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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, so gut,
wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung
dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht.
Wenn man so wollte, dürfte man keine Geschichte studiren,
weil sehr viele unmoralische Dinge darin erzählt werden,
müßte mit verbundenen Augen über die Gasse gehen, weil
man sonst Unanständigkeiten sehen könnte, und müßte über
einen Gott Zeter schreien, der eine Welt erschaffen, worauf
so viele Liederlichkeiten vorfallen. Wenn man mir übrigens
noch sagen wollte, der Dichter müsse die Welt nicht zeigen
wie sie ist, sondern wie sie sein solle, so antworte ich, daß
ich es nicht besser machen will, als der liebe Gott, der die
Welt gewiß gemacht hat, wie sie sein soll. Was noch die
sogenannten Idealdichter anbetrifft, so finde ich, daß sie fast
nichts als Marionetten mit himmelblauen Nasen und affec-
tirtem Pathos, aber nicht Menschen von Fleisch und Blut
gegeben haben, deren Leid und Freude mich mitempfinden
macht, und deren Thun und Handeln mir Abscheu oder
Bewunderung einflößt. Mit einem Wort, ich halte viel auf
Goethe und Shakspeare, aber sehr wenig auf Schiller. Daß
übrigens noch die ungünstigsten Kritiken erscheinen werden,
versteht sich von selbst; denn die Regierungen müssen doch
durch ihre bezahlten Schreiber beweisen lassen, daß ihre
Gegner Dummköpfe oder unsittliche Menschen sind. Ich
halte übrigens mein Werk keineswegs für vollkommen,
und werde jede wahrhaft ästhetische Kritik mit Dank an-
nehmen. --

Habt ihr von dem gewaltigen Blitzstrahl gehört, der
vor einigen Tagen das Münster getroffen hat? Nie habe
ich einen solchen Feuerglanz gesehen und einen solchen Schlag

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aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, ſo gut,
wie aus dem Studium der Geſchichte und der Beobachtung
deſſen, was im menſchlichen Leben um ſie herum vorgeht.
Wenn man ſo wollte, dürfte man keine Geſchichte ſtudiren,
weil ſehr viele unmoraliſche Dinge darin erzählt werden,
müßte mit verbundenen Augen über die Gaſſe gehen, weil
man ſonſt Unanſtändigkeiten ſehen könnte, und müßte über
einen Gott Zeter ſchreien, der eine Welt erſchaffen, worauf
ſo viele Liederlichkeiten vorfallen. Wenn man mir übrigens
noch ſagen wollte, der Dichter müſſe die Welt nicht zeigen
wie ſie iſt, ſondern wie ſie ſein ſolle, ſo antworte ich, daß
ich es nicht beſſer machen will, als der liebe Gott, der die
Welt gewiß gemacht hat, wie ſie ſein ſoll. Was noch die
ſogenannten Idealdichter anbetrifft, ſo finde ich, daß ſie faſt
nichts als Marionetten mit himmelblauen Naſen und affec-
tirtem Pathos, aber nicht Menſchen von Fleiſch und Blut
gegeben haben, deren Leid und Freude mich mitempfinden
macht, und deren Thun und Handeln mir Abſcheu oder
Bewunderung einflößt. Mit einem Wort, ich halte viel auf
Goethe und Shakſpeare, aber ſehr wenig auf Schiller. Daß
übrigens noch die ungünſtigſten Kritiken erſcheinen werden,
verſteht ſich von ſelbſt; denn die Regierungen müſſen doch
durch ihre bezahlten Schreiber beweiſen laſſen, daß ihre
Gegner Dummköpfe oder unſittliche Menſchen ſind. Ich
halte übrigens mein Werk keineswegs für vollkommen,
und werde jede wahrhaft äſthetiſche Kritik mit Dank an-
nehmen. —

Habt ihr von dem gewaltigen Blitzſtrahl gehört, der
vor einigen Tagen das Münſter getroffen hat? Nie habe
ich einen ſolchen Feuerglanz geſehen und einen ſolchen Schlag

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[355/0551] aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, ſo gut, wie aus dem Studium der Geſchichte und der Beobachtung deſſen, was im menſchlichen Leben um ſie herum vorgeht. Wenn man ſo wollte, dürfte man keine Geſchichte ſtudiren, weil ſehr viele unmoraliſche Dinge darin erzählt werden, müßte mit verbundenen Augen über die Gaſſe gehen, weil man ſonſt Unanſtändigkeiten ſehen könnte, und müßte über einen Gott Zeter ſchreien, der eine Welt erſchaffen, worauf ſo viele Liederlichkeiten vorfallen. Wenn man mir übrigens noch ſagen wollte, der Dichter müſſe die Welt nicht zeigen wie ſie iſt, ſondern wie ſie ſein ſolle, ſo antworte ich, daß ich es nicht beſſer machen will, als der liebe Gott, der die Welt gewiß gemacht hat, wie ſie ſein ſoll. Was noch die ſogenannten Idealdichter anbetrifft, ſo finde ich, daß ſie faſt nichts als Marionetten mit himmelblauen Naſen und affec- tirtem Pathos, aber nicht Menſchen von Fleiſch und Blut gegeben haben, deren Leid und Freude mich mitempfinden macht, und deren Thun und Handeln mir Abſcheu oder Bewunderung einflößt. Mit einem Wort, ich halte viel auf Goethe und Shakſpeare, aber ſehr wenig auf Schiller. Daß übrigens noch die ungünſtigſten Kritiken erſcheinen werden, verſteht ſich von ſelbſt; denn die Regierungen müſſen doch durch ihre bezahlten Schreiber beweiſen laſſen, daß ihre Gegner Dummköpfe oder unſittliche Menſchen ſind. Ich halte übrigens mein Werk keineswegs für vollkommen, und werde jede wahrhaft äſthetiſche Kritik mit Dank an- nehmen. — Habt ihr von dem gewaltigen Blitzſtrahl gehört, der vor einigen Tagen das Münſter getroffen hat? Nie habe ich einen ſolchen Feuerglanz geſehen und einen ſolchen Schlag 23 *

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/551>, abgerufen am 22.11.2024.