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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
man auf die Vermuthung, dass er dergleichen als Mindestfordernder
accaparirt und grossentheils als Improvisator durchgeführt habe.

Es giebt von ihm zunächst treffliche Bildnisse, welche in Venedig
noch nicht sorglos gemalt werden durften. (Zweifelhafte, aber schöne
aim Pal. Pitti; -- das con amore gemalte des Jac. Sansovino und das
ebenfalls sehr ausgezeichnete eines bärtigen Mannes in rothem Staats-
bkleid etc. in den Uffizien; andere überall.) -- Sodann sind überhaupt
Werke seiner frühern Zeit durch den vollen tizianischen Goldton ebenso
schätzenswerth als die irgend eines andern Nachfolgers des grossen
cMeisters; so das naive Bild: Vulcan, Venus und Amor, im Pal. Pitti,
dessen Gleichen man in Venedig kaum finden wird. Auch die Decken-
dstücke aus ovidischen Metamorphosen in der Galerie von Modena sind
noch ziemlich farbenreich. In Venedig gehört am ehesten hieher das
eWunder des heil. Marcus, der einen gemarterten Sclaven aus
den Händen der Heiden rettet (Academie). Hier geht T. vielleicht zum
erstenmal über alle bisherigen venezianischen Absichten hinaus; die
Scene ist ungleich bewegter und confuser; der Künstler sucht Ver-
kürzungen der schwierigsten Art auf und verräth z. B. in dem häss-
lich kopfabwärts schwebenden Heiligen, dass alle höhere Auffassung
ihm nichts gilt, sobald er seine äusserliche Meisterhaftigkeit an den
Tag zu legen Anlass hat. (Rubens hat viel nach diesem Bilde studirt.)
-- Dann eine ebenfalls noch schön gemalte aber frivole Darstellung
der Ehebrecherin, welcher man es ansieht, dass sie den gemeinen
Christus nicht respectirt. (Ebenda.) -- Ein anderes Werk der noch
fguten Palette: die Geschichten des wahren Kreuzes, im rechten Quer-
schiff von S. M. mater Domini. -- Auch die grosse Hochzeit von Cana
gin der Sacristei der Salute (kleineres Exemplar in den Uffizien); ein
stattliches Genrebild von häuslichem Charakter (nicht von fürstlichem
wie bei Paolo Veronese), wobei wenigstens das Wunder und seine
Wirkung löblicher Weise in den Vordergrund verlegt sind. -- Von
hden 56 zum Theil colossalen Bildern, womit T. die ganze Scuola di
S. Rocco
angefüllt hat, ist hauptsächlich die grosse Kreuzigung (in
der sog. Sala dell' albergo) noch schön gemalt und theilweise auch
im Gedanken bedeutend. Hier lernt man denn auch die hochwichtige
historische Stellung T.'s vollständig kennen; er zuerst gestaltet (be-
sonders in der grossen obern Halle) die heilige Geschichte von An-

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
man auf die Vermuthung, dass er dergleichen als Mindestfordernder
accaparirt und grossentheils als Improvisator durchgeführt habe.

