Zeit erhalten haben mögen. Zunächst die Altäre, deren bis ins IX. Jahrhundert jede Kirche nur einen hatte. Sie sind sämmtlich so ein- gerichtet, dass der Priester dahinter steht und sich mit dem Angesicht gegen die Gemeinde wendet. Über ihnen erhebt sich mit vier Säulen (wozu man immer die kostbarsten Steine nahm, die zu haben waren) der Tabernakel, dessen oberer Theil oder Baldachin einen besondern kleinen Zierbau bildet (obere Säulchenstellung, kleine Kuppeln u. dgl. auch wohl einfache Giebel). Alte Beispiele sind in S. Lorenzo fuori 1)a und in S. Giorgio in Velabro zu Rom erhalten; ein späteres in S. Cle-b mente; eines aus dem IX. Jahrhundert in S. Apollinare in Classec bei Ravenna (im linken Seitenschiff), und eines aus dem XII. Jahr- hundert (wenn nicht älter) in S. Anastasia zu Rom; auch die zweid Seitenaltäre des Domes von Terracina haben noch ihre ursprünglichee Form (XII. Jahrhundert?). An sehr vielen Altären aber sind nur noch die vier Säulen alt.
Sodann war die Einrichtung des sog. Chorus, welche nur noch in S. Clemente zu Rom deutlich erhalten ist, eine Eigenthümlichkeitf der alten kirchlichen Anordnung, wenn auch nicht der urchristlichen. Ein viereckiger Raum gegen Ende des Mittelschiffes, um eine oder wenige Stufen erhöht und mit marmornen Schranken umschlossen, diente zur Aufstellung der psallirenden Priesterschaft 2); an seinen bei- den Seiten waren die Lesepulte (Analogia) angebracht, links (vom Altar aus gerechnet) dasjenige für die Epistel, rechts dasjenige für das Evangelium.
Überblickt man das Ganze dieser neuen Kunstschöpfung, so fehlt ihr wesentlich das organische Leben, welches die Glieder eines Baues in einen harmonischen Zusammenhang bringen soll. Die Benutzung antiker Baureste, an die man sich einmal gewöhnt hatte, ersparte zu- dem den folgenden Baumeistern die eigenen Gedanken, und so bleibt ihre Kirchenform bis ins XIII. Jahrhundert stationär, während in Ober- italien und im Norden schon längst entscheidende neue Bauprincipien
1) Das Grabmal Lavagna, rechts von der Hauptthür derselben Kirche, besteht aus einem ganz ähnlichen Tabernakel (über einem ant. Sarcophag), vielleicht erst vom Jahr 1256.
2) Vielleicht doch nur in Kirchen ohne Querschiff als Ersatz dafür gebräuchlich?
Altäre. Chorus.
Zeit erhalten haben mögen. Zunächst die Altäre, deren bis ins IX. Jahrhundert jede Kirche nur einen hatte. Sie sind sämmtlich so ein- gerichtet, dass der Priester dahinter steht und sich mit dem Angesicht gegen die Gemeinde wendet. Über ihnen erhebt sich mit vier Säulen (wozu man immer die kostbarsten Steine nahm, die zu haben waren) der Tabernakel, dessen oberer Theil oder Baldachin einen besondern kleinen Zierbau bildet (obere Säulchenstellung, kleine Kuppeln u. dgl. auch wohl einfache Giebel). Alte Beispiele sind in S. Lorenzo fuori 1)a und in S. Giorgio in Velabro zu Rom erhalten; ein späteres in S. Cle-b mente; eines aus dem IX. Jahrhundert in S. Apollinare in Classec bei Ravenna (im linken Seitenschiff), und eines aus dem XII. Jahr- hundert (wenn nicht älter) in S. Anastasia zu Rom; auch die zweid Seitenaltäre des Domes von Terracina haben noch ihre ursprünglichee Form (XII. Jahrhundert?). An sehr vielen Altären aber sind nur noch die vier Säulen alt.
