offene Halle. In den obern Stockwerken aber, die zur Zeit des byzan- tinischen Styles (S. 118) nur überhöhte Bogenfenster auf Säulen ge- habt hatten, entwickelt jetzt der gothische Styl ein keckes Pracht- motiv; über und zwischen den Spitzbogen folgen nämlich ebenfalls durchbrochene Rosetten, die noch mit zum Fenster gehören. In der Mitte drängen sich eine Reihe von solchen Fenstern zu einer grossen Loggia zusammen, womit die einzelnen Fenster auf beiden Seiten vor- trefflich contrastiren 1). Rechnet man hinzu die Bekleidung der Haus- ecken mit gewundenen Säulen, die der Wandflächen mit bunten Stein- arten, die der Fenster mit birnförmigen Giebeln und die des Dachran- des mit moresken Zinnen, so ergiebt sich ein überaus fröhliches und zierliches Ganzes. Aber zu dieser leichten und luftigen Bauweise ge- hört auch der Wasserspiegel und das bewegte Leben der Canäle; wo solche Paläste oder ihre Rückseiten auf blossen Plätzen (Campi) stehen, wirken sie auffallend geringer und das Auge kann den Jubel nicht mehr recht begreifen. Vor einer Nachahmung in den Strassen unserer nordischen Städte wird sich jeder besonnene Architekt wohl hüten.
a
Das niedlichste dieser Gebäude ist die Ca Doro; sie zeigt, in welchen Dimensionen dieser Styl am glücklichsten wirkt. Aus der grossen Zahl der übrigen Paläste nennen wir diejenigen am Canal grande, vom Marcusplatz beginnend: -- (Rechts) das jetzige Albergo dell' Europa; nahe dabei ein kleines Gebäude, an welchem auch die reichen Balcons noch wohl erhalten sind. -- (Rechts) Palast Barbaro, -- und Palast Cavalli, letzterer besonders energisch in der Fenster- bbildung. -- (Links) die aneinander stossenden Paläste Giustiniani, -- cund der grosse Palast Foscari, welcher die Wendung des Canals dbeherrscht, mit achtfenstrigen Loggien. -- (Links) Palast Pisani a S. Polo, ebenfalls einer der bedeutendsten. -- (Links) Palast Ber- nardo. -- (Rechts) Palast Bembo. -- Nach dem Rialto: (Rechts) Palast Sagredo -- dann die genannte Ca Doro.
In andern Gegenden der Stadt ist beinahe kein ansehnlicher Ca- nal, kein grösseres Campo, an welchem nicht irgend ein Gebäude die-
1) Auffallend bleibt es. dass die Loggia stets aus einer geraden Zahl von Fen- stern (4, 6, 8) besteht, so dass eine Säule auf die Mitte trifft. Vgl. S. 107, unten, und S. 138 oben.
Gothischer Profanbau. Paläste von Venedig.
offene Halle. In den obern Stockwerken aber, die zur Zeit des byzan- tinischen Styles (S. 118) nur überhöhte Bogenfenster auf Säulen ge- habt hatten, entwickelt jetzt der gothische Styl ein keckes Pracht- motiv; über und zwischen den Spitzbogen folgen nämlich ebenfalls durchbrochene Rosetten, die noch mit zum Fenster gehören. In der Mitte drängen sich eine Reihe von solchen Fenstern zu einer grossen Loggia zusammen, womit die einzelnen Fenster auf beiden Seiten vor- trefflich contrastiren 1). Rechnet man hinzu die Bekleidung der Haus- ecken mit gewundenen Säulen, die der Wandflächen mit bunten Stein- arten, die der Fenster mit birnförmigen Giebeln und die des Dachran- des mit moresken Zinnen, so ergiebt sich ein überaus fröhliches und zierliches Ganzes. Aber zu dieser leichten und luftigen Bauweise ge- hört auch der Wasserspiegel und das bewegte Leben der Canäle; wo solche Paläste oder ihre Rückseiten auf blossen Plätzen (Campi) stehen, wirken sie auffallend geringer und das Auge kann den Jubel nicht mehr recht begreifen. Vor einer Nachahmung in den Strassen unserer nordischen Städte wird sich jeder besonnene Architekt wohl hüten.
