Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Florentiner. Naturalisten.
mus, die Entweihung der Malerei überhaupt zur hurtigen und gefälli-
gen Decoration eintritt.


Der moderne Naturalismus im engern Sinne beginnt auf die grellste
Weise mit Michelangelo Amerighi da Caravaggio (1569--1609),
der einen grossen Einfluss auf Rom und Neapel ausübte. Seine Freude
besteht darin, dem Beschauer zu beweisen, dass es bei all den heili-
gen Ereignissen der Urzeit eigentlich ganz so ordinär zugegangen sei
wie auf den Gassen der südlichen Städte gegen Ende des XVI. Jahrh.;
er ehrt gar nichts als die Leidenschaft, für deren wahrhaft vulca-
nische Auffassung er ein grosses Talent besass. Und diese Leiden-
schaft, in lauter gemeinen energischen Charakteren ausgedrückt, bis-
weilen höchst ergreifend, bildet dann den Grundton seiner eigenen
Schule sowohl (Moyse Valentin, Simon Vouet, wozu noch als Nach-
folger Carlo Saraceni von Venedig zu rechnen ist), als auch der

Schule von Neapel. Hier ist der Valencianer Giuseppe
Ribera
gen. lo Spagnoletto (geb. 1593, verschwunden 1656) der
geistige Nachfolger Caravaggio's im vollsten Sinne des Wortes, wenn
auch in seinem Colorit noch frühere Studien nach Coreggio und den
Venezianern nachklingen. Neben ihm war ausser dem gen. Corenzio
auch Giov. Batt. Caracciolo thätig, welcher sich mehr dem Styl
der Caracci anschloss; der grosse Schüler des letztern, Massimo
Stanzioni
(1585--1656), nahm zugleich auch von Caravaggio so
viel an als mit seiner eigenen Richtung verträglich war. (Sein bedeu-
tendster Schüler: Domen. Finoglia.)

Mittelbare neap. Nachfolger Caravaggio's: Mattia Preti, gen.
il cavalier Calabrese (1613--1699), Andrea Vaccaro u. A. m.

Schüler Spagnoletto's: der Schlachtenmaler Aniello Falcone
und der in allen Gattungen thätige Salvatore Rosa (1615--1673),
dessen Schüler der Landschaftmaler Bartol. Torregiani, der Histo-
rienmaler Micco Spadaro, u. A. -- Ein Nachfolger Sp.'s ist auch
der bedeutendste sicilian. Maler Pietro Novelli, gen. Morrealese.
(Dame und Page, Pal. Colonna zu Rom.) -- Schüler des Sp., mehra
aber des Pietro da Cortona war der in seiner Art grosse Schnell-
maler Luca Giordano (1632--1705). Von ihm an tritt die Ver-

B. Cicerone. 64

Florentiner. Naturalisten.
mus, die Entweihung der Malerei überhaupt zur hurtigen und gefälli-
gen Decoration eintritt.


Der moderne Naturalismus im engern Sinne beginnt auf die grellste
Weise mit Michelangelo Amerighi da Caravaggio (1569—1609),
der einen grossen Einfluss auf Rom und Neapel ausübte. Seine Freude
besteht darin, dem Beschauer zu beweisen, dass es bei all den heili-
gen Ereignissen der Urzeit eigentlich ganz so ordinär zugegangen sei
wie auf den Gassen der südlichen Städte gegen Ende des XVI. Jahrh.;
er ehrt gar nichts als die Leidenschaft, für deren wahrhaft vulca-
nische Auffassung er ein grosses Talent besass. Und diese Leiden-
schaft, in lauter gemeinen energischen Charakteren ausgedrückt, bis-
weilen höchst ergreifend, bildet dann den Grundton seiner eigenen
Schule sowohl (Moyse Valentin, Simon Vouet, wozu noch als Nach-
folger Carlo Saraceni von Venedig zu rechnen ist), als auch der

Schule von Neapel. Hier ist der Valencianer Giuseppe
Ribera
gen. lo Spagnoletto (geb. 1593, verschwunden 1656) der
geistige Nachfolger Caravaggio’s im vollsten Sinne des Wortes, wenn
auch in seinem Colorit noch frühere Studien nach Coreggio und den
Venezianern nachklingen. Neben ihm war ausser dem gen. Corenzio
auch Giov. Batt. Caracciolo thätig, welcher sich mehr dem Styl
der Caracci anschloss; der grosse Schüler des letztern, Massimo
Stanzioni
(1585—1656), nahm zugleich auch von Caravaggio so
viel an als mit seiner eigenen Richtung verträglich war. (Sein bedeu-
tendster Schüler: Domen. Finoglia.)