Sodann war die Einrichtung des sog. Chorus, welche nur noch in S. Clemente zu Rom deutlich erhalten ist, eine Eigenthümlichkeitf der alten kirchlichen Anordnung, wenn auch nicht der urchristlichen. Ein viereckiger Raum gegen Ende des Mittelschiffes, um eine oder wenige Stufen erhöht und mit marmornen Schranken umschlossen, diente zur Aufstellung der psallirenden Priesterschaft 2); an seinen bei- den Seiten waren die Lesepulte (Analogia) angebracht, links (vom Altar aus gerechnet) dasjenige für die Epistel, rechts dasjenige für das Evangelium.
Überblickt man das Ganze dieser neuen Kunstschöpfung, so fehlt ihr wesentlich das organische Leben, welches die Glieder eines Baues in einen harmonischen Zusammenhang bringen soll. Die Benutzung antiker Baureste, an die man sich einmal gewöhnt hatte, ersparte zu- dem den folgenden Baumeistern die eigenen Gedanken, und so bleibt ihre Kirchenform bis ins XIII. Jahrhundert stationär, während in Ober- italien und im Norden schon längst entscheidende neue Bauprincipien
1) Das Grabmal Lavagna, rechts von der Hauptthür derselben Kirche, besteht aus einem ganz ähnlichen Tabernakel (über einem ant. Sarcophag), vielleicht erst vom Jahr 1256.
2) Vielleicht doch nur in Kirchen ohne Querschiff als Ersatz dafür gebräuchlich?
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0101"n="79"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Altäre. Chorus.</hi></fw><lb/>
Zeit erhalten haben mögen. Zunächst die <hirendition="#g">Altäre</hi>, deren bis ins IX.<lb/>
Jahrhundert jede Kirche nur einen hatte. Sie sind sämmtlich so ein-<lb/>
gerichtet, dass der Priester dahinter steht und sich mit dem Angesicht<lb/>
gegen die Gemeinde wendet. Über ihnen erhebt sich mit vier Säulen<lb/>
(wozu man immer die kostbarsten Steine nahm, die zu haben waren)<lb/>
der Tabernakel, dessen oberer Theil oder Baldachin einen besondern<lb/>
kleinen Zierbau bildet (obere Säulchenstellung, kleine Kuppeln u. dgl.<lb/>
auch wohl einfache Giebel). Alte Beispiele sind in S. Lorenzo fuori <noteplace="foot"n="1)">Das Grabmal Lavagna, rechts von der Hauptthür derselben Kirche, besteht<lb/>
aus einem ganz ähnlichen Tabernakel (über einem ant. Sarcophag), vielleicht<lb/>
erst vom Jahr 1256.</note><noteplace="right">a</note><lb/>
und in S. Giorgio in Velabro zu Rom erhalten; ein späteres in S. Cle-<noteplace="right">b</note><lb/>
mente; eines aus dem IX. Jahrhundert in S. Apollinare in Classe<noteplace="right">c</note><lb/>
bei Ravenna (im linken Seitenschiff), und eines aus dem XII. Jahr-<lb/>
hundert (wenn nicht älter) in S. Anastasia zu Rom; auch die zwei<noteplace="right">d</note><lb/>
Seitenaltäre des Domes von Terracina haben noch ihre ursprüngliche<noteplace="right">e</note><lb/>
Form (XII. Jahrhundert?). An sehr vielen Altären aber sind nur noch<lb/>
die vier Säulen alt.</p><lb/><p>Sodann war die Einrichtung des sog. <hirendition="#g">Chorus</hi>, welche nur noch<lb/>
in S. Clemente zu Rom deutlich erhalten ist, eine Eigenthümlichkeit<noteplace="right">f</note><lb/>
der alten kirchlichen Anordnung, wenn auch nicht der urchristlichen.<lb/>
Ein viereckiger Raum gegen Ende des Mittelschiffes, um eine oder<lb/>
wenige Stufen erhöht und mit marmornen Schranken umschlossen,<lb/>
diente zur Aufstellung der psallirenden Priesterschaft <noteplace="foot"n="2)">Vielleicht doch nur in Kirchen ohne Querschiff als Ersatz dafür gebräuchlich?</note>; an seinen bei-<lb/>
den Seiten waren die Lesepulte (Analogia) angebracht, links (vom<lb/>
Altar aus gerechnet) dasjenige für die Epistel, rechts dasjenige für<lb/>
das Evangelium.</p><lb/><p>Überblickt man das Ganze dieser neuen Kunstschöpfung, so fehlt<lb/>
ihr wesentlich das organische Leben, welches die Glieder eines Baues<lb/>
in einen harmonischen Zusammenhang bringen soll. Die Benutzung<lb/>
antiker Baureste, an die man sich einmal gewöhnt hatte, ersparte zu-<lb/>
dem den folgenden Baumeistern die eigenen Gedanken, und so bleibt<lb/>
ihre Kirchenform bis ins XIII. Jahrhundert stationär, während in Ober-<lb/>
italien und im Norden schon längst entscheidende neue Bauprincipien<lb/></p></div></body></text></TEI>
[79/0101]
Altäre. Chorus.