Es giebt von ihm zunächst treffliche Bildnisse, welche in Venedig
noch nicht sorglos gemalt werden durften. (Zweifelhafte, aber schöne
aim Pal. Pitti; — das con amore gemalte des Jac. Sansovino und das
ebenfalls sehr ausgezeichnete eines bärtigen Mannes in rothem Staats-
bkleid etc. in den Uffizien; andere überall.) — Sodann sind überhaupt
Werke seiner frühern Zeit durch den vollen tizianischen Goldton ebenso
schätzenswerth als die irgend eines andern Nachfolgers des grossen
cMeisters; so das naive Bild: Vulcan, Venus und Amor, im Pal. Pitti,
dessen Gleichen man in Venedig kaum finden wird. Auch die Decken-
dstücke aus ovidischen Metamorphosen in der Galerie von Modena sind
noch ziemlich farbenreich. In Venedig gehört am ehesten hieher das
eWunder des heil. Marcus, der einen gemarterten Sclaven aus
den Händen der Heiden rettet (Academie). Hier geht T. vielleicht zum
erstenmal über alle bisherigen venezianischen Absichten hinaus; die
Scene ist ungleich bewegter und confuser; der Künstler sucht Ver-
kürzungen der schwierigsten Art auf und verräth z. B. in dem häss-
lich kopfabwärts schwebenden Heiligen, dass alle höhere Auffassung
ihm nichts gilt, sobald er seine äusserliche Meisterhaftigkeit an den
Tag zu legen Anlass hat. (Rubens hat viel nach diesem Bilde studirt.)
— Dann eine ebenfalls noch schön gemalte aber frivole Darstellung
der Ehebrecherin, welcher man es ansieht, dass sie den gemeinen
Christus nicht respectirt. (Ebenda.) — Ein anderes Werk der noch
fguten Palette: die Geschichten des wahren Kreuzes, im rechten Quer-
schiff von S. M. mater Domini. — Auch die grosse Hochzeit von Cana
gin der Sacristei der Salute (kleineres Exemplar in den Uffizien); ein
stattliches Genrebild von häuslichem Charakter (nicht von fürstlichem
wie bei Paolo Veronese), wobei wenigstens das Wunder und seine
Wirkung löblicher Weise in den Vordergrund verlegt sind. — Von
hden 56 zum Theil colossalen Bildern, womit T. die ganze Scuola di
S. Rocco
angefüllt hat, ist hauptsächlich die grosse Kreuzigung (in
der sog. Sala dell’ albergo) noch schön gemalt und theilweise auch
im Gedanken bedeutend. Hier lernt man denn auch die hochwichtige
historische Stellung T.’s vollständig kennen; er zuerst gestaltet (be-
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[984/1006] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. man auf die Vermuthung, dass er dergleichen als Mindestfordernder accaparirt und grossentheils als Improvisator durchgeführt habe. Es giebt von ihm zunächst treffliche Bildnisse, welche in Venedig noch nicht sorglos gemalt werden durften. (Zweifelhafte, aber schöne im Pal. Pitti; — das con amore gemalte des Jac. Sansovino und das ebenfalls sehr ausgezeichnete eines bärtigen Mannes in rothem Staats- kleid etc. in den Uffizien; andere überall.) — Sodann sind überhaupt Werke seiner frühern Zeit durch den vollen tizianischen Goldton ebenso schätzenswerth als die irgend eines andern Nachfolgers des grossen Meisters; so das naive Bild: Vulcan, Venus und Amor, im Pal. Pitti, dessen Gleichen man in Venedig kaum finden wird. Auch die Decken- stücke aus ovidischen Metamorphosen in der Galerie von Modena sind noch ziemlich farbenreich. In Venedig gehört am ehesten hieher das Wunder des heil. Marcus, der einen gemarterten Sclaven aus den Händen der Heiden rettet (Academie). Hier geht T. vielleicht zum erstenmal über alle bisherigen venezianischen Absichten hinaus; die Scene ist ungleich bewegter und confuser; der Künstler sucht Ver- kürzungen der schwierigsten Art auf und verräth z. B. in dem häss- lich kopfabwärts schwebenden Heiligen, dass alle höhere Auffassung ihm nichts gilt, sobald er seine äusserliche Meisterhaftigkeit an den Tag zu legen Anlass hat. (Rubens hat viel nach diesem Bilde studirt.) — Dann eine ebenfalls noch schön gemalte aber frivole Darstellung der Ehebrecherin, welcher man es ansieht, dass sie den gemeinen Christus nicht respectirt. (Ebenda.) — Ein anderes Werk der noch guten Palette: die Geschichten des wahren Kreuzes, im rechten Quer- schiff von S. M. mater Domini. — Auch die grosse Hochzeit von Cana in der Sacristei der Salute (kleineres Exemplar in den Uffizien); ein stattliches Genrebild von häuslichem Charakter (nicht von fürstlichem wie bei Paolo Veronese), wobei wenigstens das Wunder und seine Wirkung löblicher Weise in den Vordergrund verlegt sind. — Von den 56 zum Theil colossalen Bildern, womit T. die ganze Scuola di S. Rocco angefüllt hat, ist hauptsächlich die grosse Kreuzigung (in der sog. Sala dell’ albergo) noch schön gemalt und theilweise auch im Gedanken bedeutend. Hier lernt man denn auch die hochwichtige historische Stellung T.’s vollständig kennen; er zuerst gestaltet (be- sonders in der grossen obern Halle) die heilige Geschichte von An- a b c d e f g h

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 984. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1006>, abgerufen am 05.12.2024.