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Das niedlichste dieser Gebäude ist die Ca Doro; sie zeigt, in welchen Dimensionen dieser Styl am glücklichsten wirkt. Aus der grossen Zahl der übrigen Paläste nennen wir diejenigen am Canal grande, vom Marcusplatz beginnend: — (Rechts) das jetzige Albergo dell’ Europa; nahe dabei ein kleines Gebäude, an welchem auch die reichen Balcons noch wohl erhalten sind. — (Rechts) Palast Barbaro, — und Palast Cavalli, letzterer besonders energisch in der Fenster- bbildung. — (Links) die aneinander stossenden Paläste Giustiniani, — cund der grosse Palast Foscari, welcher die Wendung des Canals dbeherrscht, mit achtfenstrigen Loggien. — (Links) Palast Pisani a S. Polo, ebenfalls einer der bedeutendsten. — (Links) Palast Ber- nardo. — (Rechts) Palast Bembo. — Nach dem Rialto: (Rechts) Palast Sagredo — dann die genannte Ca Doro.
In andern Gegenden der Stadt ist beinahe kein ansehnlicher Ca- nal, kein grösseres Campo, an welchem nicht irgend ein Gebäude die-
1) Auffallend bleibt es. dass die Loggia stets aus einer geraden Zahl von Fen- stern (4, 6, 8) besteht, so dass eine Säule auf die Mitte trifft. Vgl. S. 107, unten, und S. 138 oben.
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Gothischer Profanbau. Paläste von Venedig.
offene Halle. In den obern Stockwerken aber, die zur Zeit des byzan-
tinischen Styles (S. 118) nur überhöhte Bogenfenster auf Säulen ge-
habt hatten, entwickelt jetzt der gothische Styl ein keckes Pracht-
motiv; über und zwischen den Spitzbogen folgen nämlich ebenfalls
durchbrochene Rosetten, die noch mit zum Fenster gehören. In der
Mitte drängen sich eine Reihe von solchen Fenstern zu einer grossen
Loggia zusammen, womit die einzelnen Fenster auf beiden Seiten vor-
trefflich contrastiren 1). Rechnet man hinzu die Bekleidung der Haus-
ecken mit gewundenen Säulen, die der Wandflächen mit bunten Stein-
arten, die der Fenster mit birnförmigen Giebeln und die des Dachran-
des mit moresken Zinnen, so ergiebt sich ein überaus fröhliches und
zierliches Ganzes. Aber zu dieser leichten und luftigen Bauweise ge-
hört auch der Wasserspiegel und das bewegte Leben der Canäle; wo
solche Paläste oder ihre Rückseiten auf blossen Plätzen (Campi) stehen,
wirken sie auffallend geringer und das Auge kann den Jubel nicht
mehr recht begreifen. Vor einer Nachahmung in den Strassen unserer
nordischen Städte wird sich jeder besonnene Architekt wohl hüten.
Das niedlichste dieser Gebäude ist die Ca Doro; sie zeigt, in
welchen Dimensionen dieser Styl am glücklichsten wirkt. Aus der
grossen Zahl der übrigen Paläste nennen wir diejenigen am Canal
grande, vom Marcusplatz beginnend: — (Rechts) das jetzige Albergo
dell’ Europa; nahe dabei ein kleines Gebäude, an welchem auch die
reichen Balcons noch wohl erhalten sind. — (Rechts) Palast Barbaro,
— und Palast Cavalli, letzterer besonders energisch in der Fenster-
bildung. — (Links) die aneinander stossenden Paläste Giustiniani, —
und der grosse Palast Foscari, welcher die Wendung des Canals
beherrscht, mit achtfenstrigen Loggien. — (Links) Palast Pisani
a S. Polo, ebenfalls einer der bedeutendsten. — (Links) Palast Ber-
nardo. — (Rechts) Palast Bembo. — Nach dem Rialto: (Rechts) Palast
Sagredo — dann die genannte Ca Doro.
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In andern Gegenden der Stadt ist beinahe kein ansehnlicher Ca-
nal, kein grösseres Campo, an welchem nicht irgend ein Gebäude die-
1) Auffallend bleibt es. dass die Loggia stets aus einer geraden Zahl von Fen-
stern (4, 6, 8) besteht, so dass eine Säule auf die Mitte trifft. Vgl. S. 107,
unten, und S. 138 oben.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/178>, abgerufen am 04.12.2024.
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