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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Der Affect in den Legenden. Die Martyrien.

Für die Martyrien, welche zur Manieristenzeit (S. 997, f) sich von
Neuem entschieden in der Kunst festgesetzt hatten, besass man ein
grelles Präcedens von Coreggio (S. 955, b). Alle Maler wetteifern nun,
nachdrücklich zu sein im Grässlichen. Der einzige Guido hat ina
seinem bethlehemitischen Kindermord (Pinac. von Bologna)
Mass zu halten gewusst, das eigentliche Abschlachten nicht dargestellt,
in den Henkern Härte, aber keine bestialische Wildheit personificirt,
die Grimasse des Schreiens gedämpft, ja durch eine schöne wahrhaft
architektonische Anordnung und durch edel gebildete Formen das
Grässliche zum Tragischen erhoben; er hat diese Wirkung hervor-
gebracht ohne Zuthat einer himmlischen Glorie, ohne den verdächtigen
Contrast des ekstatischen Schmachtens zu den Gräueln; sein Werk
ist denn auch wohl die vollkommenste pathetische Composition des Jahr-
hunderts. (Die Kreuzigung Petri, in der vatican. Galerie, scheint un-b
freiwillig gemalt.) -- Aber schon der sonst mild und schön gesinnte
Domenichino, welch ein Schlächter je nach Umständen! Anzufan-
gen von seinem frühen Fresco der Marter des heil. Andreas (in derc
mittlern der 3 Capellen neben S. Gregorio in Rom); war es Wahl
oder glücklicherer Zufall, dass sein Mitschüler Guido (gegenüber) den
Gang zum Richtplatz darstellen und jenen herrlichen Moment treffen
durfte, da der Heilige von fern das Kreuz erblickt und mitten im Zuge
niederkniet? -- Domenichino dagegen malt die eigentliche Marterbank
und bedarf, um diese und ähnliche Scenen geniessbar zu machen,
jener Zuschauer, zumal Frauen und Kinder, welche ihre Herkunft aus
Rafaels Heliodor, Messe von Bolsena, Schenkung Roms, Tod des
Ananias, Opfer zu Lystra etc. (S. 929) nur wenig verläugnen; von
Domenichino aus verbreiten sich diese Motive dann über die meisten
Werke der Nachfolger. In seiner Marter S. Sebastians (Chor vond
S. M. degli angeli zu Rom, rechts) lässt er sogar Reiter gegen diese
Zuschauer einsprengen und zersplittert damit das ganze Interesse. Vom
Widrigsten, überdiess unangenehm gemalt, sind seine Marterbilder ine
der Pinacoteca zu Bologna; in der Marter der heil. Agnes stimmt die
Erdolchung auf dem Holzstoss sammt Zuthaten unsäglich roh zu all
dem Geigen, Blasen und Harfnen der Engelgruppe oben; -- die Marter
des S. Pietro martire ist nur eine neue Redaction der tizianischen;
-- die Stiftung des Rosenkranzes gestehe ich gar nicht verstanden zu

Der Affect in den Legenden. Die Martyrien.

