Dichter -- Dichter sind? -- Petrarka's Laura ist gewis und warhaftig das nicht gewesen, was die unsterblichen Lieder des Dichters aus ihr gemacht haben. Mein er- wähntes Lied ist eine Fantasie, im Geiste der Provenzal- und Minnedichter. Die Ge- schichte erwähnt nichts davon, daß im zwölften und dreizehnten Jahrhundert ein Dichter über Stellen in den Ban gethan worden wäre, worüber den Zeloten des acht- zehnten die dummen Augen zum Kopf her- aus schwellen.
Ja, wird man mir nun einwenden, dem gesunden Verstande hast du freilich kein Aergernis gegeben; aber, Dichter, du sol- test doch auch der Schwachheit schonen. Ich antworte hierauf: Es ist zwar wider meinen Charakter, die Schwachheit nur un- schuldiger Weise zu ärgern; aber sich auch immer und ewig nach ihr zu geniren, giebt der Menschheit kein Gedeihen. Ich hüte
mich
Dichter — Dichter ſind? — Petrarka’s Laura iſt gewis und warhaftig das nicht geweſen, was die unſterblichen Lieder des Dichters aus ihr gemacht haben. Mein er- waͤhntes Lied iſt eine Fantaſie, im Geiſte der Provenzal- und Minnedichter. Die Ge- ſchichte erwaͤhnt nichts davon, daß im zwoͤlften und dreizehnten Jahrhundert ein Dichter uͤber Stellen in den Ban gethan worden waͤre, woruͤber den Zeloten des acht- zehnten die dummen Augen zum Kopf her- aus ſchwellen.
Ja, wird man mir nun einwenden, dem geſunden Verſtande haſt du freilich kein Aergernis gegeben; aber, Dichter, du ſol- teſt doch auch der Schwachheit ſchonen. Ich antworte hierauf: Es iſt zwar wider meinen Charakter, die Schwachheit nur un- ſchuldiger Weiſe zu aͤrgern; aber ſich auch immer und ewig nach ihr zu geniren, giebt der Menſchheit kein Gedeihen. Ich huͤte
mich
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0049"n="X"/>
Dichter — Dichter ſind? — Petrarka’s<lb/>
Laura iſt gewis und warhaftig das nicht<lb/>
geweſen, was die unſterblichen Lieder des<lb/>
Dichters aus ihr gemacht haben. Mein er-<lb/>
waͤhntes Lied iſt eine Fantaſie, im Geiſte<lb/>
der Provenzal- und Minnedichter. Die Ge-<lb/>ſchichte erwaͤhnt nichts davon, daß im<lb/>
zwoͤlften und dreizehnten Jahrhundert ein<lb/>
Dichter uͤber Stellen in den Ban gethan<lb/>
worden waͤre, woruͤber den Zeloten des acht-<lb/>
zehnten die dummen Augen zum Kopf her-<lb/>
aus ſchwellen.</p><lb/><p>Ja, wird man mir nun einwenden,<lb/>
dem geſunden Verſtande haſt du freilich kein<lb/>
Aergernis gegeben; aber, Dichter, du ſol-<lb/>
teſt doch auch der Schwachheit ſchonen.<lb/>
Ich antworte hierauf: Es iſt zwar wider<lb/>
meinen Charakter, die Schwachheit nur un-<lb/>ſchuldiger Weiſe zu aͤrgern; aber ſich auch<lb/>
immer und ewig nach ihr zu geniren, giebt<lb/>
der Menſchheit kein Gedeihen. Ich huͤte<lb/><fwplace="bottom"type="catch">mich</fw><lb/></p></div></front></text></TEI>
[X/0049]
Dichter — Dichter ſind? — Petrarka’s
Laura iſt gewis und warhaftig das nicht
geweſen, was die unſterblichen Lieder des
Dichters aus ihr gemacht haben. Mein er-
waͤhntes Lied iſt eine Fantaſie, im Geiſte
der Provenzal- und Minnedichter. Die Ge-
ſchichte erwaͤhnt nichts davon, daß im
zwoͤlften und dreizehnten Jahrhundert ein
Dichter uͤber Stellen in den Ban gethan
worden waͤre, woruͤber den Zeloten des acht-
zehnten die dummen Augen zum Kopf her-
aus ſchwellen.
Ja, wird man mir nun einwenden,
dem geſunden Verſtande haſt du freilich kein
Aergernis gegeben; aber, Dichter, du ſol-
teſt doch auch der Schwachheit ſchonen.
Ich antworte hierauf: Es iſt zwar wider
meinen Charakter, die Schwachheit nur un-
ſchuldiger Weiſe zu aͤrgern; aber ſich auch
immer und ewig nach ihr zu geniren, giebt
der Menſchheit kein Gedeihen. Ich huͤte
mich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bürger, Gottfried August: Gedichte. Göttingen, 1778, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_gedichte_1778/49>, abgerufen am 04.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.