18. Februar. Minna besuchte frühe den Kranken, der sie deutlicher wie am vorigen Tage erkannte; er sprach zu ihr, auch von ihrem Vater, doch konnte man nicht alles verstehen, denn seine Stimme war jetzt schwächer. Er nahm aus Minna's Händen ein wenig Wein und Confitur, aß Mittags etwas Suppe, nannte mehrere seiner Freunde mit Namen, auch der Puls hob sich ein wenig; alles dieses war ein Hoffnungsstrahl für uns, trotz den Aerzten, die nichts darauf gaben, aber nur ein Hoffnungsstrahl, denn am Abend traten von neuem üble Symptome ein. Die Nacht war ruhig, da die Schwäche zunahm; doch sprach der Kranke immerfort.
19. Februar, Sonntag. Der Athem wurde schwer, die Schwäche größer, der Tod mußte nahe sein. Das starke Mädchen bat meinen Mann sie zu rufen, wenn der ver- hängnißvolle Augenblick käme, denn lange konnte und durfte sie nicht im Krankenzimmer verweilen. Es war Sonntag; der Himmel war blau und die Sonne schien, die Kinder hatte man weggeschickt, es war stille im Hause und stille auf der Straße. Die Glocken läuteten. Minna und ich saßen allein in meinem traulichen Stübchen. Wir wußten daß wenige Schritte von uns ein Sterbender lag und welcher! Wir hatten uns aber in den Willen der Vorsehung ergeben, denn was in der Menschen Macht lag, den Theueren zu retten, war ja geschehen. Ich erinnere mich in meinem Leben wenig so feierlicher Stunden, wie diese; eine heilige Ruhe goß sich über uns. Wir lasen einige Gedichte, wir sprachen von ihm, bis Wilhelm eintrat, Minna zu rufen, damit sie dem Geliebten den letzten Liebesdienst erzeuge. Sie that es mit starker Ruhe, aber dann brach ihr Schmerz
18. Februar. Minna beſuchte frühe den Kranken, der ſie deutlicher wie am vorigen Tage erkannte; er ſprach zu ihr, auch von ihrem Vater, doch konnte man nicht alles verſtehen, denn ſeine Stimme war jetzt ſchwächer. Er nahm aus Minna's Händen ein wenig Wein und Confitur, aß Mittags etwas Suppe, nannte mehrere ſeiner Freunde mit Namen, auch der Puls hob ſich ein wenig; alles dieſes war ein Hoffnungsſtrahl für uns, trotz den Aerzten, die nichts darauf gaben, aber nur ein Hoffnungsſtrahl, denn am Abend traten von neuem üble Symptome ein. Die Nacht war ruhig, da die Schwäche zunahm; doch ſprach der Kranke immerfort.
19. Februar, Sonntag. Der Athem wurde ſchwer, die Schwäche größer, der Tod mußte nahe ſein. Das ſtarke Mädchen bat meinen Mann ſie zu rufen, wenn der ver- hängnißvolle Augenblick käme, denn lange konnte und durfte ſie nicht im Krankenzimmer verweilen. Es war Sonntag; der Himmel war blau und die Sonne ſchien, die Kinder hatte man weggeſchickt, es war ſtille im Hauſe und ſtille auf der Straße. Die Glocken läuteten. Minna und ich ſaßen allein in meinem traulichen Stübchen. Wir wußten daß wenige Schritte von uns ein Sterbender lag und welcher! Wir hatten uns aber in den Willen der Vorſehung ergeben, denn was in der Menſchen Macht lag, den Theueren zu retten, war ja geſchehen. Ich erinnere mich in meinem Leben wenig ſo feierlicher Stunden, wie dieſe; eine heilige Ruhe goß ſich über uns. Wir laſen einige Gedichte, wir ſprachen von ihm, bis Wilhelm eintrat, Minna zu rufen, damit ſie dem Geliebten den letzten Liebesdienſt erzeuge. Sie that es mit ſtarker Ruhe, aber dann brach ihr Schmerz
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18. Februar. Minna beſuchte frühe den Kranken,
der ſie deutlicher wie am vorigen Tage erkannte; er ſprach
zu ihr, auch von ihrem Vater, doch konnte man nicht alles
verſtehen, denn ſeine Stimme war jetzt ſchwächer. Er nahm
aus Minna's Händen ein wenig Wein und Confitur, aß
Mittags etwas Suppe, nannte mehrere ſeiner Freunde mit
Namen, auch der Puls hob ſich ein wenig; alles dieſes war
ein Hoffnungsſtrahl für uns, trotz den Aerzten, die nichts
darauf gaben, aber nur ein Hoffnungsſtrahl, denn am Abend
traten von neuem üble Symptome ein. Die Nacht war
ruhig, da die Schwäche zunahm; doch ſprach der Kranke
immerfort.
19. Februar, Sonntag. Der Athem wurde ſchwer,
die Schwäche größer, der Tod mußte nahe ſein. Das ſtarke
Mädchen bat meinen Mann ſie zu rufen, wenn der ver-
hängnißvolle Augenblick käme, denn lange konnte und durfte
ſie nicht im Krankenzimmer verweilen. Es war Sonntag;
der Himmel war blau und die Sonne ſchien, die Kinder
hatte man weggeſchickt, es war ſtille im Hauſe und ſtille auf
der Straße. Die Glocken läuteten. Minna und ich ſaßen
allein in meinem traulichen Stübchen. Wir wußten daß
wenige Schritte von uns ein Sterbender lag und welcher!
Wir hatten uns aber in den Willen der Vorſehung ergeben,
denn was in der Menſchen Macht lag, den Theueren zu
retten, war ja geſchehen. Ich erinnere mich in meinem
Leben wenig ſo feierlicher Stunden, wie dieſe; eine heilige
Ruhe goß ſich über uns. Wir laſen einige Gedichte, wir
ſprachen von ihm, bis Wilhelm eintrat, Minna zu rufen,
damit ſie dem Geliebten den letzten Liebesdienſt erzeuge. Sie
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/624>, abgerufen am 25.11.2024.
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