Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bürger, Gottfried August: Gedichte. Göttingen, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

scheiden wissen. Ueberdem weis ich auch sehr
gut, wie leicht einem der Wind der Laune
und Mode, selbst wider Verdienst, Beifal
entgegen wehen, und wie geschwind sich die-
ser oft wenden könne. Ich weis sehr gut,
daß nicht alle meine Gedichte Allen, ja selbst
meine Besten nicht allen gefallen werden.
Manche verdienen und erhalten vielleicht gar
keinen Beifal. Denn der Geist hat, wie
der Leib, seine Anwandlungen von Schwach-
heit; und nicht aller Menschen Seelen sind
mit einerlei Saiten bezogen; nicht alle ha-
ben gleiche Stimmung.

Darum aber ist es mir wiederum noch
lange nicht gemütlich, in dünnethuender
Demut, auf allen Vieren, vor den Sche-
mel der Kritik, sie sey welche sie wolle, zu
kriechen, und für irgend eins meiner Werke
um Gnade zu betteln. Denn ich lebe und
sterbe des Glaubens, das keinem darstellen-
den Werke, welchem die Natur lebendigen

Odem
c

ſcheiden wiſſen. Ueberdem weis ich auch ſehr
gut, wie leicht einem der Wind der Laune
und Mode, ſelbſt wider Verdienſt, Beifal
entgegen wehen, und wie geſchwind ſich die-
ſer oft wenden koͤnne. Ich weis ſehr gut,
daß nicht alle meine Gedichte Allen, ja ſelbſt
meine Beſten nicht allen gefallen werden.
Manche verdienen und erhalten vielleicht gar
keinen Beifal. Denn der Geiſt hat, wie
der Leib, ſeine Anwandlungen von Schwach-
heit; und nicht aller Menſchen Seelen ſind
mit einerlei Saiten bezogen; nicht alle ha-
ben gleiche Stimmung.

Darum aber iſt es mir wiederum noch
lange nicht gemuͤtlich, in duͤnnethuender
Demut, auf allen Vieren, vor den Sche-
mel der Kritik, ſie ſey welche ſie wolle, zu
kriechen, und fuͤr irgend eins meiner Werke
um Gnade zu betteln. Denn ich lebe und
ſterbe des Glaubens, das keinem darſtellen-
den Werke, welchem die Natur lebendigen

Odem
c
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0042" n="III"/>
&#x017F;cheiden wi&#x017F;&#x017F;en. Ueberdem weis ich auch &#x017F;ehr<lb/>
gut, wie leicht einem der Wind der Laune<lb/>
und Mode, &#x017F;elb&#x017F;t wider Verdien&#x017F;t, Beifal<lb/>
entgegen wehen, und wie ge&#x017F;chwind &#x017F;ich die-<lb/>
&#x017F;er oft wenden ko&#x0364;nne. Ich weis &#x017F;ehr gut,<lb/>
daß nicht alle meine Gedichte Allen, ja &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
meine Be&#x017F;ten nicht allen gefallen werden.<lb/>
Manche verdienen und erhalten vielleicht gar<lb/>
keinen Beifal. Denn der Gei&#x017F;t hat, wie<lb/>
der Leib, &#x017F;eine Anwandlungen von Schwach-<lb/>
heit; und nicht aller Men&#x017F;chen Seelen &#x017F;ind<lb/>
mit einerlei Saiten bezogen; nicht alle ha-<lb/>
ben gleiche Stimmung.</p><lb/>
        <p>Darum aber i&#x017F;t es mir wiederum noch<lb/>
lange nicht gemu&#x0364;tlich, in du&#x0364;nnethuender<lb/>
Demut, auf allen Vieren, vor den Sche-<lb/>
mel der Kritik, &#x017F;ie &#x017F;ey welche &#x017F;ie wolle, zu<lb/>
kriechen, und fu&#x0364;r irgend eins meiner Werke<lb/>
um Gnade zu betteln. Denn ich lebe und<lb/>
&#x017F;terbe des Glaubens, das keinem dar&#x017F;tellen-<lb/>
den Werke, welchem die Natur lebendigen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">c</fw><fw place="bottom" type="catch">Odem</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[III/0042] ſcheiden wiſſen. Ueberdem weis ich auch ſehr gut, wie leicht einem der Wind der Laune und Mode, ſelbſt wider Verdienſt, Beifal entgegen wehen, und wie geſchwind ſich die- ſer oft wenden koͤnne. Ich weis ſehr gut, daß nicht alle meine Gedichte Allen, ja ſelbſt meine Beſten nicht allen gefallen werden. Manche verdienen und erhalten vielleicht gar keinen Beifal. Denn der Geiſt hat, wie der Leib, ſeine Anwandlungen von Schwach- heit; und nicht aller Menſchen Seelen ſind mit einerlei Saiten bezogen; nicht alle ha- ben gleiche Stimmung. Darum aber iſt es mir wiederum noch lange nicht gemuͤtlich, in duͤnnethuender Demut, auf allen Vieren, vor den Sche- mel der Kritik, ſie ſey welche ſie wolle, zu kriechen, und fuͤr irgend eins meiner Werke um Gnade zu betteln. Denn ich lebe und ſterbe des Glaubens, das keinem darſtellen- den Werke, welchem die Natur lebendigen Odem c

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_gedichte_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_gedichte_1778/42
Zitationshilfe: Bürger, Gottfried August: Gedichte. Göttingen, 1778, S. III. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_gedichte_1778/42>, abgerufen am 04.05.2024.