rascher fließen machen, er versuchte Alles, aber kalt, kalt. Er mußte dann hinaus ins Freie -- das wenige, durch die Nacht zerstreute Licht, wenn seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt waren, machte ihm besser; er stürzte sich in den Brunnen, die grelle Wirkung des Wassers machte ihm besser, auch hatte er eine geheime Hoffnung auf eine Krankheit; er verrichtete sein Bad jetzt mit weniger Geräusch. Doch jemehr er sich in das Leben hineinlebte, ward er ruhiger, er unterstützte Oberlin, zeichnete, las die Bibel; alte, ver- gangene Hoffnungen gingen in ihm auf; das neue Testament trat ihm hier so entgegen, und eines Morgens ging er hinaus. Wie Oberlin ihm erzählte, wie ihn eine unauf- haltsame Hand auf der Brücke gehalten hätte, wie auf der Höhe ein Glanz seine Augen geblendet hätte, wie er eine Stimme gehört hätte, wie es in der Nacht mit ihm ge- sprochen, und wie Gott so ganz bei ihm eingekehrt, daß er kindlich seine Loose aus der Tasche holte, um zu wissen, was er thun sollte -- dieser Glaube, dieser ewige Himmel im Leben, dieses Sein in Gott: jetzt erst ging ihm die heilige Schrift auf. Wie den Leuten die Natur so nah trat, alles in himmlischen Mysterien! aber nicht gewaltsam majestätisch, sondern noch vertraut! -- Er ging des Morgens hinaus, die Nacht war Schnee gefallen, im Thale lag heller Sonnenschein, aber weiterhin die Landschaft halb im Nebel. Er kam bald vom Weg ab und eine sanfte Höhe hinauf, keine Spur von Fußtritten mehr, neben einem Tannenwalde hin, die Sonne schnitt Krystalle, der Schnee war leicht und flockig, hie und da Spur von Wild leicht auf dem Schnee, die sich ins Gebirg hinzog. Keine Regung in der Luft, als ein leises Wehen, als das Rauschen eines Vogels, der die
raſcher fließen machen, er verſuchte Alles, aber kalt, kalt. Er mußte dann hinaus ins Freie — das wenige, durch die Nacht zerſtreute Licht, wenn ſeine Augen an die Dunkelheit gewöhnt waren, machte ihm beſſer; er ſtürzte ſich in den Brunnen, die grelle Wirkung des Waſſers machte ihm beſſer, auch hatte er eine geheime Hoffnung auf eine Krankheit; er verrichtete ſein Bad jetzt mit weniger Geräuſch. Doch jemehr er ſich in das Leben hineinlebte, ward er ruhiger, er unterſtützte Oberlin, zeichnete, las die Bibel; alte, ver- gangene Hoffnungen gingen in ihm auf; das neue Teſtament trat ihm hier ſo entgegen, und eines Morgens ging er hinaus. Wie Oberlin ihm erzählte, wie ihn eine unauf- haltſame Hand auf der Brücke gehalten hätte, wie auf der Höhe ein Glanz ſeine Augen geblendet hätte, wie er eine Stimme gehört hätte, wie es in der Nacht mit ihm ge- ſprochen, und wie Gott ſo ganz bei ihm eingekehrt, daß er kindlich ſeine Looſe aus der Taſche holte, um zu wiſſen, was er thun ſollte — dieſer Glaube, dieſer ewige Himmel im Leben, dieſes Sein in Gott: jetzt erſt ging ihm die heilige Schrift auf. Wie den Leuten die Natur ſo nah trat, alles in himmliſchen Myſterien! aber nicht gewaltſam majeſtätiſch, ſondern noch vertraut! — Er ging des Morgens hinaus, die Nacht war Schnee gefallen, im Thale lag heller Sonnenſchein, aber weiterhin die Landſchaft halb im Nebel. Er kam bald vom Weg ab und eine ſanfte Höhe hinauf, keine Spur von Fußtritten mehr, neben einem Tannenwalde hin, die Sonne ſchnitt Kryſtalle, der Schnee war leicht und flockig, hie und da Spur von Wild leicht auf dem Schnee, die ſich ins Gebirg hinzog. Keine Regung in der Luft, als ein leiſes Wehen, als das Rauſchen eines Vogels, der die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0409"n="213"/>
raſcher fließen machen, er verſuchte Alles, aber kalt, kalt.<lb/>
Er mußte dann hinaus ins Freie — das wenige, durch die<lb/>