Zeit erhalten haben mögen. Zunächst die Altäre, deren bis ins IX.
Jahrhundert jede Kirche nur einen hatte. Sie sind sämmtlich so ein-
gerichtet, dass der Priester dahinter steht und sich mit dem Angesicht
gegen die Gemeinde wendet. Über ihnen erhebt sich mit vier Säulen
(wozu man immer die kostbarsten Steine nahm, die zu haben waren)
der Tabernakel, dessen oberer Theil oder Baldachin einen besondern
kleinen Zierbau bildet (obere Säulchenstellung, kleine Kuppeln u. dgl.
auch wohl einfache Giebel). Alte Beispiele sind in S. Lorenzo fuori 1)
und in S. Giorgio in Velabro zu Rom erhalten; ein späteres in S. Cle-
mente; eines aus dem IX. Jahrhundert in S. Apollinare in Classe
bei Ravenna (im linken Seitenschiff), und eines aus dem XII. Jahr-
hundert (wenn nicht älter) in S. Anastasia zu Rom; auch die zwei
Seitenaltäre des Domes von Terracina haben noch ihre ursprüngliche
Form (XII. Jahrhundert?). An sehr vielen Altären aber sind nur noch
die vier Säulen alt.
a
b
c
d
e
Sodann war die Einrichtung des sog. Chorus, welche nur noch
in S. Clemente zu Rom deutlich erhalten ist, eine Eigenthümlichkeit
der alten kirchlichen Anordnung, wenn auch nicht der urchristlichen.
Ein viereckiger Raum gegen Ende des Mittelschiffes, um eine oder
wenige Stufen erhöht und mit marmornen Schranken umschlossen,
diente zur Aufstellung der psallirenden Priesterschaft 2); an seinen bei-
den Seiten waren die Lesepulte (Analogia) angebracht, links (vom
Altar aus gerechnet) dasjenige für die Epistel, rechts dasjenige für
das Evangelium.
f
Überblickt man das Ganze dieser neuen Kunstschöpfung, so fehlt
ihr wesentlich das organische Leben, welches die Glieder eines Baues
in einen harmonischen Zusammenhang bringen soll. Die Benutzung
antiker Baureste, an die man sich einmal gewöhnt hatte, ersparte zu-
dem den folgenden Baumeistern die eigenen Gedanken, und so bleibt
ihre Kirchenform bis ins XIII. Jahrhundert stationär, während in Ober-
italien und im Norden schon längst entscheidende neue Bauprincipien
1) Das Grabmal Lavagna, rechts von der Hauptthür derselben Kirche, besteht
aus einem ganz ähnlichen Tabernakel (über einem ant. Sarcophag), vielleicht
erst vom Jahr 1256.
2) Vielleicht doch nur in Kirchen ohne Querschiff als Ersatz dafür gebräuchlich?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/101>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.