spricht Büchner selbst in den Briefen, welche er 1831-33 aus Straßburg an seine Familie gerichtet. Sie finden sich in dieser Ausgabe, so weit sie erhalten sind (S. 389), voll- inhaltlich abgedruckt (S. 325-334); und wir können uns daher darauf beschränken, hier nur einige besonders markante Züge hervorzuheben. Er erzählt den Eltern von dem fest- lichen Empfange, welchen die Studentenschaft dem flüchtigen polnischen General Romarino bereitete. Er hat selbst bei dieser stürmischen Demonstration mitgethan, welche nicht ohne Conflict mit dem Militär durchzusetzen war und einem Prin- cipe galt, für das er warme Sympathien hat. Aber in welchem Tone berichtet er darüber? So kühl und ironisch, als wäre es ein toller Faschingsstreich gewesen: "man ruft Vivat! und die Comödie ist fertig!" (S. 326) Ist das etwa Blasirtheit? Keineswegs -- aber eine nutzlose Demon- stration ist in seinen Augen eben nur eine "Comödie!" Wie anders die wenigen Zeilen des nächsten Briefes, tiefer Grimm, patriotischer Schmerz und feste Entschlossenheit sprechen da- raus. Hier handelt es sich eben um die Sache der Freiheit und -- "es kann Alles gewonnen, Alles verloren werden". Man muß sich die politische Situation vergegenwärtigen, um den Ton des Briefes zu verstehen: Rußland hat Polen be- siegt und steht nun mächtig und drohend aufgerichtet, um die Flammen, welche die Julitage des Vorjahrs entzündet, auch im übrigen Europa zu ersticken. "Wenn die Russen über die Oder gehen, dann nehme ich den Schießprügel und sollte ich's in Frankreich thun!" Wie ernst es dem Jüngling um diesen Vorsatz ist, beweist die Thatsache, daß er den Muth findet, ihn dem Vater mitzutheilen: dem harten, reactionär gesinnten Manne. Die Gefahr geht vorbei, aber der Sturm
ſpricht Büchner ſelbſt in den Briefen, welche er 1831-33 aus Straßburg an ſeine Familie gerichtet. Sie finden ſich in dieſer Ausgabe, ſo weit ſie erhalten ſind (S. 389), voll- inhaltlich abgedruckt (S. 325-334); und wir können uns daher darauf beſchränken, hier nur einige beſonders markante Züge hervorzuheben. Er erzählt den Eltern von dem feſt- lichen Empfange, welchen die Studentenſchaft dem flüchtigen polniſchen General Romarino bereitete. Er hat ſelbſt bei dieſer ſtürmiſchen Demonſtration mitgethan, welche nicht ohne Conflict mit dem Militär durchzuſetzen war und einem Prin- cipe galt, für das er warme Sympathien hat. Aber in welchem Tone berichtet er darüber? So kühl und ironiſch, als wäre es ein toller Faſchingsſtreich geweſen: "man ruft Vivat! und die Comödie iſt fertig!" (S. 326) Iſt das etwa Blaſirtheit? Keineswegs — aber eine nutzloſe Demon- ſtration iſt in ſeinen Augen eben nur eine "Comödie!" Wie anders die wenigen Zeilen des nächſten Briefes, tiefer Grimm, patriotiſcher Schmerz und feſte Entſchloſſenheit ſprechen da- raus. Hier handelt es ſich eben um die Sache der Freiheit und — "es kann Alles gewonnen, Alles verloren werden". Man muß ſich die politiſche Situation vergegenwärtigen, um den Ton des Briefes zu verſtehen: Rußland hat Polen be- ſiegt und ſteht nun mächtig und drohend aufgerichtet, um die Flammen, welche die Julitage des Vorjahrs entzündet, auch im übrigen Europa zu erſticken. "Wenn die Ruſſen über die Oder gehen, dann nehme ich den Schießprügel und ſollte ich's in Frankreich thun!" Wie ernſt es dem Jüngling um dieſen Vorſatz iſt, beweiſt die Thatſache, daß er den Muth findet, ihn dem Vater mitzutheilen: dem harten, reactionär geſinnten Manne. Die Gefahr geht vorbei, aber der Sturm
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[LIII/0069]
ſpricht Büchner ſelbſt in den Briefen, welche er 1831-33
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inhaltlich abgedruckt (S. 325-334); und wir können uns
daher darauf beſchränken, hier nur einige beſonders markante
Züge hervorzuheben. Er erzählt den Eltern von dem feſt-
lichen Empfange, welchen die Studentenſchaft dem flüchtigen
polniſchen General Romarino bereitete. Er hat ſelbſt bei
dieſer ſtürmiſchen Demonſtration mitgethan, welche nicht ohne
Conflict mit dem Militär durchzuſetzen war und einem Prin-
cipe galt, für das er warme Sympathien hat. Aber in
welchem Tone berichtet er darüber? So kühl und ironiſch,
als wäre es ein toller Faſchingsſtreich geweſen: "man ruft
Vivat! und die Comödie iſt fertig!" (S. 326) Iſt das
etwa Blaſirtheit? Keineswegs — aber eine nutzloſe Demon-
ſtration iſt in ſeinen Augen eben nur eine "Comödie!" Wie
anders die wenigen Zeilen des nächſten Briefes, tiefer Grimm,
patriotiſcher Schmerz und feſte Entſchloſſenheit ſprechen da-
raus. Hier handelt es ſich eben um die Sache der Freiheit
und — "es kann Alles gewonnen, Alles verloren werden".
Man muß ſich die politiſche Situation vergegenwärtigen, um
den Ton des Briefes zu verſtehen: Rußland hat Polen be-
ſiegt und ſteht nun mächtig und drohend aufgerichtet, um die
Flammen, welche die Julitage des Vorjahrs entzündet, auch
im übrigen Europa zu erſticken. "Wenn die Ruſſen über
die Oder gehen, dann nehme ich den Schießprügel und ſollte
ich's in Frankreich thun!" Wie ernſt es dem Jüngling um
dieſen Vorſatz iſt, beweiſt die Thatſache, daß er den Muth
findet, ihn dem Vater mitzutheilen: dem harten, reactionär
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/69>, abgerufen am 27.11.2024.
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