Knabe zum Jüngling wurde, haben ihre guten, klugen Augen doppelt sorglich über ihm gewacht.
Dieser Gährungsprozeß fiel in sein siebzehntes Jahr und führte in überraschend kurzer Zeit zu einer völligen Klärung und Wandlung. Dieselbe merkwürdige Erscheinung werden wir auch in der Folge genau so oft zu constatiren haben, als eben überhaupt von einem Entwicklungsstadium seines Wesens zu berichten ist: jähe Revolution, nie lang- same Evolution! Metamorphosen, zu denen schwächere Naturen Jahre, in schmerzlichem Zwiespalt verbrachte Jahre bedürfen, hat dieser Jüngling in kurzer Frist mit jener Energie, mit jener instinctiven Sicherheit überwunden, welche so überaus selten und ein untrügliches Zeichen genialer Be- gabung ist. Auch hier schon fand er die Kraft und den Muth, binnen wenigen Monaten Alles aus sich auszu- scheiden, was ihm unreif und schwächlich schien, und in seinem Streben und Denken ein Anderer zu werden. Seine Aufsätze, die Mittheilungen seiner Freunde beweisen es.
Binnen wenigen Monaten! Und doch gilt auch hier das Wort: "nunquam saltus in natura." Die Wandlung an sich war eine völlig naturgemäße; sie vollzieht sich fast bei jedem Menschen in denselben Jahren. Auffällig wird sie hier nur deßhalb, weil sie so plötzlich und radikal auf- tritt. Das allein legt auch den Gedanken nahe, nach einer äußeren Veranlassung zu fragen, nach einer fremden Hand, welche den Jüngling wachgerüttelt und zum Bewußtsein all' seiner Kraft gebracht. In der That war hier äußerer Ein- fluß thätig. Aber nicht etwa der Einfluß einer bedeutenden, machtvollen Persönlichkeit, auch nicht der Eindruck eines Er- lebnisses, sondern der Geist der Zeit. Zum ersten Male
Knabe zum Jüngling wurde, haben ihre guten, klugen Augen doppelt ſorglich über ihm gewacht.
Dieſer Gährungsprozeß fiel in ſein ſiebzehntes Jahr und führte in überraſchend kurzer Zeit zu einer völligen Klärung und Wandlung. Dieſelbe merkwürdige Erſcheinung werden wir auch in der Folge genau ſo oft zu conſtatiren haben, als eben überhaupt von einem Entwicklungsſtadium ſeines Weſens zu berichten iſt: jähe Revolution, nie lang- ſame Evolution! Metamorphoſen, zu denen ſchwächere Naturen Jahre, in ſchmerzlichem Zwieſpalt verbrachte Jahre bedürfen, hat dieſer Jüngling in kurzer Friſt mit jener Energie, mit jener inſtinctiven Sicherheit überwunden, welche ſo überaus ſelten und ein untrügliches Zeichen genialer Be- gabung iſt. Auch hier ſchon fand er die Kraft und den Muth, binnen wenigen Monaten Alles aus ſich auszu- ſcheiden, was ihm unreif und ſchwächlich ſchien, und in ſeinem Streben und Denken ein Anderer zu werden. Seine Aufſätze, die Mittheilungen ſeiner Freunde beweiſen es.
