Die Renaissance hatte schon lange gleichsam vor der Thür ge- wartet; in den romanischen Bauten Toscana's aus dem XII. und XIII. Jahrhundert zeigt sich bisweilen eine fast rein antike Detailbildung. Dann war der aus dem Norden eingeführte gothische Styl dazwischen gekommen, scheinbar allerdings eine Störung, aber verbunden mit dem Pfeiler- und Gewölbebau im Grossen und daher eine unvergleichliche Schule in mechanischer Beziehung. Während man, so zu sagen, unter dem Vorwand des Spitzbogens die schwierigsten Probleme bewältigen lernte, entwickelte sich, wie oben erläutert wurde (S. 125 ff.), das eigen- thümlich italienische Gefühl für Räume, Linien und Verhältnisse, und dieses war die Erbschaft, welche die Renaissance übernahm. Sie wusste dieselbe gar wohl zu würdigen und Michelangelo hat nicht vergebens S. Maria novella "seine Braut" genannt.
Für das XV. Jahrhundert kommt noch eine besondere Richtung des damaligen Formgeistes in Betracht. Der phantastische Zug, der durch diese Zeit geht, drückt sich in der ganzen Kunst durch eine oft übermässige Verzierungslust aus, welche bisweilen auch in der Ar- chitektur die wichtigsten Rücksichten zum Schweigen bringt und scheinbar der ganzen Epoche einen wesentlich decorativen Charakter giebt. Allein die bessern Künstler liessen sich davon im Wesentlichen nicht übermeistern; und dann hat auch diese Verzierungslust selber nach Kräften eine gesetzmässige Schönheit erstrebt; sie hat fast hun- dert Jahre gedauert ohne zu verwildern, und ihre Arbeiten erreichen gerade um das Jahr 1500 ihre reinste Vollendung.
Wir können zwei Perioden der eigentlichen Renaissance trennen. Die erste reicht etwa von 1420 bis 1500 und kann als die Zeit des Suchens charakterisirt werden. Die zweite möchte das Jahr 1540 kaum erreichen; es ist die goldene Zeit der modernen Architektur, welche in den grössten Aufgaben eine bestimmte Harmonie zwischen den Hauptformen und der in ihre Grenzen gewiesenen Decoration er- reicht. -- Von 1540 an beginnen schon die ersten Vorzeichen des Barockstyls, welcher sich einseitig an die Massen und Verhältnisse hält und das Detail willkürlich als äussern Scheinorganismus behan- delt. Auch die allerhöchste Begabung, in einem Michelangelo, Palla- dio, Vignola, Alessi, Richini, Bernini, hat nicht hingereicht, um etwas
Ihre Eigenschaften und Epochen.
Die Renaissance hatte schon lange gleichsam vor der Thür ge- wartet; in den romanischen Bauten Toscana’s aus dem XII. und XIII. Jahrhundert zeigt sich bisweilen eine fast rein antike Detailbildung. Dann war der aus dem Norden eingeführte gothische Styl dazwischen gekommen, scheinbar allerdings eine Störung, aber verbunden mit dem Pfeiler- und Gewölbebau im Grossen und daher eine unvergleichliche Schule in mechanischer Beziehung. Während man, so zu sagen, unter dem Vorwand des Spitzbogens die schwierigsten Probleme bewältigen lernte, entwickelte sich, wie oben erläutert wurde (S. 125 ff.), das eigen- thümlich italienische Gefühl für Räume, Linien und Verhältnisse, und dieses war die Erbschaft, welche die Renaissance übernahm. Sie wusste dieselbe gar wohl zu würdigen und Michelangelo hat nicht vergebens S. Maria novella „seine Braut“ genannt.
