Die Santa conversazione (Madonna mit Heiligen) muss sich nun, wie schon bei den spätern Venezianern, irgend einem Affect und Moment bequemen, indem Madonna und das Kind zu einem der Hei- ligen in eine besondere Beziehung treten, wobei sich dann auch die Übrigen irgendwie betheiligen. Unzählige Male geschah diess z. B. unter Coreggio's Ägide mit dem bedenklichen Sujet der Vermählung der heil. Catharina. Aber noch häufiger wird Mutter und Kind aus der Erdenräumlichkeit hinaus in die Wolken versetzt und mit Engeln umgeben; es beginnt das Zeitalter der Glorien und Visionen, ohne welche zuletzt kaum mehr ein Altarbild zu Stande kömmt. Das Vorbild ist dabei nicht eine Madonna von Foligno, sondern direct oder indirect die Domkuppel von Parma mit der illusionären Unten- sicht, der Wolkenwirklichkeit, den Engelschaaren. Dieser Art sind mehrere Hauptbilder der Pinacoteca von Bologna, wie z. B. Guido'sa schon erwähntes Bild des Pestgelübdes, in dessen unterer Hälfte sieben Heilige knieen, zum Theil von dem bedeutendsten Ausdruck der ihm zu Gebote steht; -- Guercino's Einkleidung des S. Wil-b helm von Aquitanien theilt mit seiner "Begräbniss der heil. Petronilla"c (Gal. d. Capitols) den Übelstand, dass die himmlische Gruppe ausser Verbindung mit der irdischen bleibt und doch zu nahe auf dieselbe drückt, aber auch die breite, meisterlich energische Behandlung ist in beiden Bildern dieselbe. (Auch wieder ein Beleg für die Vertauschung der Santa conversazione gegen ein momentanes Geschehen; eigentlich mussten nur der heil. Bischof Felix, S. Wilhelm, S. Philipp und S. Jacob mit der Madonna auf Einem Bilde vereinigt werden.) -- Luca Giordano ist bei einem solchen Anlass von seinem unzerstörbaren Temperament richtig geführt worden; seine Madonna del rosario (Mus.d v. Neapel) schwebt unter einem von Engeln getragenen Baldachin auf Wolken einher, während vorn S. Dominicus, S. Chiara u. a. Andäch- tige verehrend ihrer harren; diese Übertragung der Glorie in eine himmlische Procession war echt volksthümlich neapolitanisch und das Einzelne ist auch danach gegeben. (Ein anderes grosses Bild vone Luca in der Brera zu Mailand.) -- Ins Masslose geht z. B. die Dop- pelvision des Ercole Gennari (Pinac. v. Bol.); Madonna erscheintf auf Wolken dem ebenfalls auf Wolken über stürmischem Meer schwe- benden S. Niccolo von Bari. Auch der Contrast der Glorien mit Mar-
Madonna. Glorien und Visionen.
Die Santa conversazione (Madonna mit Heiligen) muss sich nun, wie schon bei den spätern Venezianern, irgend einem Affect und Moment bequemen, indem Madonna und das Kind zu einem der Hei- ligen in eine besondere Beziehung treten, wobei sich dann auch die Übrigen irgendwie betheiligen. Unzählige Male geschah diess z. B. unter Coreggio’s Ägide mit dem bedenklichen Sujet der Vermählung der heil. Catharina. Aber noch häufiger wird Mutter und Kind aus der Erdenräumlichkeit hinaus in die Wolken versetzt und mit Engeln umgeben; es beginnt das Zeitalter der Glorien und Visionen, ohne welche zuletzt kaum mehr ein Altarbild zu Stande kömmt. Das Vorbild ist dabei nicht eine Madonna von Foligno, sondern direct oder indirect die Domkuppel von Parma mit der illusionären Unten- sicht, der Wolkenwirklichkeit, den Engelschaaren. Dieser Art sind mehrere Hauptbilder der Pinacoteca von Bologna, wie z. B. Guido’sa schon erwähntes Bild des Pestgelübdes, in dessen unterer Hälfte sieben Heilige knieen, zum Theil von dem bedeutendsten Ausdruck der ihm zu Gebote steht; — Guercino’s Einkleidung des S. Wil-b helm von Aquitanien theilt mit seiner „Begräbniss der heil. Petronilla“c (Gal. d. Capitols) den Übelstand, dass die himmlische Gruppe ausser Verbindung mit der irdischen bleibt