Binnen wenigen Monaten! Und doch gilt auch hier das Wort: "nunquam saltus in natura." Die Wandlung an ſich war eine völlig naturgemäße; ſie vollzieht ſich faſt bei jedem Menſchen in denſelben Jahren. Auffällig wird ſie hier nur deßhalb, weil ſie ſo plötzlich und radikal auf- tritt. Das allein legt auch den Gedanken nahe, nach einer äußeren Veranlaſſung zu fragen, nach einer fremden Hand, welche den Jüngling wachgerüttelt und zum Bewußtſein all' ſeiner Kraft gebracht. In der That war hier äußerer Ein- fluß thätig. Aber nicht etwa der Einfluß einer bedeutenden, machtvollen Perſönlichkeit, auch nicht der Eindruck eines Er- lebniſſes, ſondern der Geiſt der Zeit. Zum erſten Male
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0042"n="XXVI"/>
Knabe zum Jüngling wurde, haben ihre guten, klugen Augen<lb/>
doppelt ſorglich über ihm gewacht.</p><lb/><p>Dieſer Gährungsprozeß fiel in ſein ſiebzehntes Jahr<lb/>
und führte in überraſchend kurzer Zeit zu einer völligen<lb/>
Klärung und Wandlung. Dieſelbe merkwürdige Erſcheinung<lb/>
werden wir auch in der Folge genau ſo oft zu conſtatiren<lb/>
haben, als eben überhaupt von einem Entwicklungsſtadium<lb/>ſeines Weſens zu berichten iſt: jähe <hirendition="#g">Revolution</hi>, nie lang-<lb/>ſame <hirendition="#g">Evolution</hi>! Metamorphoſen, zu denen ſchwächere<lb/>
Naturen Jahre, in ſchmerzlichem Zwieſpalt verbrachte Jahre<lb/>
bedürfen, hat dieſer Jüngling in kurzer Friſt mit jener<lb/>
Energie, mit jener inſtinctiven Sicherheit überwunden, welche<lb/>ſo überaus ſelten und ein untrügliches Zeichen genialer Be-<lb/>
gabung iſt. Auch hier ſchon fand er die Kraft und den<lb/>
Muth, binnen wenigen Monaten Alles aus ſich auszu-<lb/>ſcheiden, was ihm unreif und ſchwächlich ſchien, und in<lb/>ſeinem Streben und Denken ein Anderer zu werden. Seine<lb/>
Aufſätze, die Mittheilungen ſeiner Freunde beweiſen es.</p><lb/><p>Binnen wenigen Monaten! Und doch gilt auch hier<lb/>
das Wort: <hirendition="#aq">"nunquam saltus in natura."</hi> Die Wandlung<lb/>
an ſich war eine völlig naturgemäße; ſie vollzieht ſich faſt<lb/>
bei jedem Menſchen in denſelben Jahren. Auffällig wird<lb/>ſie hier nur deßhalb, weil ſie ſo plötzlich und radikal auf-<lb/>
tritt. Das allein legt auch den Gedanken nahe, nach einer<lb/>
äußeren Veranlaſſung zu fragen, nach einer fremden Hand,<lb/>
welche den Jüngling wachgerüttelt und zum Bewußtſein all'<lb/>ſeiner Kraft gebracht. In der That war hier äußerer Ein-<lb/>
fluß thätig. Aber nicht etwa der Einfluß einer bedeutenden,<lb/>
machtvollen Perſönlichkeit, auch nicht der Eindruck eines Er-<lb/>
lebniſſes, ſondern der <hirendition="#g">Geiſt der Zeit</hi>. Zum erſten Male<lb/></p></div></body></text></TEI>
[XXVI/0042]
Knabe zum Jüngling wurde, haben ihre guten, klugen Augen
doppelt ſorglich über ihm gewacht.
Dieſer Gährungsprozeß fiel in ſein ſiebzehntes Jahr
und führte in überraſchend kurzer Zeit zu einer völligen
Klärung und Wandlung. Dieſelbe merkwürdige Erſcheinung
werden wir auch in der Folge genau ſo oft zu conſtatiren
haben, als eben überhaupt von einem Entwicklungsſtadium
ſeines Weſens zu berichten iſt: jähe Revolution, nie lang-
ſame Evolution! Metamorphoſen, zu denen ſchwächere
Naturen Jahre, in ſchmerzlichem Zwieſpalt verbrachte Jahre
bedürfen, hat dieſer Jüngling in kurzer Friſt mit jener
Energie, mit jener inſtinctiven Sicherheit überwunden, welche
ſo überaus ſelten und ein untrügliches Zeichen genialer Be-
gabung iſt. Auch hier ſchon fand er die Kraft und den
Muth, binnen wenigen Monaten Alles aus ſich auszu-
ſcheiden, was ihm unreif und ſchwächlich ſchien, und in
ſeinem Streben und Denken ein Anderer zu werden. Seine
Aufſätze, die Mittheilungen ſeiner Freunde beweiſen es.
Binnen wenigen Monaten! Und doch gilt auch hier
das Wort: "nunquam saltus in natura." Die Wandlung
an ſich war eine völlig naturgemäße; ſie vollzieht ſich faſt
bei jedem Menſchen in denſelben Jahren. Auffällig wird
ſie hier nur deßhalb, weil ſie ſo plötzlich und radikal auf-
tritt. Das allein legt auch den Gedanken nahe, nach einer
äußeren Veranlaſſung zu fragen, nach einer fremden Hand,
welche den Jüngling wachgerüttelt und zum Bewußtſein all'
ſeiner Kraft gebracht. In der That war hier äußerer Ein-
fluß thätig. Aber nicht etwa der Einfluß einer bedeutenden,
machtvollen Perſönlichkeit, auch nicht der Eindruck eines Er-
lebniſſes, ſondern der Geiſt der Zeit. Zum erſten Male
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XXVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/42>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.