dung zuweilen in Empfindsamkeit, ja in Verzückung um- schlägt. Wenn Büchner z. B. seine Gesundheit verwünscht, "weil ihn das Fieber mit Küssen bedeckte und umschlang wie der Arm der Geliebten", so ist dies weder poetisch, noch tief empfunden, sondern schlichtweg bombastischer Wort- schwall. Dieser Hang zur sentimentalen Hyperbel kann frei- lich in der krankhaft-nervösen Stimmung des Schreibers, sowie in der Mode der Zeit seine reichliche Entschuldigung finden -- wie übertrieben empfindsam sich in jenen von der Romantik beherrschten Tagen selbst sehr robuste Naturen auszudrücken pflegten, hiefür ist in den kürzlich veröffentlichten Briefen Friedrich Schlosser's an Catharina Schmidt ein merk- würdiges Beispiel an's Licht getreten. In Büchner's Briefen läßt sich zudem das Sentimentale von dem Tiefempfundenen leicht unterscheiden. So, wenn er einmal ausruft: "O könnte ich dies kalte und gemarterte Herz an Deine Brust legen!" Daß der Zwanzigjährige sein heißes Herz "kalt" nennt, wird uns nicht hindern an seine "Martern" zu glauben und zu erkennen, daß ihm der Wunsch selbst aus tiefster Seele quillt. Die Trennung von der Geliebten dünkte ihm wirk- lich fast unerträglich und vermehrte die Schmerzenslast auf seinem Herzen.
Wie er das holde Mädchen schwer vermißte, so auch eine andere Freundin, die ihn früher oft entzückt und ge- tröstet. Die Landschaft um Gießen ist reizlos, sie darf sich nicht mit jener um Darmstadt vergleichen, geschweige denn mit der des Elsaß. Man wird sich Büchner's schwärmerische Liebe zur Natur lebhaft in's Gedächtniß zurückrufen müssen, um zu begreifen, daß die Klage darüber das Allererste ist, was er seiner Braut aus Gießen mittheilt: "Hier ist kein
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dung zuweilen in Empfindſamkeit, ja in Verzückung um- ſchlägt. Wenn Büchner z. B. ſeine Geſundheit verwünſcht, "weil ihn das Fieber mit Küſſen bedeckte und umſchlang wie der Arm der Geliebten", ſo iſt dies weder poetiſch, noch tief empfunden, ſondern ſchlichtweg bombaſtiſcher Wort- ſchwall. Dieſer Hang zur ſentimentalen Hyperbel kann frei- lich in der krankhaft-nervöſen Stimmung des Schreibers, ſowie in der Mode der Zeit ſeine reichliche Entſchuldigung finden — wie übertrieben empfindſam ſich in jenen von der Romantik beherrſchten Tagen ſelbſt ſehr robuſte Naturen auszudrücken pflegten, hiefür iſt in den kürzlich veröffentlichten Briefen Friedrich Schloſſer's an Catharina Schmidt ein merk- würdiges Beiſpiel an's Licht getreten. In Büchner's Briefen läßt ſich zudem das Sentimentale von dem Tiefempfundenen leicht unterſcheiden. So, wenn er einmal ausruft: "O könnte ich dies kalte und gemarterte Herz an Deine Bruſt legen!" Daß der Zwanzigjährige ſein heißes Herz "kalt" nennt, wird uns nicht hindern an ſeine "Martern" zu glauben und zu erkennen, daß ihm der Wunſch ſelbſt aus tiefſter Seele quillt. Die Trennung von der Geliebten dünkte ihm wirk- lich faſt unerträglich und vermehrte die Schmerzenslaſt auf ſeinem Herzen.
Wie er das holde Mädchen ſchwer vermißte, ſo auch eine andere Freundin, die ihn früher oft entzückt und ge- tröſtet. Die Landſchaft um Gießen iſt reizlos, ſie darf ſich nicht mit jener um Darmſtadt vergleichen, geſchweige denn mit der des Elſaß. Man wird ſich Büchner's ſchwärmeriſche Liebe zur Natur lebhaft in's Gedächtniß zurückrufen müſſen, um zu begreifen, daß die Klage darüber das Allererſte iſt, was er ſeiner Braut aus Gießen mittheilt: "Hier iſt kein
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[LXVII/0083]
dung zuweilen in Empfindſamkeit, ja in Verzückung um-
ſchlägt. Wenn Büchner z. B. ſeine Geſundheit verwünſcht,
"weil ihn das Fieber mit Küſſen bedeckte und umſchlang
wie der Arm der Geliebten", ſo iſt dies weder poetiſch, noch
tief empfunden, ſondern ſchlichtweg bombaſtiſcher Wort-
ſchwall. Dieſer Hang zur ſentimentalen Hyperbel kann frei-
lich in der krankhaft-nervöſen Stimmung des Schreibers,
ſowie in der Mode der Zeit ſeine reichliche Entſchuldigung
finden — wie übertrieben empfindſam ſich in jenen von
der Romantik beherrſchten Tagen ſelbſt ſehr robuſte Naturen
auszudrücken pflegten, hiefür iſt in den kürzlich veröffentlichten
Briefen Friedrich Schloſſer's an Catharina Schmidt ein merk-
würdiges Beiſpiel an's Licht getreten. In Büchner's Briefen
läßt ſich zudem das Sentimentale von dem Tiefempfundenen
leicht unterſcheiden. So, wenn er einmal ausruft: "O könnte
ich dies kalte und gemarterte Herz an Deine Bruſt legen!"
Daß der Zwanzigjährige ſein heißes Herz "kalt" nennt,
wird uns nicht hindern an ſeine "Martern" zu glauben und
zu erkennen, daß ihm der Wunſch ſelbſt aus tiefſter Seele
quillt. Die Trennung von der Geliebten dünkte ihm wirk-
lich faſt unerträglich und vermehrte die Schmerzenslaſt auf
ſeinem Herzen.
Wie er das holde Mädchen ſchwer vermißte, ſo auch
eine andere Freundin, die ihn früher oft entzückt und ge-
tröſtet. Die Landſchaft um Gießen iſt reizlos, ſie darf ſich
nicht mit jener um Darmſtadt vergleichen, geſchweige denn
mit der des Elſaß. Man wird ſich Büchner's ſchwärmeriſche
Liebe zur Natur lebhaft in's Gedächtniß zurückrufen müſſen,
um zu begreifen, daß die Klage darüber das Allererſte iſt,
was er ſeiner Braut aus Gießen mittheilt: "Hier iſt kein
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/83>, abgerufen am 26.11.2024.
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