in den deutschen Festungen -- und das von Leuten! mein Gott, ich könnte Ihnen übrigens erbauliche Geschichten er- zählen.
Es hat mich im Tiefsten empört; meine armen Freunde! Glauben Sie nicht, daß Menzel nächstens eine Professur in München erhält?
Uebrigens, um aufrichtig zu sein, Sie und Ihre Freunde scheinen mir nicht grade den klügsten Weg gegangen zu sein. Die Gesellschaft mittelst der Idee, von der ge- bildeten Klasse aus reformiren? Unmöglich! Unsere Zeit ist rein materiell; wären Sie je directer politisch zu Werke gegangen, so wären Sie bald auf den Punkt ge- kommen, wo die Reform von selbst aufgehört hätte. Sie werden nie über den Riß zwischen der gebildeten und unge- bildeten Gesellschaft hinauskommen.
Ich habe mich überzeugt, die gebildete und wohlhabende Minorität, so viel Concessionen sie auch von der Gewalt für sich begehrt, wird nie ihr spitzes Verhältniß zur großen Klasse aufgeben wollen. Und die große Klasse selbst? Für sie gibt es nur zwei Hebel, materielles Elend und reli- giöser Fanatismus. Jede Partei, welche diese Hebel anzusetzen versteht, wird siegen. Unsere Zeit braucht Eisen und Brod -- und dann ein Kreuz oder sonst so was. Ich glaube, man muß in socialen Dingen von einem ab- soluten Rechtsgrundsatz ausgehen, die Bildung eines neuen geistigen Lebens im Volke suchen, und die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen. Zu was soll ein Ding, wie diese, zwischen Himmel und Erde her- umlaufen? Das ganze Leben derselben besteht nur in Versuchen, sich die gesetzlichste Langeweile zu vertreiben.
in den deutſchen Feſtungen — und das von Leuten! mein Gott, ich könnte Ihnen übrigens erbauliche Geſchichten er- zählen.
Es hat mich im Tiefſten empört; meine armen Freunde! Glauben Sie nicht, daß Menzel nächſtens eine Profeſſur in München erhält?
Uebrigens, um aufrichtig zu ſein, Sie und Ihre Freunde ſcheinen mir nicht grade den klügſten Weg gegangen zu ſein. Die Geſellſchaft mittelſt der Idee, von der ge- bildeten Klaſſe aus reformiren? Unmöglich! Unſere Zeit iſt rein materiell; wären Sie je directer politiſch zu Werke gegangen, ſo wären Sie bald auf den Punkt ge- kommen, wo die Reform von ſelbſt aufgehört hätte. Sie werden nie über den Riß zwiſchen der gebildeten und unge- bildeten Geſellſchaft hinauskommen.
Ich habe mich überzeugt, die gebildete und wohlhabende Minorität, ſo viel Conceſſionen ſie auch von der Gewalt für ſich begehrt, wird nie ihr ſpitzes Verhältniß zur großen Klaſſe aufgeben wollen. Und die große Klaſſe ſelbſt? Für ſie gibt es nur zwei Hebel, materielles Elend und reli- giöſer Fanatismus. Jede Partei, welche dieſe Hebel anzuſetzen verſteht, wird ſiegen. Unſere Zeit braucht Eiſen und Brod — und dann ein Kreuz oder ſonſt ſo was. Ich glaube, man muß in ſocialen Dingen von einem ab- ſoluten Rechtsgrundſatz ausgehen, die Bildung eines neuen geiſtigen Lebens im Volke ſuchen, und die abgelebte moderne Geſellſchaft zum Teufel gehen laſſen. Zu was ſoll ein Ding, wie dieſe, zwiſchen Himmel und Erde her- umlaufen? Das ganze Leben derſelben beſteht nur in Verſuchen, ſich die geſetzlichſte Langeweile zu vertreiben.
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in den deutſchen Feſtungen — und das von Leuten! mein
Gott, ich könnte Ihnen übrigens erbauliche Geſchichten er-
zählen.
Es hat mich im Tiefſten empört; meine armen
Freunde! Glauben Sie nicht, daß Menzel nächſtens eine
Profeſſur in München erhält?
Uebrigens, um aufrichtig zu ſein, Sie und Ihre
Freunde ſcheinen mir nicht grade den klügſten Weg gegangen
zu ſein. Die Geſellſchaft mittelſt der Idee, von der ge-
bildeten Klaſſe aus reformiren? Unmöglich! Unſere Zeit
iſt rein materiell; wären Sie je directer politiſch zu
Werke gegangen, ſo wären Sie bald auf den Punkt ge-
kommen, wo die Reform von ſelbſt aufgehört hätte. Sie
werden nie über den Riß zwiſchen der gebildeten und unge-
bildeten Geſellſchaft hinauskommen.
Ich habe mich überzeugt, die gebildete und wohlhabende
Minorität, ſo viel Conceſſionen ſie auch von der Gewalt
für ſich begehrt, wird nie ihr ſpitzes Verhältniß zur großen
Klaſſe aufgeben wollen. Und die große Klaſſe ſelbſt? Für
ſie gibt es nur zwei Hebel, materielles Elend und reli-
giöſer Fanatismus. Jede Partei, welche dieſe Hebel
anzuſetzen verſteht, wird ſiegen. Unſere Zeit braucht Eiſen
und Brod — und dann ein Kreuz oder ſonſt ſo was.
Ich glaube, man muß in ſocialen Dingen von einem ab-
ſoluten Rechtsgrundſatz ausgehen, die Bildung eines
neuen geiſtigen Lebens im Volke ſuchen, und die abgelebte
moderne Geſellſchaft zum Teufel gehen laſſen. Zu was
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/582>, abgerufen am 21.11.2024.
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