Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.Tintoretto. fang bis zu Ende im Sinne des absoluten Naturalismus um, vielleichtmit dem Zwecke, unmittelbarer zu ergreifen und zu rühren. Für diese Absicht sucht er das Auge durch schöne Köpfe zu gewinnen; dagegen wird er nicht inne, wie der Missbrauch der Füllfiguren den wahren und grossen Eindruck aufhebt; er fällt in seinem Eifer der Verwirk- lichung auf die gemeinsten Züge, wie denn z. B. das Abendmahl kaum je niedriger aufgefasst worden ist; bei der Taufe im Jordan drückt Johannes dem Christus die Schulter herab; bei der Auferweckung des Lazarus sitzt Christus ganz bequem in der Ecke unten. Die mei- sten Bilder, mit Ausnahme der Sala dell' albergo, sind höchst nach- lässig und schnell gemalt. In denjenigen der untern Halle ist das Landschaftliche zu beachten; scharfe phantastische Lichter an den Rändern der Bäume und Berge. Einen ungeschickten Wetteifer mit Michelangelo findet man am ehesten in dem grossen mittlern Decken- bild der obern Halle, welches die eherne Schlange darstellt. -- Mit den Gemälden dieser Scuola gab T. den Ton an für die ganze monu- mentale Malerei Venedigs in den nächsten Jahrzehnden (von den 1560er Jahren an); er selber nahm noch Theil an der Ausschmückung der Capella del rosario (links an S. Giov. e Paolo), welche als Denk-a mal des Sieges von Lepanto errichtet wurde, hauptsächlich aber an derjenigen des Dogenpalastes. Den decorativen Werth dieser Arbeiten haben wir oben (S. 291, f) festzustellen gesucht. Wo sich einmal der ganze Styl so sehr von der Auffassung, die beim Fresco die allein mögliche ist, abgewandt hat, da bleibt in der That kein anderer Aus- weg offen, als dieser. -- Im Chor von S. M. dell' orto zwei Colossal-b bilder, die Anbetung des goldenen Kalbes und die letzten Dinge; roh und abgeschmackt. -- Im linken Querschiff von S. Trovaso ein Abend-c mahl, zum gemeinsten Schmaus entwürdigt. -- Auf allen Altären von S. Giorgio maggiore Sudeleien, welche dem T. zu ewiger Schmachd gereichen. Von seinen Schülern ist sein Sohn Domenico in seinem Natu- Tintoretto. fang bis zu Ende im Sinne des absoluten Naturalismus um, vielleichtmit dem Zwecke, unmittelbarer zu ergreifen und zu rühren. Für diese Absicht sucht er das Auge durch schöne Köpfe zu gewinnen; dagegen wird er nicht inne, wie der Missbrauch der Füllfiguren den wahren und grossen Eindruck aufhebt; er fällt in seinem Eifer der Verwirk- lichung auf die gemeinsten Züge, wie denn z. B. das Abendmahl kaum je niedriger aufgefasst worden ist; bei der Taufe im Jordan drückt Johannes dem Christus die Schulter herab; bei der Auferweckung des Lazarus sitzt Christus ganz bequem in der Ecke unten. Die mei- sten Bilder, mit Ausnahme der Sala dell’ albergo, sind höchst nach- lässig und schnell gemalt. In denjenigen der untern Halle ist das Landschaftliche zu beachten; scharfe phantastische Lichter an den Rändern der Bäume und Berge. Einen ungeschickten Wetteifer mit Michelangelo findet man am ehesten in dem grossen mittlern Decken- bild der obern Halle, welches die eherne Schlange darstellt. — Mit den Gemälden dieser Scuola gab T. den Ton an für die ganze monu- mentale Malerei Venedigs in den nächsten Jahrzehnden (von den 1560er Jahren an); er selber nahm noch Theil an der Ausschmückung der Capella del rosario (links an S. Giov. e Paolo), welche als Denk-a mal des Sieges von Lepanto errichtet wurde, hauptsächlich aber an derjenigen des Dogenpalastes. Den decorativen Werth dieser Arbeiten haben wir oben (S. 291, f) festzustellen gesucht. Wo