Mittelbare neap. Nachfolger Caravaggio’s: Mattia Preti, gen.
il cavalier Calabrese (1613—1699), Andrea Vaccaro u. A. m.

Schüler Spagnoletto’s: der Schlachtenmaler Aniello Falcone
und der in allen Gattungen thätige Salvatore Rosa (1615—1673),
dessen Schüler der Landschaftmaler Bartol. Torregiani, der Histo-
rienmaler Micco Spadaro, u. A. — Ein Nachfolger Sp.’s ist auch
der bedeutendste sicilian. Maler Pietro Novelli, gen. Morrealese.
(Dame und Page, Pal. Colonna zu Rom.) — Schüler des Sp., mehra
aber des Pietro da Cortona war der in seiner Art grosse Schnell-
maler Luca Giordano (1632—1705). Von ihm an tritt die Ver-

B. Cicerone. 64
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f1031" n="1009"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Florentiner. Naturalisten.</hi></fw><lb/>
mus, die Entweihung der Malerei überhaupt zur hurtigen und gefälli-<lb/>
gen Decoration eintritt.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Der moderne Naturalismus im engern Sinne beginnt auf die grellste<lb/>
Weise mit <hi rendition="#g">Michelangelo</hi> Amerighi <hi rendition="#g">da Caravaggio</hi> (1569&#x2014;1609),<lb/>
der einen grossen Einfluss auf Rom und Neapel ausübte. Seine Freude<lb/>
besteht darin, dem Beschauer zu beweisen, dass es bei all den heili-<lb/>
gen Ereignissen der Urzeit eigentlich ganz so ordinär zugegangen sei<lb/>
wie auf den Gassen der südlichen Städte gegen Ende des XVI. Jahrh.;<lb/>
er ehrt gar nichts als die Leidenschaft, für deren wahrhaft vulca-<lb/>
nische Auffassung er ein grosses Talent besass. Und diese Leiden-<lb/>
schaft, in lauter gemeinen energischen Charakteren ausgedrückt, bis-<lb/>
weilen höchst ergreifend, bildet dann den Grundton seiner eigenen<lb/>
Schule sowohl (Moyse Valentin, Simon Vouet, wozu noch als Nach-<lb/>
folger <hi rendition="#g">Carlo Saraceni</hi> von Venedig zu rechnen ist), als auch der</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Schule von Neapel</hi>. Hier ist der Valencianer <hi rendition="#g">Giuseppe<lb/>
Ribera</hi> gen. <hi rendition="#g">lo Spagnoletto</hi> (geb. 1593, verschwunden 1656) der<lb/>
geistige Nachfolger Caravaggio&#x2019;s im vollsten Sinne des Wortes, wenn<lb/>
auch in seinem Colorit noch frühere Studien nach Coreggio und den<lb/>
Venezianern nachklingen. Neben ihm war ausser dem gen. <hi rendition="#g">Corenzio</hi><lb/>
auch <hi rendition="#g">Giov. Batt. Caracciolo</hi> thätig, welcher sich mehr dem Styl<lb/>
der Caracci anschloss; der grosse Schüler des letztern, <hi rendition="#g">Massimo<lb/>
Stanzioni</hi> (1585&#x2014;1656), nahm zugleich auch von Caravaggio so<lb/>
viel an als mit seiner eigenen Richtung verträglich war. (Sein bedeu-<lb/>
tendster Schüler: <hi rendition="#g">Domen. Finoglia</hi>.)</p><lb/>
        <p>Mittelbare neap. Nachfolger Caravaggio&#x2019;s: <hi rendition="#g">Mattia Preti</hi>, gen.<lb/>
il cavalier Calabrese (1613&#x2014;1699), <hi rendition="#g">Andrea Vaccaro</hi> u. A. m.</p><lb/>
        <p>Schüler Spagnoletto&#x2019;s: der Schlachtenmaler <hi rendition="#g">Aniello Falcone</hi><lb/>
