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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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schlechten Wege in Gefahr gerieth, blieb er ganz ruhig sitzen;
er war vollkommen gleichgiltig. In diesem Zustande legte
er den Weg durchs Gebirg zurück. Gegen Abend waren
sie im Rheinthale. Sie entfernten sich allmählig vom
Gebirge, das nun wie eine tiefblaue Krystallwelle sich in
das Abendroth hob, und auf deren warmer Fluth die rothen
Strahlen des Abends spielten; über die Ebene hin am Fuße
des Gebirgs lag ein schimmerndes, bläuliches Gespinnst.
Es wurde finster, jemehr sie sich Straßburg näherten; hoher
Vollmond, alle fernen Gegenstände dunkel, nur der Berg
neben bildete eine scharfe Linie; die Erde war wie ein gol-
dener Pokal, über den schäumend die Goldwellen des Mondes
liefen. Lenz starrte ruhig hinaus, keine Ahnung, kein Drang;
nur wuchs eine dumpfe Angst in ihm, je mehr die Gegen-
stände sich in der Finsterniß verloren. Sie mußten ein-
kehren, da machte er wieder mehrere Versuche, Hand an sich
zu legen, war aber zu scharf bewacht. Am folgenden Morgen,
bei trübem, regnerischem Wetter, traf er in Straßburg ein.
Er schien ganz vernünftig, sprach mit den Leuten; er that
Alles wie es die Andern thaten; es war aber eine ent-
setzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angst mehr, kein Ver-
langen, sein Dasein war ihm eine nothwendige Last. -- --
So lebte er hin. ......



ſchlechten Wege in Gefahr gerieth, blieb er ganz ruhig ſitzen;
er war vollkommen gleichgiltig. In dieſem Zuſtande legte
er den Weg durchs Gebirg zurück. Gegen Abend waren
ſie im Rheinthale. Sie entfernten ſich allmählig vom
Gebirge, das nun wie eine tiefblaue Kryſtallwelle ſich in
das Abendroth hob, und auf deren warmer Fluth die rothen
Strahlen des Abends ſpielten; über die Ebene hin am Fuße
des Gebirgs lag ein ſchimmerndes, bläuliches Geſpinnſt.
Es wurde finſter, jemehr ſie ſich Straßburg näherten; hoher
Vollmond, alle fernen Gegenſtände dunkel, nur der Berg
neben bildete eine ſcharfe Linie; die Erde war wie ein gol-
dener Pokal, über den ſchäumend die Goldwellen des Mondes
liefen. Lenz ſtarrte ruhig hinaus, keine Ahnung, kein Drang;
nur wuchs eine dumpfe Angſt in ihm, je mehr die Gegen-
ſtände ſich in der Finſterniß verloren. Sie mußten ein-
kehren, da machte er wieder mehrere Verſuche, Hand an ſich
zu legen, war aber zu ſcharf bewacht. Am folgenden Morgen,
bei trübem, regneriſchem Wetter, traf er in Straßburg ein.
Er ſchien ganz vernünftig, ſprach mit den Leuten; er that
Alles wie es die Andern thaten; es war aber eine ent-
ſetzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angſt mehr, kein Ver-
langen, ſein Daſein war ihm eine nothwendige Laſt. — —
So lebte er hin. ......



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[239/0435] ſchlechten Wege in Gefahr gerieth, blieb er ganz ruhig ſitzen; er war vollkommen gleichgiltig. In dieſem Zuſtande legte er den Weg durchs Gebirg zurück. Gegen Abend waren ſie im Rheinthale. Sie entfernten ſich allmählig vom Gebirge, das nun wie eine tiefblaue Kryſtallwelle ſich in das Abendroth hob, und auf deren warmer Fluth die rothen Strahlen des Abends ſpielten; über die Ebene hin am Fuße des Gebirgs lag ein ſchimmerndes, bläuliches Geſpinnſt. Es wurde finſter, jemehr ſie ſich Straßburg näherten; hoher Vollmond, alle fernen Gegenſtände dunkel, nur der Berg neben bildete eine ſcharfe Linie; die Erde war wie ein gol- dener Pokal, über den ſchäumend die Goldwellen des Mondes liefen. Lenz ſtarrte ruhig hinaus, keine Ahnung, kein Drang; nur wuchs eine dumpfe Angſt in ihm, je mehr die Gegen- ſtände ſich in der Finſterniß verloren. Sie mußten ein- kehren, da machte er wieder mehrere Verſuche, Hand an ſich zu legen, war aber zu ſcharf bewacht. Am folgenden Morgen, bei trübem, regneriſchem Wetter, traf er in Straßburg ein. Er ſchien ganz vernünftig, ſprach mit den Leuten; er that Alles wie es die Andern thaten; es war aber eine ent- ſetzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angſt mehr, kein Ver- langen, ſein Daſein war ihm eine nothwendige Laſt. — — So lebte er hin. ......

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/435>, abgerufen am 21.11.2024.