sich einmal der ganze Styl so sehr von der Auffassung, die beim Fresco die allein mögliche ist, abgewandt hat, da bleibt in der That kein anderer Aus- weg offen, als dieser. — Im Chor von S. M. dell’ orto zwei Colossal-b bilder, die Anbetung des goldenen Kalbes und die letzten Dinge; roh und abgeschmackt. — Im linken Querschiff von S. Trovaso ein Abend-c mahl, zum gemeinsten Schmaus entwürdigt. — Auf allen Altären von S. Giorgio maggiore Sudeleien, welche dem T. zu ewiger Schmachd gereichen. Von seinen Schülern ist sein Sohn Domenico in seinem Natu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f1007" n="985"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Tintoretto.</hi></fw><lb/> fang bis zu Ende im Sinne des absoluten Naturalismus um, vielleicht<lb/> mit dem Zwecke, unmittelbarer zu ergreifen und zu rühren. Für diese<lb/> Absicht sucht er das Auge durch schöne Köpfe zu gewinnen; dagegen<lb/> wird er nicht inne, wie der Missbrauch der Füllfiguren den wahren<lb/> und grossen Eindruck aufhebt; er fällt in seinem Eifer der Verwirk-<lb/> lichung auf die gemeinsten Züge, wie denn z. 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Tintoretto.
fang bis zu Ende im Sinne des absoluten Naturalismus um, vielleicht
mit dem Zwecke, unmittelbarer zu ergreifen und zu rühren. Für diese
Absicht sucht er das Auge durch schöne Köpfe zu gewinnen; dagegen
wird er nicht inne, wie der Missbrauch der Füllfiguren den wahren
und grossen Eindruck aufhebt; er fällt in seinem Eifer der Verwirk-
lichung auf die gemeinsten Züge, wie denn z. B. das Abendmahl kaum
je niedriger aufgefasst worden ist; bei der Taufe im Jordan drückt
Johannes dem Christus die Schulter herab; bei der Auferweckung
des Lazarus sitzt Christus ganz bequem in der Ecke unten. Die mei-
sten Bilder, mit Ausnahme der Sala dell’ albergo, sind höchst nach-
lässig und schnell gemalt. In denjenigen der untern Halle ist das
Landschaftliche zu beachten; scharfe phantastische Lichter an den
Rändern der Bäume und Berge. Einen ungeschickten Wetteifer mit
Michelangelo findet man am ehesten in dem grossen mittlern Decken-
bild der obern Halle, welches die eherne Schlange darstellt. — Mit
den Gemälden dieser Scuola gab T. den Ton an für die ganze monu-
mentale Malerei Venedigs in den nächsten Jahrzehnden (von den 1560er
Jahren an); er selber nahm noch Theil an der Ausschmückung der
Capella del rosario (links an S. Giov. e Paolo), welche als Denk-
mal des Sieges von Lepanto errichtet wurde, hauptsächlich aber an
derjenigen des Dogenpalastes. Den decorativen Werth dieser Arbeiten
haben wir oben (S. 291, f) festzustellen gesucht. Wo sich einmal
der ganze Styl so sehr von der Auffassung, die beim Fresco die allein
mögliche ist, abgewandt hat, da bleibt in der That kein anderer Aus-
weg offen, als dieser. — Im Chor von S. M. dell’ orto zwei Colossal-
bilder, die Anbetung des goldenen Kalbes und die letzten Dinge; roh
und abgeschmackt. — Im linken Querschiff von S. Trovaso ein Abend-
mahl, zum gemeinsten Schmaus entwürdigt. — Auf allen Altären von
S. Giorgio maggiore Sudeleien, welche dem T. zu ewiger Schmach
gereichen.
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Von seinen Schülern ist sein Sohn Domenico in seinem Natu-
ralismus meist um einen Grad gewissenhafter. — Der Peruginer An-
tonio Vascibracci, genannt l’Aliense, brachte T.’s Styl in seine
Heimath (10 grosse Geschichten Christi an den Oberwänden des Haupt-
schiffes von S. Pietro de’ Cassinensi in Perugia.)
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