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Bunge, Gustav von: Der Vegetarianismus. Berlin, 1885.

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haben wir Menschen hier garnicht zu fragen
nach Recht oder Unrecht. Die Frage ist
schon lange gestellt worden ohne uns und
sie lautet ganz anders. Sie lautet: sollen
wir morden und quälen oder selbst gequält
und gemordet werden.

Mitten hinein in einen unerbittlichen, mörderischen
Kampf hat uns die Natur gestellt. Wir sind be-
ständig -- auch in diesem Augenblicke -- ura-
schwärmt von zahllosen Thieren, welche nur die
eine Lebensaufgabe haben, uns zu Tode zu quälen.
Wir sehen Tag aus Tag ein Tausende unserer ge-
liebten Mitmenschen dahinsterben unter den schreck-
lichsten Qualen, gefressen werden bei lebendigem Leibe
von erbarmungslosen Bestien. Und wir sollten nicht
das Recht haben, ein Kaninchen zu opfern, um diesen
unseren Feinden hinter die Schliche zu kommen!

Der Wunsch, dass alle fühlenden Wesen friedlich
neben einander leben sollen, ist einfach eine Gedanken-
losigkeit. Es ist Thatsache: jedes fühlende
Wesen auf unserem Planeten exsistirt nur
auf Kosten anderer fühlender Wesen. Auch
der Pflanzenfresser lebt auf Kosten anderer Thiere;
er raubt Andereu die Exsistenzmittel, die Nahrung;
er lässt sie elend und qualvoll verhungern. Es
bleibt ja kein Pflanzentheil unverzehrt; es fällt kein
Blatt zur Erde, ohne gefressen zu werden. Was die
Säugethiere und Vögel nicht gefressen haben, fressen
die Insecten; was die Insecten übrig lassen, fressen
die Regenwürmer; was der Wurm übrig lässt, fressen


haben wir Menschen hier garnicht zu fragen
nach Recht oder Unrecht. Die Frage ist
schon lange gestellt worden ohne uns und
sie lautet ganz anders. Sie lautet: sollen
wir morden und quälen oder selbst gequält
und gemordet werden.

Mitten hinein in einen unerbittlichen, mörderischen
Kampf hat uns die Natur gestellt. Wir sind be-
ständig — auch in diesem Augenblicke — ura-
schwärmt von zahllosen Thieren, welche nur die
eine Lebensaufgabe haben, uns zu Tode zu quälen.
Wir sehen Tag aus Tag ein Tausende unserer ge-
liebten Mitmenschen dahinsterben unter den schreck-
lichsten Qualen, gefressen werden bei lebendigem Leibe
von erbarmungslosen Bestien. Und wir sollten nicht
das Recht haben, ein Kaninchen zu opfern, um diesen
unseren Feinden hinter die Schliche zu kommen!

Der Wunsch, dass alle fühlenden Wesen friedlich
neben einander leben sollen, ist einfach eine Gedanken-
losigkeit. Es ist Thatsache: jedes fühlende
Wesen auf unserem Planeten exsistirt nur
auf Kosten anderer fühlender Wesen. Auch
der Pflanzenfresser lebt auf Kosten anderer Thiere;
er raubt Andereu die Exsistenzmittel, die Nahrung;
er lässt sie elend und qualvoll verhungern. Es
bleibt ja kein Pflanzentheil unverzehrt; es fällt kein
Blatt zur Erde, ohne gefressen zu werden. Was die
Säugethiere und Vögel nicht gefressen haben, fressen
die Insecten; was die Insecten übrig lassen, fressen
die Regenwürmer; was der Wurm übrig lässt, fressen

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[41/0042] haben wir Menschen hier garnicht zu fragen nach Recht oder Unrecht. Die Frage ist schon lange gestellt worden ohne uns und sie lautet ganz anders. Sie lautet: sollen wir morden und quälen oder selbst gequält und gemordet werden. Mitten hinein in einen unerbittlichen, mörderischen Kampf hat uns die Natur gestellt. Wir sind be- ständig — auch in diesem Augenblicke — ura- schwärmt von zahllosen Thieren, welche nur die eine Lebensaufgabe haben, uns zu Tode zu quälen. Wir sehen Tag aus Tag ein Tausende unserer ge- liebten Mitmenschen dahinsterben unter den schreck- lichsten Qualen, gefressen werden bei lebendigem Leibe von erbarmungslosen Bestien. Und wir sollten nicht das Recht haben, ein Kaninchen zu opfern, um diesen unseren Feinden hinter die Schliche zu kommen! Der Wunsch, dass alle fühlenden Wesen friedlich neben einander leben sollen, ist einfach eine Gedanken- losigkeit. Es ist Thatsache: jedes fühlende Wesen auf unserem Planeten exsistirt nur auf Kosten anderer fühlender Wesen. Auch der Pflanzenfresser lebt auf Kosten anderer Thiere; er raubt Andereu die Exsistenzmittel, die Nahrung; er lässt sie elend und qualvoll verhungern. Es bleibt ja kein Pflanzentheil unverzehrt; es fällt kein Blatt zur Erde, ohne gefressen zu werden. Was die Säugethiere und Vögel nicht gefressen haben, fressen die Insecten; was die Insecten übrig lassen, fressen die Regenwürmer; was der Wurm übrig lässt, fressen

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Zitationshilfe: Bunge, Gustav von: Der Vegetarianismus. Berlin, 1885, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bunge_vegetarianismus_1885/42>, abgerufen am 21.11.2024.