Für die Martyrien, welche zur Manieristenzeit (S. 997, f) sich von
Neuem entschieden in der Kunst festgesetzt hatten, besass man ein
grelles Präcedens von Coreggio (S. 955, b). Alle Maler wetteifern nun,
nachdrücklich zu sein im Grässlichen. Der einzige Guido hat ina
seinem bethlehemitischen Kindermord (Pinac. von Bologna)
Mass zu halten gewusst, das eigentliche Abschlachten nicht dargestellt,
in den Henkern Härte, aber keine bestialische Wildheit personificirt,
die Grimasse des Schreiens gedämpft, ja durch eine schöne wahrhaft
architektonische Anordnung und durch edel gebildete Formen das
Grässliche zum Tragischen erhoben; er hat diese Wirkung hervor-
gebracht ohne Zuthat einer himmlischen Glorie, ohne den verdächtigen
Contrast des ekstatischen Schmachtens zu den Gräueln; sein Werk
ist denn auch wohl die vollkommenste pathetische Composition des Jahr-
hunderts. (Die Kreuzigung Petri, in der vatican. Galerie, scheint un-b
freiwillig gemalt.) — Aber schon der sonst mild und schön gesinnte
Domenichino, welch ein Schlächter je nach Umständen! Anzufan-
gen von seinem frühen Fresco der Marter des heil. Andreas (in derc
mittlern der 3 Capellen neben S. Gregorio in Rom); war es Wahl
oder glücklicherer Zufall, dass sein Mitschüler Guido (gegenüber) den
Gang zum Richtplatz darstellen und jenen herrlichen Moment treffen
durfte, da der Heilige von fern das Kreuz erblickt und mitten im Zuge
niederkniet? — Domenichino dagegen malt die eigentliche Marterbank
und bedarf, um diese und ähnliche Scenen geniessbar zu machen,
jener Zuschauer, zumal Frauen und Kinder, welche ihre Herkunft aus
Rafaels Heliodor, Messe von Bolsena, Schenkung Roms, Tod des
Ananias, Opfer zu Lystra etc. (S. 929) nur wenig verläugnen; von
Domenichino aus verbreiten sich diese Motive dann über die meisten
Werke der Nachfolger. In seiner Marter S. Sebastians (Chor vond
S. M. degli angeli zu Rom, rechts) lässt er sogar Reiter gegen diese
Zuschauer einsprengen und zersplittert damit das ganze Interesse. Vom
Widrigsten, überdiess unangenehm gemalt, sind seine Marterbilder ine
der Pinacoteca zu Bologna; in der Marter der heil. Agnes stimmt die
Erdolchung auf dem Holzstoss sammt Zuthaten unsäglich roh zu all
dem Geigen, Blasen und Harfnen der Engelgruppe oben; — die Marter
des S. Pietro martire ist nur eine neue Redaction der tizianischen;
— die Stiftung des Rosenkranzes gestehe ich gar nicht verstanden zu

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[1031/1053] Der Affect in den Legenden. Die Martyrien. Für die Martyrien, welche zur Manieristenzeit (S. 997, f) sich von Neuem entschieden in der Kunst festgesetzt hatten, besass man ein grelles Präcedens von Coreggio (S. 955, b). Alle Maler wetteifern nun, nachdrücklich zu sein im Grässlichen. Der einzige Guido hat in seinem bethlehemitischen Kindermord (Pinac. von Bologna) Mass zu halten gewusst, das eigentliche Abschlachten nicht dargestellt, in den Henkern Härte, aber keine bestialische Wildheit personificirt, die Grimasse des Schreiens gedämpft, ja durch eine schöne wahrhaft architektonische Anordnung und durch edel gebildete Formen das Grässliche zum Tragischen erhoben; er hat diese Wirkung hervor- gebracht ohne Zuthat einer himmlischen Glorie, ohne den verdächtigen Contrast des ekstatischen Schmachtens zu den Gräueln; sein Werk ist denn auch wohl die vollkommenste pathetische Composition des Jahr- hunderts. (Die Kreuzigung Petri, in der vatican. Galerie, scheint un- freiwillig gemalt.) — Aber schon der sonst mild und schön gesinnte Domenichino, welch ein Schlächter je nach Umständen! Anzufan- gen von seinem frühen Fresco der Marter des heil. Andreas (in der mittlern der 3 Capellen neben S. Gregorio in Rom); war es Wahl oder glücklicherer Zufall, dass sein Mitschüler Guido (gegenüber) den Gang zum Richtplatz darstellen und jenen herrlichen Moment treffen durfte, da der Heilige von fern das Kreuz erblickt und mitten im Zuge niederkniet? — Domenichino dagegen malt die eigentliche Marterbank und bedarf, um diese und ähnliche Scenen geniessbar zu machen, jener Zuschauer, zumal Frauen und Kinder, welche ihre Herkunft aus Rafaels Heliodor, Messe von Bolsena, Schenkung Roms, Tod des Ananias, Opfer zu Lystra etc. (S. 929) nur wenig verläugnen; von Domenichino aus verbreiten sich diese Motive dann über die meisten Werke der Nachfolger. In seiner Marter S. Sebastians (Chor von S. M. degli angeli zu Rom, rechts) lässt er sogar Reiter gegen diese Zuschauer einsprengen und zersplittert damit das ganze Interesse. Vom Widrigsten, überdiess unangenehm gemalt, sind seine Marterbilder in der Pinacoteca zu Bologna; in der Marter der heil. Agnes stimmt die Erdolchung auf dem Holzstoss sammt Zuthaten unsäglich roh zu all dem Geigen, Blasen und Harfnen der Engelgruppe oben; — die Marter des S. Pietro martire ist nur eine neue Redaction der tizianischen; — die Stiftung des Rosenkranzes gestehe ich gar nicht verstanden zu a b c d e

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 1031. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1053>, abgerufen am 05.12.2024.