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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Leonce. Laß mich!
Valerio. Ich werde Sie lassen, sobald Sie gelassen
sind und das Wasser zu lassen versprechen.
Leonce. Dummkopf!
Valerio. Ist denn Eure Hoheit noch nicht über die
Lieutenantsromantik hinaus: das Glas zum Fenster hinaus zu
werfen, womit man die Gesundheit seiner Geliebten getrunken?
Leonce. Ich glaube halbwegs, du hast Recht.
Valerio. Trösten Sie Sich. Wenn Sie auch nicht
heute Nacht unter dem Rasen schlafen, so schlafen Sie
wenigstens darauf. Es wäre ein eben so selbstmörderischer
Versuch, in eins von den Betten gehen zu wollen. Man
liegt auf dem Stroh, wie ein Todter, und wird von dem
Ungeziefer gestochen, wie ein Lebendiger.
Leonce. Meinetwegen. (Er legt sich ins Gras.) Mensch,
du hast mich um den schönsten Selbstmord gebracht. Ich
werde in meinem Leben keinen so vorzüglichen Augenblick
mehr dazu finden, und das Wetter ist vortrefflich. Jetzt bin
ich schon aus der Stimmung. Der Kerl hat mir mit seiner
gelben Weste und seinen himmelblauen Hosen Alles ver-
dorben. -- Der Himmel bescheere mir einen recht gesunden,
plumpen Schlaf.
Valerio. Amen -- und ich habe ein Menschenleben
gerettet und werde mir mit meinem guten Gewissen heute
Nacht den Leib warm halten. Wohl bekomm's, Valerio!



G. Büchner's Werke. 10
Leonce. Laß mich!
Valerio. Ich werde Sie laſſen, ſobald Sie gelaſſen
ſind und das Waſſer zu laſſen verſprechen.
Leonce. Dummkopf!
Valerio. Iſt denn Eure Hoheit noch nicht über die
Lieutenantsromantik hinaus: das Glas zum Fenſter hinaus zu
werfen, womit man die Geſundheit ſeiner Geliebten getrunken?
Leonce. Ich glaube halbwegs, du haſt Recht.
Valerio. Tröſten Sie Sich. Wenn Sie auch nicht
heute Nacht unter dem Raſen ſchlafen, ſo ſchlafen Sie
wenigſtens darauf. Es wäre ein eben ſo ſelbſtmörderiſcher
Verſuch, in eins von den Betten gehen zu wollen. Man
liegt auf dem Stroh, wie ein Todter, und wird von dem
Ungeziefer geſtochen, wie ein Lebendiger.
Leonce. Meinetwegen. (Er legt ſich ins Gras.) Menſch,
du haſt mich um den ſchönſten Selbſtmord gebracht. Ich
werde in meinem Leben keinen ſo vorzüglichen Augenblick
mehr dazu finden, und das Wetter iſt vortrefflich. Jetzt bin
ich ſchon aus der Stimmung. Der Kerl hat mir mit ſeiner
gelben Weſte und ſeinen himmelblauen Hoſen Alles ver-
dorben. — Der Himmel beſcheere mir einen recht geſunden,
plumpen Schlaf.
Valerio. Amen — und ich habe ein Menſchenleben
gerettet und werde mir mit meinem guten Gewiſſen heute
Nacht den Leib warm halten. Wohl bekomm's, Valerio!



G. Büchner's Werke. 10
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[145/0341] Leonce. Laß mich! Valerio. Ich werde Sie laſſen, ſobald Sie gelaſſen ſind und das Waſſer zu laſſen verſprechen. Leonce. Dummkopf! Valerio. Iſt denn Eure Hoheit noch nicht über die Lieutenantsromantik hinaus: das Glas zum Fenſter hinaus zu werfen, womit man die Geſundheit ſeiner Geliebten getrunken? Leonce. Ich glaube halbwegs, du haſt Recht. Valerio. Tröſten Sie Sich. Wenn Sie auch nicht heute Nacht unter dem Raſen ſchlafen, ſo ſchlafen Sie wenigſtens darauf. Es wäre ein eben ſo ſelbſtmörderiſcher Verſuch, in eins von den Betten gehen zu wollen. Man liegt auf dem Stroh, wie ein Todter, und wird von dem Ungeziefer geſtochen, wie ein Lebendiger. Leonce. Meinetwegen. (Er legt ſich ins Gras.) Menſch, du haſt mich um den ſchönſten Selbſtmord gebracht. Ich werde in meinem Leben keinen ſo vorzüglichen Augenblick mehr dazu finden, und das Wetter iſt vortrefflich. Jetzt bin ich ſchon aus der Stimmung. Der Kerl hat mir mit ſeiner gelben Weſte und ſeinen himmelblauen Hoſen Alles ver- dorben. — Der Himmel beſcheere mir einen recht geſunden, plumpen Schlaf. Valerio. Amen — und ich habe ein Menſchenleben gerettet und werde mir mit meinem guten Gewiſſen heute Nacht den Leib warm halten. Wohl bekomm's, Valerio! G. Büchner's Werke. 10

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/341>, abgerufen am 21.11.2024.