"War ich lange genug stumm? Was soll ich Ihnen sagen? Ich saß auch im Gefängniß und im langweiligsten unter der Sonne, ich habe eine Abhandlung geschrieben in die Länge, Breite und Tiefe, Tag und Nacht über der eckel- haften Geschichte, ich begreife nicht, wo ich die Geduld her- genommen. Ich habe nämlich die fixe Idee, im nächsten Semester zu Zürich einen Curs über die Entwickelung der deutschen Philosophie seit Cartesius zu lesen; dazu muß ich mein Diplom haben, und die Leute scheinen gar nicht geneigt, meinem lieben Sohne Danton den Doktorhut aufzusetzen.
Was war da zu machen?
Sie sind in Frankfurt und unangefochten!
Es ist mir leid und doch wieder lieb, daß Sie noch nicht im Rebstöckel (Straßburger Gasthaus) angeklopft haben. Ueber den Stand der modernen Literatur in Deutschland weiß ich so gut als Nichts; nur einige versprengte Broschüren, die, ich weiß nicht wie, über den Rhein gekommen, fielen mir in die Hände.
Es zeigt sich in dem Kampfe gegen Sie eine gründ- liche Niederträchtigkeit, eine recht gesunde Niederträchtig- keit, ich begreife gar nicht, wie wir noch so natürlich sein können! Und Menzel's Hohn über die politischen Narren
erhielt." Nebenbei bemerkt, hieß dieser Anonymus Trapp und starb drei Monate nach Büchner in Zürich, nachdem er kurz vor dessen Erkrankung eine Wiederaussöhnung mit ihm versucht hatte. F.
G. Büchner's Werke. 25
5.
Straßburg (1836).
Lieber Freund!
"War ich lange genug ſtumm? Was ſoll ich Ihnen ſagen? Ich ſaß auch im Gefängniß und im langweiligſten unter der Sonne, ich habe eine Abhandlung geſchrieben in die Länge, Breite und Tiefe, Tag und Nacht über der eckel- haften Geſchichte, ich begreife nicht, wo ich die Geduld her- genommen. Ich habe nämlich die fixe Idee, im nächſten Semeſter zu Zürich einen Curs über die Entwickelung der deutſchen Philoſophie ſeit Carteſius zu leſen; dazu muß ich mein Diplom haben, und die Leute ſcheinen gar nicht geneigt, meinem lieben Sohne Danton den Doktorhut aufzuſetzen.
Was war da zu machen?
Sie ſind in Frankfurt und unangefochten!
Es iſt mir leid und doch wieder lieb, daß Sie noch nicht im Rebſtöckel (Straßburger Gaſthaus) angeklopft haben. Ueber den Stand der modernen Literatur in Deutſchland weiß ich ſo gut als Nichts; nur einige verſprengte Broſchüren, die, ich weiß nicht wie, über den Rhein gekommen, fielen mir in die Hände.
Es zeigt ſich in dem Kampfe gegen Sie eine gründ- liche Niederträchtigkeit, eine recht geſunde Niederträchtig- keit, ich begreife gar nicht, wie wir noch ſo natürlich ſein können! Und Menzel's Hohn über die politiſchen Narren
erhielt." Nebenbei bemerkt, hieß dieſer Anonymus Trapp und ſtarb drei Monate nach Büchner in Zürich, nachdem er kurz vor deſſen Erkrankung eine Wiederausſöhnung mit ihm verſucht hatte. F.
