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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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schämt. Die Zufälle des Nachts steigerten sich auf's Schreck-
lichste. Nur mit der größten Mühe schlief er ein, während
er zuvor noch die schreckliche Leere zu füllen versucht hatte.
Dann gerieth er zwischen Schlaf und Wachen in einen ent-
setzlichen Zustand; er stieß an etwas Grauenhaftes, Entsetz-
liches, der Wahnsinn packte ihn, er fuhr mit fürchterlichem
Schreien, in Schweiß gebadet, auf, und erst nach und nach
fand er sich wieder. Er mußte dann mit den einfachsten
Dingen anfangen, um wieder zu sich zu kommen. Eigentlich
nicht er that es, sondern ein mächtiger Erhaltungstrieb; es
war als sei er doppelt, und der eine Theil suche den andern
zu retten, und riefe sich selbst zu; er erzählte, er sagte in
der heftigsten Angst Gedichte her, bis er wieder zu sich kam.

Auch bei Tage bekam er diese Zufälle, sie waren dann
noch schrecklicher; denn sonst hatte ihn die Helle davor be-
wahrt. Es war ihm dann, als existirte er allein, als be-
stände die Welt nur in seiner Einbildung, als sei nichts,
als er; er sei das ewig Verdammte, der Satan, allein mit
seinen folternden Vorstellungen. Er jagte mit rasender
Schnelligkeit sein Leben durch, und dann sagte er: con-
sequent, consequent; wenn Jemand etwas sprach: inconsequent,
inconsequent; es war die Kluft unrettbaren Wahnsinns,
eines Wahnsinns durch die Ewigkeit. Der Trieb der
geistigen Erhaltung jagte ihn auf, er stürzte sich in Oberlin's
Arme, er klammerte sich an ihn, als wolle er sich in ihn
drängen; er war das einzige Wesen, das für ihn lebte, und
durch den ihm wieder das Leben offenbart wurde. Allmählig
brachten ihn Oberlin's Worte dann zu sich, er lag auf den
Knieen vor Oberlin, seine Hände in den Händen Oberlin's,
sein mit kaltem Schweiße bedecktes Gesicht auf dessen Schooß,

ſchämt. Die Zufälle des Nachts ſteigerten ſich auf's Schreck-
lichſte. Nur mit der größten Mühe ſchlief er ein, während
er zuvor noch die ſchreckliche Leere zu füllen verſucht hatte.
Dann gerieth er zwiſchen Schlaf und Wachen in einen ent-
ſetzlichen Zuſtand; er ſtieß an etwas Grauenhaftes, Entſetz-
liches, der Wahnſinn packte ihn, er fuhr mit fürchterlichem
Schreien, in Schweiß gebadet, auf, und erſt nach und nach
fand er ſich wieder. Er mußte dann mit den einfachſten
Dingen anfangen, um wieder zu ſich zu kommen. Eigentlich
nicht er that es, ſondern ein mächtiger Erhaltungstrieb; es
war als ſei er doppelt, und der eine Theil ſuche den andern
zu retten, und riefe ſich ſelbſt zu; er erzählte, er ſagte in
der heftigſten Angſt Gedichte her, bis er wieder zu ſich kam.

Auch bei Tage bekam er dieſe Zufälle, ſie waren dann
noch ſchrecklicher; denn ſonſt hatte ihn die Helle davor be-
wahrt. Es war ihm dann, als exiſtirte er allein, als be-
ſtände die Welt nur in ſeiner Einbildung, als ſei nichts,
als er; er ſei das ewig Verdammte, der Satan, allein mit
ſeinen folternden Vorſtellungen. Er jagte mit raſender
Schnelligkeit ſein Leben durch, und dann ſagte er: con-
ſequent, conſequent; wenn Jemand etwas ſprach: inconſequent,
inconſequent; es war die Kluft unrettbaren Wahnſinns,
eines Wahnſinns durch die Ewigkeit. Der Trieb der
geiſtigen Erhaltung jagte ihn auf, er ſtürzte ſich in Oberlin's
Arme, er klammerte ſich an ihn, als wolle er ſich in ihn
drängen; er war das einzige Weſen, das für ihn lebte, und
durch den ihm wieder das Leben offenbart wurde. Allmählig
brachten ihn Oberlin's Worte dann zu ſich, er lag auf den
Knieen vor Oberlin, ſeine Hände in den Händen Oberlin's,
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[236/0432] ſchämt. Die Zufälle des Nachts ſteigerten ſich auf's Schreck- lichſte. Nur mit der größten Mühe ſchlief er ein, während er zuvor noch die ſchreckliche Leere zu füllen verſucht hatte. Dann gerieth er zwiſchen Schlaf und Wachen in einen ent- ſetzlichen Zuſtand; er ſtieß an etwas Grauenhaftes, Entſetz- liches, der Wahnſinn packte ihn, er fuhr mit fürchterlichem Schreien, in Schweiß gebadet, auf, und erſt nach und nach fand er ſich wieder. Er mußte dann mit den einfachſten Dingen anfangen, um wieder zu ſich zu kommen. Eigentlich nicht er that es, ſondern ein mächtiger Erhaltungstrieb; es war als ſei er doppelt, und der eine Theil ſuche den andern zu retten, und riefe ſich ſelbſt zu; er erzählte, er ſagte in der heftigſten Angſt Gedichte her, bis er wieder zu ſich kam. Auch bei Tage bekam er dieſe Zufälle, ſie waren dann noch ſchrecklicher; denn ſonſt hatte ihn die Helle davor be- wahrt. Es war ihm dann, als exiſtirte er allein, als be- ſtände die Welt nur in ſeiner Einbildung, als ſei nichts, als er; er ſei das ewig Verdammte, der Satan, allein mit ſeinen folternden Vorſtellungen. Er jagte mit raſender Schnelligkeit ſein Leben durch, und dann ſagte er: con- ſequent, conſequent; wenn Jemand etwas ſprach: inconſequent, inconſequent; es war die Kluft unrettbaren Wahnſinns, eines Wahnſinns durch die Ewigkeit. Der Trieb der geiſtigen Erhaltung jagte ihn auf, er ſtürzte ſich in Oberlin's Arme, er klammerte ſich an ihn, als wolle er ſich in ihn drängen; er war das einzige Weſen, das für ihn lebte, und durch den ihm wieder das Leben offenbart wurde. Allmählig brachten ihn Oberlin's Worte dann zu ſich, er lag auf den Knieen vor Oberlin, ſeine Hände in den Händen Oberlin's, ſein mit kaltem Schweiße bedecktes Geſicht auf deſſen Schooß,

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/432>, abgerufen am 21.11.2024.