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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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kopiren, wo einem kein Leben, keine Muskeln, kein Puls
entgegenschwillt und pocht. Kaufmann warf ihm vor, daß
er in der Wirklichkeit doch keine Typen für einen Apoll
von Belvedere oder eine Raphaelische Madonna finden würde.
Was liegt daran, versetzte er, ich muß gestehen, ich fühle
mich dabei sehr todt. Wenn ich in mir arbeite, kann ich
auch wohl was dabei fühlen, aber ich thue das Beste daran.
Der Dichter und Bildende ist mir der Liebste, der mir die
Natur am Wirklichsten gibt, so daß ich über seinem Gebild
fühle; alles Uebrige stört mich. Die holländischen Maler
sind mir lieber, als die italienischen, sie sind auch die ein-
zigen faßlichen; ich kenne nur zwei Bilder, und zwar von
Niederländern, die mir einen Eindruck gemacht hätten, wie
das neue Testament; das Eine ist, ich weiß nicht von wem,
Christus und die Jünger von Emaus: Wenn man so
liest, wie die Jünger hinausgingen, es liegt gleich die ganze
Natur in den Paar Worten. Es ist ein trüber, dämmern-
der Abend, ein einförmiger rother Streifen am Horizont,
halbfinster auf der Straße, da kommt ein Unbekannter zu
ihnen, sie sprechen, er bricht das Brod, da erkennen sie ihn,
in einfach-menschlicher Art, und die göttlich-leidenden Züge
reden ihnen deutlich, und sie erschrecken, denn es ist finster
geworden, und es tritt sie etwas Unbegreifliches an, aber es
ist kein gespenstisches Grauen, es ist, wie wenn einem ein
geliebter Todter in der Dämmerung in der alten Art ent-
gegenträte; so ist das Bild mit dem einförmigen, bräunlichen
Ton darüber, dem trüben stillen Abend. Dann ein Anderes:
Eine Frau sitzt in ihrer Kammer, das Gebetbuch in der
Hand. Es ist sonntäglich aufgeputzt, der Sand zerstreut,
so heimlich rein und warm. Die Frau hat nicht zur Kirche

kopiren, wo einem kein Leben, keine Muskeln, kein Puls
entgegenſchwillt und pocht. Kaufmann warf ihm vor, daß
er in der Wirklichkeit doch keine Typen für einen Apoll
von Belvedere oder eine Raphaeliſche Madonna finden würde.
Was liegt daran, verſetzte er, ich muß geſtehen, ich fühle
mich dabei ſehr todt. Wenn ich in mir arbeite, kann ich
auch wohl was dabei fühlen, aber ich thue das Beſte daran.
Der Dichter und Bildende iſt mir der Liebſte, der mir die
Natur am Wirklichſten gibt, ſo daß ich über ſeinem Gebild
fühle; alles Uebrige ſtört mich. Die holländiſchen Maler
ſind mir lieber, als die italieniſchen, ſie ſind auch die ein-
zigen faßlichen; ich kenne nur zwei Bilder, und zwar von
Niederländern, die mir einen Eindruck gemacht hätten, wie
das neue Teſtament; das Eine iſt, ich weiß nicht von wem,
Chriſtus und die Jünger von Emaus: Wenn man ſo
lieſt, wie die Jünger hinausgingen, es liegt gleich die ganze
Natur in den Paar Worten. Es iſt ein trüber, dämmern-
der Abend, ein einförmiger rother Streifen am Horizont,
halbfinſter auf der Straße, da kommt ein Unbekannter zu
ihnen, ſie ſprechen, er bricht das Brod, da erkennen ſie ihn,
in einfach-menſchlicher Art, und die göttlich-leidenden Züge
reden ihnen deutlich, und ſie erſchrecken, denn es iſt finſter
geworden, und es tritt ſie etwas Unbegreifliches an, aber es
iſt kein geſpenſtiſches Grauen, es iſt, wie wenn einem ein
geliebter Todter in der Dämmerung in der alten Art ent-
gegenträte; ſo iſt das Bild mit dem einförmigen, bräunlichen
Ton darüber, dem trüben ſtillen Abend. Dann ein Anderes:
Eine Frau ſitzt in ihrer Kammer, das Gebetbuch in der
Hand. Es iſt ſonntäglich aufgeputzt, der Sand zerſtreut,
ſo heimlich rein und warm. Die Frau hat nicht zur Kirche

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[220/0416] kopiren, wo einem kein Leben, keine Muskeln, kein Puls entgegenſchwillt und pocht. Kaufmann warf ihm vor, daß er in der Wirklichkeit doch keine Typen für einen Apoll von Belvedere oder eine Raphaeliſche Madonna finden würde. Was liegt daran, verſetzte er, ich muß geſtehen, ich fühle mich dabei ſehr todt. Wenn ich in mir arbeite, kann ich auch wohl was dabei fühlen, aber ich thue das Beſte daran. Der Dichter und Bildende iſt mir der Liebſte, der mir die Natur am Wirklichſten gibt, ſo daß ich über ſeinem Gebild fühle; alles Uebrige ſtört mich. Die holländiſchen Maler ſind mir lieber, als die italieniſchen, ſie ſind auch die ein- zigen faßlichen; ich kenne nur zwei Bilder, und zwar von Niederländern, die mir einen Eindruck gemacht hätten, wie das neue Teſtament; das Eine iſt, ich weiß nicht von wem, Chriſtus und die Jünger von Emaus: Wenn man ſo lieſt, wie die Jünger hinausgingen, es liegt gleich die ganze Natur in den Paar Worten. Es iſt ein trüber, dämmern- der Abend, ein einförmiger rother Streifen am Horizont, halbfinſter auf der Straße, da kommt ein Unbekannter zu ihnen, ſie ſprechen, er bricht das Brod, da erkennen ſie ihn, in einfach-menſchlicher Art, und die göttlich-leidenden Züge reden ihnen deutlich, und ſie erſchrecken, denn es iſt finſter geworden, und es tritt ſie etwas Unbegreifliches an, aber es iſt kein geſpenſtiſches Grauen, es iſt, wie wenn einem ein geliebter Todter in der Dämmerung in der alten Art ent- gegenträte; ſo iſt das Bild mit dem einförmigen, bräunlichen Ton darüber, dem trüben ſtillen Abend. Dann ein Anderes: Eine Frau ſitzt in ihrer Kammer, das Gebetbuch in der Hand. Es iſt ſonntäglich aufgeputzt, der Sand zerſtreut, ſo heimlich rein und warm. Die Frau hat nicht zur Kirche

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/416>, abgerufen am 21.11.2024.