und doch zu nahe auf dieselbe drückt, aber auch die breite, meisterlich energische Behandlung ist in beiden Bildern dieselbe. (Auch wieder ein Beleg für die Vertauschung der Santa conversazione gegen ein momentanes Geschehen; eigentlich mussten nur der heil. Bischof Felix, S. Wilhelm, S. Philipp und S. Jacob mit der Madonna auf Einem Bilde vereinigt werden.) — Luca Giordano ist bei einem solchen Anlass von seinem unzerstörbaren Temperament richtig geführt worden; seine Madonna del rosario (Mus.d v. Neapel) schwebt unter einem von Engeln getragenen Baldachin auf Wolken einher, während vorn S. Dominicus, S. Chiara u. a. Andäch- tige verehrend ihrer harren; diese Übertragung der Glorie in eine himmlische Procession war echt volksthümlich neapolitanisch und das Einzelne ist auch danach gegeben. (Ein anderes grosses Bild vone Luca in der Brera zu Mailand.) — Ins Masslose geht z. B. die Dop- pelvision des Ercole Gennari (Pinac. v. Bol.); Madonna erscheintf auf Wolken dem ebenfalls auf Wolken über stürmischem Meer schwe- benden S. Niccolò von Bari. Auch der Contrast der Glorien mit Mar-
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Madonna. Glorien und Visionen.
Die Santa conversazione (Madonna mit Heiligen) muss sich
nun, wie schon bei den spätern Venezianern, irgend einem Affect und
Moment bequemen, indem Madonna und das Kind zu einem der Hei-
ligen in eine besondere Beziehung treten, wobei sich dann auch die
Übrigen irgendwie betheiligen. Unzählige Male geschah diess z. B.
unter Coreggio’s Ägide mit dem bedenklichen Sujet der Vermählung
der heil. Catharina. Aber noch häufiger wird Mutter und Kind aus
der Erdenräumlichkeit hinaus in die Wolken versetzt und mit Engeln
umgeben; es beginnt das Zeitalter der Glorien und Visionen,
ohne welche zuletzt kaum mehr ein Altarbild zu Stande kömmt. Das
Vorbild ist dabei nicht eine Madonna von Foligno, sondern direct
oder indirect die Domkuppel von Parma mit der illusionären Unten-
sicht, der Wolkenwirklichkeit, den Engelschaaren. Dieser Art sind
mehrere Hauptbilder der Pinacoteca von Bologna, wie z. B. Guido’s
schon erwähntes Bild des Pestgelübdes, in dessen unterer Hälfte
sieben Heilige knieen, zum Theil von dem bedeutendsten Ausdruck
der ihm zu Gebote steht; — Guercino’s Einkleidung des S. Wil-
helm von Aquitanien theilt mit seiner „Begräbniss der heil. Petronilla“
(Gal. d. Capitols) den Übelstand, dass die himmlische Gruppe ausser
Verbindung mit der irdischen bleibt und doch zu nahe auf dieselbe
drückt, aber auch die breite, meisterlich energische Behandlung ist in
beiden Bildern dieselbe. (Auch wieder ein Beleg für die Vertauschung
der Santa conversazione gegen ein momentanes Geschehen; eigentlich
mussten nur der heil. Bischof Felix, S. Wilhelm, S. Philipp und S.
Jacob mit der Madonna auf Einem Bilde vereinigt werden.) — Luca
Giordano ist bei einem solchen Anlass von seinem unzerstörbaren
Temperament richtig geführt worden; seine Madonna del rosario (Mus.
v. Neapel) schwebt unter einem von Engeln getragenen Baldachin auf
Wolken einher, während vorn S. Dominicus, S. Chiara u. a. Andäch-
tige verehrend ihrer harren; diese Übertragung der Glorie in eine
himmlische Procession war echt volksthümlich neapolitanisch und das
Einzelne ist auch danach gegeben. (Ein anderes grosses Bild von
Luca in der Brera zu Mailand.) — Ins Masslose geht z. B. die Dop-
pelvision des Ercole Gennari (Pinac. v. Bol.); Madonna erscheint
auf Wolken dem ebenfalls auf Wolken über stürmischem Meer schwe-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 1039. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1061>, abgerufen am 05.12.2024.
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