Für das XV. Jahrhundert kommt noch eine besondere Richtung des damaligen Formgeistes in Betracht. Der phantastische Zug, der durch diese Zeit geht, drückt sich in der ganzen Kunst durch eine oft übermässige Verzierungslust aus, welche bisweilen auch in der Ar- chitektur die wichtigsten Rücksichten zum Schweigen bringt und scheinbar der ganzen Epoche einen wesentlich decorativen Charakter giebt. Allein die bessern Künstler liessen sich davon im Wesentlichen nicht übermeistern; und dann hat auch diese Verzierungslust selber nach Kräften eine gesetzmässige Schönheit erstrebt; sie hat fast hun- dert Jahre gedauert ohne zu verwildern, und ihre Arbeiten erreichen gerade um das Jahr 1500 ihre reinste Vollendung.
Wir können zwei Perioden der eigentlichen Renaissance trennen. Die erste reicht etwa von 1420 bis 1500 und kann als die Zeit des Suchens charakterisirt werden. Die zweite möchte das Jahr 1540 kaum erreichen; es ist die goldene Zeit der modernen Architektur, welche in den grössten Aufgaben eine bestimmte Harmonie zwischen den Hauptformen und der in ihre Grenzen gewiesenen Decoration er- reicht. — Von 1540 an beginnen schon die ersten Vorzeichen des Barockstyls, welcher sich einseitig an die Massen und Verhältnisse hält und das Detail willkürlich als äussern Scheinorganismus behan- delt. Auch die allerhöchste Begabung, in einem Michelangelo, Palla- dio, Vignola, Alessi, Richini, Bernini, hat nicht hingereicht, um etwas
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Ihre Eigenschaften und Epochen.
Die Renaissance hatte schon lange gleichsam vor der Thür ge-
wartet; in den romanischen Bauten Toscana’s aus dem XII. und XIII.
Jahrhundert zeigt sich bisweilen eine fast rein antike Detailbildung.
Dann war der aus dem Norden eingeführte gothische Styl dazwischen
gekommen, scheinbar allerdings eine Störung, aber verbunden mit dem
Pfeiler- und Gewölbebau im Grossen und daher eine unvergleichliche
Schule in mechanischer Beziehung. Während man, so zu sagen, unter
dem Vorwand des Spitzbogens die schwierigsten Probleme bewältigen
lernte, entwickelte sich, wie oben erläutert wurde (S. 125 ff.), das eigen-
thümlich italienische Gefühl für Räume, Linien und Verhältnisse, und
dieses war die Erbschaft, welche die Renaissance übernahm. Sie
wusste dieselbe gar wohl zu würdigen und Michelangelo hat nicht
vergebens S. Maria novella „seine Braut“ genannt.
Für das XV. Jahrhundert kommt noch eine besondere Richtung
des damaligen Formgeistes in Betracht. Der phantastische Zug, der
durch diese Zeit geht, drückt sich in der ganzen Kunst durch eine oft
übermässige Verzierungslust aus, welche bisweilen auch in der Ar-
chitektur die wichtigsten Rücksichten zum Schweigen bringt und
scheinbar der ganzen Epoche einen wesentlich decorativen Charakter
giebt. Allein die bessern Künstler liessen sich davon im Wesentlichen
nicht übermeistern; und dann hat auch diese Verzierungslust selber
nach Kräften eine gesetzmässige Schönheit erstrebt; sie hat fast hun-
dert Jahre gedauert ohne zu verwildern, und ihre Arbeiten erreichen
gerade um das Jahr 1500 ihre reinste Vollendung.
Wir können zwei Perioden der eigentlichen Renaissance trennen.
Die erste reicht etwa von 1420 bis 1500 und kann als die Zeit des
Suchens charakterisirt werden. Die zweite möchte das Jahr 1540
kaum erreichen; es ist die goldene Zeit der modernen Architektur,
welche in den grössten Aufgaben eine bestimmte Harmonie zwischen
den Hauptformen und der in ihre Grenzen gewiesenen Decoration er-
reicht. — Von 1540 an beginnen schon die ersten Vorzeichen des
Barockstyls, welcher sich einseitig an die Massen und Verhältnisse
hält und das Detail willkürlich als äussern Scheinorganismus behan-
delt. Auch die allerhöchste Begabung, in einem Michelangelo, Palla-
dio, Vignola, Alessi, Richini, Bernini, hat nicht hingereicht, um etwas
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/191>, abgerufen am 04.12.2024.
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