und der in allen Gattungen thätige <hi rendition="#g">Salvatore Rosa</hi> (1615&#x2014;1673),<lb/>
dessen Schüler der Landschaftmaler <hi rendition="#g">Bartol. Torregiani</hi>, der Histo-<lb/>
rienmaler <hi rendition="#g">Micco Spadaro</hi>, u. A. &#x2014; Ein Nachfolger Sp.&#x2019;s ist auch<lb/>
der bedeutendste sicilian. Maler <hi rendition="#g">Pietro Novelli</hi>, gen. Morrealese.<lb/>
(Dame und Page, Pal. Colonna zu Rom.) &#x2014; Schüler des Sp., mehr<note place="right">a</note><lb/>
aber des Pietro da Cortona war der in seiner Art grosse Schnell-<lb/>
maler <hi rendition="#g">Luca Giordano</hi> (1632&#x2014;1705). Von ihm an tritt die Ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#i">B. Cicerone.</hi> 64</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1009/1031] Florentiner. Naturalisten. mus, die Entweihung der Malerei überhaupt zur hurtigen und gefälli- gen Decoration eintritt. Der moderne Naturalismus im engern Sinne beginnt auf die grellste Weise mit Michelangelo Amerighi da Caravaggio (1569—1609), der einen grossen Einfluss auf Rom und Neapel ausübte. Seine Freude besteht darin, dem Beschauer zu beweisen, dass es bei all den heili- gen Ereignissen der Urzeit eigentlich ganz so ordinär zugegangen sei wie auf den Gassen der südlichen Städte gegen Ende des XVI. Jahrh.; er ehrt gar nichts als die Leidenschaft, für deren wahrhaft vulca- nische Auffassung er ein grosses Talent besass. Und diese Leiden- schaft, in lauter gemeinen energischen Charakteren ausgedrückt, bis- weilen höchst ergreifend, bildet dann den Grundton seiner eigenen Schule sowohl (Moyse Valentin, Simon Vouet, wozu noch als Nach- folger Carlo Saraceni von Venedig zu rechnen ist), als auch der Schule von Neapel. Hier ist der Valencianer Giuseppe Ribera gen. lo Spagnoletto (geb. 1593, verschwunden 1656) der geistige Nachfolger Caravaggio’s im vollsten Sinne des Wortes, wenn auch in seinem Colorit noch frühere Studien nach Coreggio und den Venezianern nachklingen. Neben ihm war ausser dem gen. Corenzio auch Giov. Batt. Caracciolo thätig, welcher sich mehr dem Styl der Caracci anschloss; der grosse Schüler des letztern, Massimo Stanzioni (1585—1656), nahm zugleich auch von Caravaggio so viel an als mit seiner eigenen Richtung verträglich war. (Sein bedeu- tendster Schüler: Domen. Finoglia.) Mittelbare neap. Nachfolger Caravaggio’s: Mattia Preti, gen. il cavalier Calabrese (1613—1699), Andrea Vaccaro u. A. m. Schüler Spagnoletto’s: der Schlachtenmaler Aniello Falcone und der in allen Gattungen thätige Salvatore Rosa (1615—1673), dessen Schüler der Landschaftmaler Bartol. Torregiani, der Histo- rienmaler Micco Spadaro, u. A. — Ein Nachfolger Sp.’s ist auch der bedeutendste sicilian. Maler Pietro Novelli, gen. Morrealese. (Dame und Page, Pal. Colonna zu Rom.) — Schüler des Sp., mehr aber des Pietro da Cortona war der in seiner Art grosse Schnell- maler Luca Giordano (1632—1705). Von ihm an tritt die Ver- a B. Cicerone. 64

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1031
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 1009. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1031>, abgerufen am 05.12.2024.