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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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begegnen wir hier der Macht, welche in der Folge dieses heiße
Herz gelenkt und bestimmt. Es ist äußerlich und innerlich
beglaubigt, daß jene bange Schwüle, welche der Julirevolu-
tion voranging, den Sinn Georg Büchner's gereift, daß vol-
lends die Lohe der Julitage ihm selbst sein Inneres erhellt.
Erst als ihn der politische Enthusiasmus erfaßte, überkam
ihn auch die Begeisterung für andere ideale Güter, erst da
begann er rastlos über sich zu grübeln, an sich zu arbeiten.
Und wie dieser Enthusiasmus das Gährungsferment der
jungen Seele war, so wurde er in der Folge der Hauptzug
seines, wie bereits erwähnt, völlig geänderten Wesens.

Darum sei auch hiervon zuerst gesprochen. Freilich
wollen wir uns trotzdem jeder Ueberschätzung dieser politischen
Regungen enthalten. Selbst Georg Büchner ist als
Gymnasiast noch kein fertiger, klarer Parteimann gewesen.
Gleich ihm mögen unzählige Altersgenossen in jenen bewegten
Tagen für Freiheit und Republik, für die Einheit des
deutschen Vaterlands geschwärmt haben. Auch war er kaum
um Vieles klarer als die Anderen, -- wohl aber begeisterter
und kühner. Nur durch die Intensität seiner Schwär-
merei unterschied er sich von den Gefährten, nur diese In-
tensität ist auffällig und bedarf einer Erklärung. Sie liegt
einzig in seiner Individualität. Jenes leidenschaftliche Mit-
leid, welches sich schon im Kinde gezeigt, ließ den Jüngling
durstig jene Träume und Ideen in sich einsaugen, welche die
Armuth auf Erden lindern, den Beladenen und Bedrückten
ihr Menschenrecht schaffen wollten. Und jener Trotz, welcher
sich gegen jeden ungerechten Schlag wild aufgebäumt, welcher
so früh in Muthwillen oder Sarkasmus alles "jurare in
verba magistri"
von sich wies -- derselbe Trotz kehrte sich

begegnen wir hier der Macht, welche in der Folge dieſes heiße
Herz gelenkt und beſtimmt. Es iſt äußerlich und innerlich
beglaubigt, daß jene bange Schwüle, welche der Julirevolu-
tion voranging, den Sinn Georg Büchner's gereift, daß vol-
lends die Lohe der Julitage ihm ſelbſt ſein Inneres erhellt.
Erſt als ihn der politiſche Enthuſiasmus erfaßte, überkam
ihn auch die Begeiſterung für andere ideale Güter, erſt da
begann er raſtlos über ſich zu grübeln, an ſich zu arbeiten.
Und wie dieſer Enthuſiasmus das Gährungsferment der
jungen Seele war, ſo wurde er in der Folge der Hauptzug
ſeines, wie bereits erwähnt, völlig geänderten Weſens.

Darum ſei auch hiervon zuerſt geſprochen. Freilich
wollen wir uns trotzdem jeder Ueberſchätzung dieſer politiſchen
Regungen enthalten. Selbſt Georg Büchner iſt als
Gymnaſiaſt noch kein fertiger, klarer Parteimann geweſen.
Gleich ihm mögen unzählige Altersgenoſſen in jenen bewegten
Tagen für Freiheit und Republik, für die Einheit des
deutſchen Vaterlands geſchwärmt haben. Auch war er kaum
um Vieles klarer als die Anderen, — wohl aber begeiſterter
und kühner. Nur durch die Intenſität ſeiner Schwär-
merei unterſchied er ſich von den Gefährten, nur dieſe In-
tenſität iſt auffällig und bedarf einer Erklärung. Sie liegt
einzig in ſeiner Individualität. Jenes leidenſchaftliche Mit-
leid, welches ſich ſchon im Kinde gezeigt, ließ den Jüngling
durſtig jene Träume und Ideen in ſich einſaugen, welche die
Armuth auf Erden lindern, den Beladenen und Bedrückten
ihr Menſchenrecht ſchaffen wollten. Und jener Trotz, welcher
ſich gegen jeden ungerechten Schlag wild aufgebäumt, welcher
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verba magistri"
von ſich wies — derſelbe Trotz kehrte ſich

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[XXVII/0043] begegnen wir hier der Macht, welche in der Folge dieſes heiße Herz gelenkt und beſtimmt. Es iſt äußerlich und innerlich beglaubigt, daß jene bange Schwüle, welche der Julirevolu- tion voranging, den Sinn Georg Büchner's gereift, daß vol- lends die Lohe der Julitage ihm ſelbſt ſein Inneres erhellt. Erſt als ihn der politiſche Enthuſiasmus erfaßte, überkam ihn auch die Begeiſterung für andere ideale Güter, erſt da begann er raſtlos über ſich zu grübeln, an ſich zu arbeiten. Und wie dieſer Enthuſiasmus das Gährungsferment der jungen Seele war, ſo wurde er in der Folge der Hauptzug ſeines, wie bereits erwähnt, völlig geänderten Weſens. Darum ſei auch hiervon zuerſt geſprochen. Freilich wollen wir uns trotzdem jeder Ueberſchätzung dieſer politiſchen Regungen enthalten. Selbſt Georg Büchner iſt als Gymnaſiaſt noch kein fertiger, klarer Parteimann geweſen. Gleich ihm mögen unzählige Altersgenoſſen in jenen bewegten Tagen für Freiheit und Republik, für die Einheit des deutſchen Vaterlands geſchwärmt haben. Auch war er kaum um Vieles klarer als die Anderen, — wohl aber begeiſterter und kühner. Nur durch die Intenſität ſeiner Schwär- merei unterſchied er ſich von den Gefährten, nur dieſe In- tenſität iſt auffällig und bedarf einer Erklärung. Sie liegt einzig in ſeiner Individualität. Jenes leidenſchaftliche Mit- leid, welches ſich ſchon im Kinde gezeigt, ließ den Jüngling durſtig jene Träume und Ideen in ſich einſaugen, welche die Armuth auf Erden lindern, den Beladenen und Bedrückten ihr Menſchenrecht ſchaffen wollten. Und jener Trotz, welcher ſich gegen jeden ungerechten Schlag wild aufgebäumt, welcher ſo früh in Muthwillen oder Sarkasmus alles "jurare in verba magistri" von ſich wies — derſelbe Trotz kehrte ſich

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XXVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/43>, abgerufen am 23.11.2024.