Nacht zerſtreute Licht, wenn ſeine Augen an die Dunkelheit<lb/>
gewöhnt waren, machte ihm beſſer; er ſtürzte ſich in den<lb/>
Brunnen, die grelle Wirkung des Waſſers machte ihm beſſer,<lb/>
auch hatte er eine geheime Hoffnung auf eine Krankheit; er<lb/>
verrichtete ſein Bad jetzt mit weniger Geräuſch. Doch<lb/>
jemehr er ſich in das Leben hineinlebte, ward er ruhiger,<lb/>
er unterſtützte Oberlin, zeichnete, las die Bibel; alte, ver-<lb/>
gangene Hoffnungen gingen in ihm auf; das neue Teſtament<lb/>
trat ihm hier ſo entgegen, und eines Morgens ging er<lb/>
hinaus. Wie Oberlin ihm erzählte, wie ihn eine unauf-<lb/>
haltſame Hand auf der Brücke gehalten hätte, wie auf der<lb/>
Höhe ein Glanz ſeine Augen geblendet hätte, wie er eine<lb/>
Stimme gehört hätte, wie es in der Nacht mit ihm ge-<lb/>ſprochen, und wie Gott ſo ganz bei ihm eingekehrt, daß er<lb/>
kindlich ſeine Looſe aus der Taſche holte, um zu wiſſen,<lb/>
was er thun ſollte — dieſer Glaube, dieſer ewige Himmel<lb/>
im Leben, dieſes Sein in Gott: jetzt erſt ging ihm die<lb/>
heilige Schrift auf. Wie den Leuten die Natur ſo nah<lb/>
trat, alles in himmliſchen Myſterien! aber nicht gewaltſam<lb/>
majeſtätiſch, ſondern noch vertraut! — Er ging des Morgens<lb/>
hinaus, die Nacht war Schnee gefallen, im Thale lag heller<lb/>
Sonnenſchein, aber weiterhin die Landſchaft halb im Nebel.<lb/>
Er kam bald vom Weg ab und eine ſanfte Höhe hinauf,<lb/>
keine Spur von Fußtritten mehr, neben einem Tannenwalde<lb/>
hin, die Sonne ſchnitt Kryſtalle, der Schnee war leicht und<lb/>
flockig, hie und da Spur von Wild leicht auf dem Schnee,<lb/>
die ſich ins Gebirg hinzog. Keine Regung in der Luft, als<lb/>
ein leiſes Wehen, als das Rauſchen eines Vogels, der die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[213/0409]
raſcher fließen machen, er verſuchte Alles, aber kalt, kalt.
Er mußte dann hinaus ins Freie — das wenige, durch die
Nacht zerſtreute Licht, wenn ſeine Augen an die Dunkelheit
gewöhnt waren, machte ihm beſſer; er ſtürzte ſich in den
Brunnen, die grelle Wirkung des Waſſers machte ihm beſſer,
auch hatte er eine geheime Hoffnung auf eine Krankheit; er
verrichtete ſein Bad jetzt mit weniger Geräuſch. Doch
jemehr er ſich in das Leben hineinlebte, ward er ruhiger,
er unterſtützte Oberlin, zeichnete, las die Bibel; alte, ver-
gangene Hoffnungen gingen in ihm auf; das neue Teſtament
trat ihm hier ſo entgegen, und eines Morgens ging er
hinaus. Wie Oberlin ihm erzählte, wie ihn eine unauf-
haltſame Hand auf der Brücke gehalten hätte, wie auf der
Höhe ein Glanz ſeine Augen geblendet hätte, wie er eine
Stimme gehört hätte, wie es in der Nacht mit ihm ge-
ſprochen, und wie Gott ſo ganz bei ihm eingekehrt, daß er
kindlich ſeine Looſe aus der Taſche holte, um zu wiſſen,
was er thun ſollte — dieſer Glaube, dieſer ewige Himmel
im Leben, dieſes Sein in Gott: jetzt erſt ging ihm die
heilige Schrift auf. Wie den Leuten die Natur ſo nah
trat, alles in himmliſchen Myſterien! aber nicht gewaltſam
majeſtätiſch, ſondern noch vertraut! — Er ging des Morgens
hinaus, die Nacht war Schnee gefallen, im Thale lag heller
Sonnenſchein, aber weiterhin die Landſchaft halb im Nebel.
Er kam bald vom Weg ab und eine ſanfte Höhe hinauf,
keine Spur von Fußtritten mehr, neben einem Tannenwalde
hin, die Sonne ſchnitt Kryſtalle, der Schnee war leicht und
flockig, hie und da Spur von Wild leicht auf dem Schnee,
die ſich ins Gebirg hinzog. Keine Regung in der Luft, als
ein leiſes Wehen, als das Rauſchen eines Vogels, der die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/409>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.