unsers geistigen Wesens und die Bildung nur eine sehr zu- fällige Form desselben. Wer mir eine solche Verachtung vorwirft, behauptet, daß ich einen Menschen mit Füßen träte, weil er einen schlechten Rock anhätte. Es heißt dieß, eine Rohheit, die man Einem im Körperlichen nimmer zutrauen würde, in's Geistige übertragen, wo sie noch gemeiner ist. Ich kann Jemanden einen Dummkopf nennen, ohne ihn deßhalb zu verachten; die Dummheit gehört zu den allgemeinen Eigenschaften der menschlichen Dinge; für ihre Existenz kann ich nichts, es kann mir aber Niemand wehren, Alles, was existirt, bei seinem Namen zu nennen und dem, was mir unangenehm ist, aus dem Wege zu gehn. Jemanden kränken, ist eine Grausamkeit, ihn aber zu suchen oder zu meiden, bleibt meinem Gutdünken überlassen. Daher erklärt sich mein Betragen gegen alte Bekannte; ich kränkte Keinen und sparte mir viel Langeweile; halten sie mich für hochmüthig, wenn ich an ihren Vergnügungen oder Beschäftigungen keinen Geschmack finde, so ist es eine Ungerechtigkeit; mir würde es nie einfallen, einem Andern aus dem nämlichen Grunde einen ähnlichen Vorwurf zu machen. Man nennt mich einen Spötter. Es ist wahr, ich lache oft, aber ich lache nicht darüber, wie Jemand ein Mensch, sondern nur darüber, daß er ein Mensch ist, wofür er ohnehin nichts kann, und lache dabei über mich selbst, der ich sein Schicksal theile. Die Leute nennen das Spott, sie vertragen es nicht, daß man sich als Narr producirt und sie dutzt; sie sind Verächter, Spötter und Hochmüthige, weil sie die Narrheit nur außer sich suchen. Ich habe freilich noch eine Art von Spott, es ist aber nicht der der Verachtung, sondern der des Hasses. Der Haß ist so gut erlaubt als die Liebe, und ich hege ihn
unſers geiſtigen Weſens und die Bildung nur eine ſehr zu- fällige Form deſſelben. Wer mir eine ſolche Verachtung vorwirft, behauptet, daß ich einen Menſchen mit Füßen träte, weil er einen ſchlechten Rock anhätte. Es heißt dieß, eine Rohheit, die man Einem im Körperlichen nimmer zutrauen würde, in's Geiſtige übertragen, wo ſie noch gemeiner iſt. Ich kann Jemanden einen Dummkopf nennen, ohne ihn deßhalb zu verachten; die Dummheit gehört zu den allgemeinen Eigenſchaften der menſchlichen Dinge; für ihre Exiſtenz kann ich nichts, es kann mir aber Niemand wehren, Alles, was exiſtirt, bei ſeinem Namen zu nennen und dem, was mir unangenehm iſt, aus dem Wege zu gehn. Jemanden kränken, iſt eine Grauſamkeit, ihn aber zu ſuchen oder zu meiden, bleibt meinem Gutdünken überlaſſen. Daher erklärt ſich mein Betragen gegen alte Bekannte; ich kränkte Keinen und ſparte mir viel Langeweile; halten ſie mich für hochmüthig, wenn ich an ihren Vergnügungen oder Beſchäftigungen keinen Geſchmack finde, ſo iſt es eine Ungerechtigkeit; mir würde es nie einfallen, einem Andern aus dem nämlichen Grunde einen ähnlichen Vorwurf zu machen. Man nennt mich einen Spötter. Es iſt wahr, ich lache oft, aber ich lache nicht darüber, wie Jemand ein Menſch, ſondern nur darüber, daß er ein Menſch iſt, wofür er ohnehin nichts kann, und lache dabei über mich ſelbſt, der ich ſein Schickſal theile. Die Leute nennen das Spott, ſie vertragen es nicht, daß man ſich als Narr producirt und ſie dutzt; ſie ſind Verächter, Spötter und Hochmüthige, weil ſie die Narrheit nur außer ſich ſuchen. Ich habe freilich noch eine Art von Spott, es iſt aber nicht der der Verachtung, ſondern der des Haſſes. Der Haß iſt ſo gut erlaubt als die Liebe, und ich hege ihn
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unſers geiſtigen Weſens und die Bildung nur eine ſehr zu-
fällige Form deſſelben. Wer mir eine ſolche Verachtung
vorwirft, behauptet, daß ich einen Menſchen mit Füßen träte,
weil er einen ſchlechten Rock anhätte. Es heißt dieß, eine
Rohheit, die man Einem im Körperlichen nimmer zutrauen
würde, in's Geiſtige übertragen, wo ſie noch gemeiner iſt. Ich
kann Jemanden einen Dummkopf nennen, ohne ihn deßhalb
zu verachten; die Dummheit gehört zu den allgemeinen
Eigenſchaften der menſchlichen Dinge; für ihre Exiſtenz kann
ich nichts, es kann mir aber Niemand wehren, Alles, was
exiſtirt, bei ſeinem Namen zu nennen und dem, was mir
unangenehm iſt, aus dem Wege zu gehn. Jemanden kränken,
iſt eine Grauſamkeit, ihn aber zu ſuchen oder zu meiden,
bleibt meinem Gutdünken überlaſſen. Daher erklärt ſich
mein Betragen gegen alte Bekannte; ich kränkte Keinen und
ſparte mir viel Langeweile; halten ſie mich für hochmüthig,
wenn ich an ihren Vergnügungen oder Beſchäftigungen keinen
Geſchmack finde, ſo iſt es eine Ungerechtigkeit; mir würde
es nie einfallen, einem Andern aus dem nämlichen Grunde
einen ähnlichen Vorwurf zu machen. Man nennt mich einen
Spötter. Es iſt wahr, ich lache oft, aber ich lache nicht
darüber, wie Jemand ein Menſch, ſondern nur darüber, daß
er ein Menſch iſt, wofür er ohnehin nichts kann, und lache
dabei über mich ſelbſt, der ich ſein Schickſal theile. Die
Leute nennen das Spott, ſie vertragen es nicht, daß man
ſich als Narr producirt und ſie dutzt; ſie ſind Verächter,
Spötter und Hochmüthige, weil ſie die Narrheit nur außer
ſich ſuchen. Ich habe freilich noch eine Art von Spott, es
iſt aber nicht der der Verachtung, ſondern der des Haſſes.
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/531>, abgerufen am 24.11.2024.
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