köſtlichen Gefäß.
Hinab, heiliger Becher! (Er will ſich in den Fluß ſtürzen.)
Valerio (ſpringt auf und umfaßt ihn). Halt, Sereniſſime!
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