G. Büchner's Werke. 25
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0581"n="385"/><notexml:id="note-0581"prev="#note-0580"place="foot"n="*">erhielt." Nebenbei bemerkt, hieß dieſer Anonymus <hirendition="#g">Trapp</hi> und ſtarb<lb/>
drei Monate nach Büchner in Zürich, nachdem er kurz vor deſſen<lb/>
Erkrankung eine Wiederausſöhnung mit ihm verſucht hatte.<lb/><p><hirendition="#fr">F.</hi></p></note></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#c">5.</hi></head><lb/><opener><dateline><hirendition="#g">Straßburg</hi> (1836).</dateline><lb/><salute>Lieber Freund!</salute></opener><lb/><p>"War ich lange genug ſtumm? Was ſoll ich Ihnen<lb/>ſagen? Ich ſaß <hirendition="#g">auch</hi> im Gefängniß und im langweiligſten<lb/>
unter der Sonne, ich habe eine Abhandlung geſchrieben in<lb/>
die Länge, Breite und Tiefe, Tag und Nacht über der eckel-<lb/>
haften Geſchichte, ich begreife nicht, wo ich die Geduld her-<lb/>
genommen. Ich habe nämlich die fixe Idee, im nächſten<lb/>
Semeſter zu Zürich einen Curs über die Entwickelung der<lb/>
deutſchen Philoſophie ſeit Carteſius zu leſen; dazu muß ich<lb/>
mein Diplom haben, und die Leute ſcheinen gar nicht geneigt,<lb/>
meinem lieben Sohne Danton den Doktorhut aufzuſetzen.</p><lb/><p>Was war da zu machen?</p><lb/><p>Sie ſind in Frankfurt und unangefochten!</p><lb/><p>Es iſt mir leid und doch wieder lieb, daß Sie noch<lb/>
nicht im Rebſtöckel (Straßburger Gaſthaus) angeklopft haben.<lb/>
Ueber den Stand der modernen Literatur in Deutſchland<lb/>
weiß ich ſo gut als Nichts; nur einige verſprengte Broſchüren,<lb/>
die, ich weiß nicht wie, über den Rhein gekommen, fielen<lb/>
mir in die Hände.</p><lb/><p>Es zeigt ſich in dem Kampfe gegen Sie eine <hirendition="#g">gründ</hi>-<lb/><hirendition="#g">liche</hi> Niederträchtigkeit, eine recht <hirendition="#g">geſunde</hi> Niederträchtig-<lb/>
keit, ich begreife gar nicht, wie wir noch ſo natürlich ſein<lb/>
können! Und Menzel's Hohn über die politiſchen Narren<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G. Büchner's Werke. 25</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[385/0581]
*
5.
Straßburg (1836).
Lieber Freund!
"War ich lange genug ſtumm? Was ſoll ich Ihnen
ſagen? Ich ſaß auch im Gefängniß und im langweiligſten
unter der Sonne, ich habe eine Abhandlung geſchrieben in
die Länge, Breite und Tiefe, Tag und Nacht über der eckel-
haften Geſchichte, ich begreife nicht, wo ich die Geduld her-
genommen. Ich habe nämlich die fixe Idee, im nächſten
Semeſter zu Zürich einen Curs über die Entwickelung der
deutſchen Philoſophie ſeit Carteſius zu leſen; dazu muß ich
mein Diplom haben, und die Leute ſcheinen gar nicht geneigt,
meinem lieben Sohne Danton den Doktorhut aufzuſetzen.
Was war da zu machen?
Sie ſind in Frankfurt und unangefochten!
Es iſt mir leid und doch wieder lieb, daß Sie noch
nicht im Rebſtöckel (Straßburger Gaſthaus) angeklopft haben.
Ueber den Stand der modernen Literatur in Deutſchland
weiß ich ſo gut als Nichts; nur einige verſprengte Broſchüren,
die, ich weiß nicht wie, über den Rhein gekommen, fielen
mir in die Hände.
Es zeigt ſich in dem Kampfe gegen Sie eine gründ-
liche Niederträchtigkeit, eine recht geſunde Niederträchtig-
keit, ich begreife gar nicht, wie wir noch ſo natürlich ſein
können! Und Menzel's Hohn über die politiſchen Narren
* erhielt." Nebenbei bemerkt, hieß dieſer Anonymus Trapp und ſtarb
drei Monate nach Büchner in Zürich, nachdem er kurz vor deſſen
Erkrankung eine Wiederausſöhnung mit ihm verſucht hatte.
F.
G. Büchner's Werke. 25
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/581>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.