laut aus. Ich nahm sie in meine Arme und weinte mit ihr. Sie wurde ruhiger und endigte einen angefangenen Brief. Der Abend verging uns in Gesprächen über den Hingeschiedenen, oft gedachten wir mit Schmerz der armen Eltern und Geschwister des Verewigten. Minna brachte die Nacht bei mir zu, und da wir lange nicht geschlafen hatten, behauptete die Natur ihr Recht, und ein sanfter Schlummer stärkte uns. Am Abend war ein Brief aus Darmstadt gekommen, der uns tief bewegte; ich beant- wortete ihn.
20. Februar. Minna schrieb an ihren Vater. Wir lasen in einer Art Tagebuch, das sich unter Büchners Papieren gefunden hatte und reiche Geistesschätze enthält. Die Freunde des Verewigten brachten den Abend bei uns zu und er war, wie immer, der Gegenstand unsrer Unterhaltung. Da er über alles was uns interessirte, so oft mit uns gesprochen hatte, so wußten wir viel von ihm zu erzählen. Fast jeder Gegen- stand, der uns umgab, erinnerte uns an diese oder jene geist- reiche Bemerkung, die er darüber gemacht. Bald flossen unsre Thränen und bald mußten wir lachen, wenn wir uns seine treffende Satyre, seine witzigen Einfälle und launigen Scherze in's Gedächtniß zurückriefen.
21. Februar. Der Himmel war helle und die Sonne schien dem Tage, an dem seine irdische Hülle der Erde wieder- gegeben werden sollte. Wir wanden am Morgen einen großen Kranz von lebendigem Grün, Lorbeer und Myrthen und weißen Blüthen, der nach hiesiger Sitte den ganzen Sarg umgeben sollte. Auch ließ Minna dem Dichter und Bräutigam durch Wilhelm einen Lorbeer- und Myrthenkranz auf die hohe blasse Stirne drücken. Ein Strauß von lebendigen Blumen,
laut aus. Ich nahm ſie in meine Arme und weinte mit ihr. Sie wurde ruhiger und endigte einen angefangenen Brief. Der Abend verging uns in Geſprächen über den Hingeſchiedenen, oft gedachten wir mit Schmerz der armen Eltern und Geſchwiſter des Verewigten. Minna brachte die Nacht bei mir zu, und da wir lange nicht geſchlafen hatten, behauptete die Natur ihr Recht, und ein ſanfter Schlummer ſtärkte uns. Am Abend war ein Brief aus Darmſtadt gekommen, der uns tief bewegte; ich beant- wortete ihn.
20. Februar. Minna ſchrieb an ihren Vater. Wir laſen in einer Art Tagebuch, das ſich unter Büchners Papieren gefunden hatte und reiche Geiſtesſchätze enthält. Die Freunde des Verewigten brachten den Abend bei uns zu und er war, wie immer, der Gegenſtand unſrer Unterhaltung. Da er über alles was uns intereſſirte, ſo oft mit uns geſprochen hatte, ſo wußten wir viel von ihm zu erzählen. Faſt jeder Gegen- ſtand, der uns umgab, erinnerte uns an dieſe oder jene geiſt- reiche Bemerkung, die er darüber gemacht. Bald floſſen unſre Thränen und bald mußten wir lachen, wenn wir uns ſeine treffende Satyre, ſeine witzigen Einfälle und launigen Scherze in's Gedächtniß zurückriefen.
21. Februar. Der Himmel war helle und die Sonne ſchien dem Tage, an dem ſeine irdiſche Hülle der Erde wieder- gegeben werden ſollte. Wir wanden am Morgen einen großen Kranz von lebendigem Grün, Lorbeer und Myrthen und weißen Blüthen, der nach hieſiger Sitte den ganzen Sarg umgeben ſollte. Auch ließ Minna dem Dichter und Bräutigam durch Wilhelm einen Lorbeer- und Myrthenkranz auf die hohe blaſſe Stirne drücken. Ein Strauß von lebendigen Blumen,
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laut aus. Ich nahm ſie in meine Arme und weinte mit
ihr. Sie wurde ruhiger und endigte einen angefangenen
Brief. Der Abend verging uns in Geſprächen über den
Hingeſchiedenen, oft gedachten wir mit Schmerz der armen
Eltern und Geſchwiſter des Verewigten. Minna brachte
die Nacht bei mir zu, und da wir lange nicht geſchlafen
hatten, behauptete die Natur ihr Recht, und ein ſanfter
Schlummer ſtärkte uns. Am Abend war ein Brief aus
Darmſtadt gekommen, der uns tief bewegte; ich beant-
wortete ihn.
20. Februar. Minna ſchrieb an ihren Vater. Wir
laſen in einer Art Tagebuch, das ſich unter Büchners Papieren
gefunden hatte und reiche Geiſtesſchätze enthält. Die Freunde
des Verewigten brachten den Abend bei uns zu und er war,
wie immer, der Gegenſtand unſrer Unterhaltung. Da er über
alles was uns intereſſirte, ſo oft mit uns geſprochen hatte,
ſo wußten wir viel von ihm zu erzählen. Faſt jeder Gegen-
ſtand, der uns umgab, erinnerte uns an dieſe oder jene geiſt-
reiche Bemerkung, die er darüber gemacht. Bald floſſen unſre
Thränen und bald mußten wir lachen, wenn wir uns ſeine
treffende Satyre, ſeine witzigen Einfälle und launigen Scherze
in's Gedächtniß zurückriefen.
21. Februar. Der Himmel war helle und die Sonne
ſchien dem Tage, an dem ſeine irdiſche Hülle der Erde wieder-
gegeben werden ſollte. Wir wanden am Morgen einen großen
Kranz von lebendigem Grün, Lorbeer und Myrthen und weißen
Blüthen, der nach hieſiger Sitte den ganzen Sarg umgeben
ſollte. Auch ließ Minna dem Dichter und Bräutigam durch
Wilhelm einen Lorbeer- und Myrthenkranz auf die hohe
blaſſe Stirne drücken. Ein Strauß von lebendigen Blumen,
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/625>, abgerufen am 25.11.2024.
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