einer solchen Maschine. Sie macht den Schädel zu einem künstlichen Gewölbe mit Strebepfeilern, bestimmt, seinen Bewohner, das Gehirn, zu schützen, -- Wangen und Lippen zu einem Kau- und Respirationsapparat, -- das Auge zu einem complicirten Glase, -- die Augenlider und Wimpern zu dessen Vorhängen, -- ja die Thräne ist nur der Wasser- tropfen, welcher es feucht erhält. Man sieht, es ist ein weiter Sprung von da bis zu dem Enthusiasmus, mit dem Lavater sich glücklich preist, daß er von so was Göttlichem, wie den Lippen, reden dürfe.
Die teleologische Methode bewegt sich in einem ewigen Zirkel, indem sie die Wirkungen der Organe als Zwecke voraussetzt. Sie sagt zum Beispiel: Soll das Auge seine Funktion versehen, so muß die Hornhaut feucht erhalten werden, und somit ist eine Thränendrüse nöthig. Diese ist also vorhanden, damit das Auge feucht erhalten werde, und somit ist das Auftreten dieses Organs erklärt; es gibt nichts weiter zu fragen. Die entgegengesetzte Ansicht sagt dagegen: die Thränendrüse ist nicht da, damit das Auge feucht werde, sondern das Auge wird feucht, weil eine Thränendrüse da ist, oder, um ein anderes Beispiel zu geben, wir haben nicht Hände, damit wir greifen können, sondern wir greifen, weil wir Hände haben. Die größtmöglichste Zweckmäßig- keit ist das einzige Gesetz der teleologischen Methode; nun fragt man aber natürlich nach dem Zwecke dieses Zweckes, und so macht sie auch ebenso natürlich bei jeder Frage einen progressus in infinitum.
Die Natur handelt nicht nach Zwecken, sie reibt sich nicht in einer unendlichen Reihe von Zwecken auf, von denen der eine den anderen bedingt; sondern sie ist in allen ihren
einer ſolchen Maſchine. Sie macht den Schädel zu einem künſtlichen Gewölbe mit Strebepfeilern, beſtimmt, ſeinen Bewohner, das Gehirn, zu ſchützen, — Wangen und Lippen zu einem Kau- und Reſpirationsapparat, — das Auge zu einem complicirten Glaſe, — die Augenlider und Wimpern zu deſſen Vorhängen, — ja die Thräne iſt nur der Waſſer- tropfen, welcher es feucht erhält. Man ſieht, es iſt ein weiter Sprung von da bis zu dem Enthuſiasmus, mit dem Lavater ſich glücklich preiſt, daß er von ſo was Göttlichem, wie den Lippen, reden dürfe.
Die teleologiſche Methode bewegt ſich in einem ewigen Zirkel, indem ſie die Wirkungen der Organe als Zwecke vorausſetzt. Sie ſagt zum Beiſpiel: Soll das Auge ſeine Funktion verſehen, ſo muß die Hornhaut feucht erhalten werden, und ſomit iſt eine Thränendrüſe nöthig. Dieſe iſt alſo vorhanden, damit das Auge feucht erhalten werde, und ſomit iſt das Auftreten dieſes Organs erklärt; es gibt nichts weiter zu fragen. Die entgegengeſetzte Anſicht ſagt dagegen: die Thränendrüſe iſt nicht da, damit das Auge feucht werde, ſondern das Auge wird feucht, weil eine Thränendrüſe da iſt, oder, um ein anderes Beiſpiel zu geben, wir haben nicht Hände, damit wir greifen können, ſondern wir greifen, weil wir Hände haben. Die größtmöglichſte Zweckmäßig- keit iſt das einzige Geſetz der teleologiſchen Methode; nun fragt man aber natürlich nach dem Zwecke dieſes Zweckes, und ſo macht ſie auch ebenſo natürlich bei jeder Frage einen progressus in infinitum.
Die Natur handelt nicht nach Zwecken, ſie reibt ſich nicht in einer unendlichen Reihe von Zwecken auf, von denen der eine den anderen bedingt; ſondern ſie iſt in allen ihren
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einer ſolchen Maſchine. Sie macht den Schädel zu einem
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zu deſſen Vorhängen, — ja die Thräne iſt nur der Waſſer-
tropfen, welcher es feucht erhält. Man ſieht, es iſt ein
weiter Sprung von da bis zu dem Enthuſiasmus, mit dem
Lavater ſich glücklich preiſt, daß er von ſo was Göttlichem,
wie den Lippen, reden dürfe.
Die teleologiſche Methode bewegt ſich in einem ewigen
Zirkel, indem ſie die Wirkungen der Organe als Zwecke
vorausſetzt. Sie ſagt zum Beiſpiel: Soll das Auge ſeine
Funktion verſehen, ſo muß die Hornhaut feucht erhalten
werden, und ſomit iſt eine Thränendrüſe nöthig. Dieſe iſt
alſo vorhanden, damit das Auge feucht erhalten werde, und
ſomit iſt das Auftreten dieſes Organs erklärt; es gibt nichts
weiter zu fragen. Die entgegengeſetzte Anſicht ſagt dagegen:
die Thränendrüſe iſt nicht da, damit das Auge feucht werde,
ſondern das Auge wird feucht, weil eine Thränendrüſe da
iſt, oder, um ein anderes Beiſpiel zu geben, wir haben nicht
Hände, damit wir greifen können, ſondern wir greifen, weil
wir Hände haben. Die größtmöglichſte Zweckmäßig-
keit iſt das einzige Geſetz der teleologiſchen Methode; nun
fragt man aber natürlich nach dem Zwecke dieſes Zweckes,
und ſo macht ſie auch ebenſo natürlich bei jeder Frage einen
progressus in infinitum.
Die Natur handelt nicht nach Zwecken, ſie reibt ſich
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/488>, abgerufen am 25.11.2024.
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