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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Cronaca. Andrea Sansovino.

Cronaca behandelte aber auch andere Gattungen von Gebäuden
mit feinem Sinn. So sollte Pal. Guadagni (Piazza S. Spiritoa
N. 2086) nur ein stattliches florentinisches Haus werden und erhielt
diesen Charakter rein und vollständig. Der Quaderbau beschränkt
sich auf das Erdgeschoss, die Ecken und die Fenstereinfassungen;
mit bescheidenen Mitteln ist die Abstufung der Stockwerke trefflich
durchgeführt; das oberste ist eine offene Säulenhalle, welche das weit
vorgeschrägte Dach trägt. -- Der Hof trefflich in der Art des Giul.
da S. Gallo; an der Treppe schon der strengere Organismus, wie wir
ihn bei Baccio d'Agnolo werden ausgebildet finden. -- Die Sacristeib
von S. Spirito ist ein höchst reizender Zierbau; achteckig, unten
mit Nischen, die Wände mit Pilastern eingefasst (doch so, dass die
Ecken selbst frei bleiben); viereckige Fenster an den Oberwänden,
runde in den Lunetten, über welchen die einzelnen Kappen der Kup-
pel beginnen. -- Wiederum von einer ganz andern Seite zeigt sich
Cronaca in der Kirche San Francesco al Monte (vor Portac
S. Miniato), welche Michelangelo "das schöne Landmädchen" zu nennen
pflegte. Es ist die einfachste Bettelordenskirche, deren Dachstuhl
selbst bis ins Chor hinein sichtbar ist; schlichte Pilaster trennen
unten die Capellen, oben die Wandflächen um die Fenster, -- allein
gerade in dieser absoluten Schmucklosigkeit treten die reinen Ver-
hältnisse ernst und bedeutend hervor. -- Ob zu dem Umbau des Klo-d
sters der Annunziata, welcher diesem Meister zugeschrieben wird, auch
der vordere Kreuzgang und die Sacristei gehört, weiss ich nicht an-
zugeben; beide bieten keine Formen dar, die nicht schon seit Miche-
lozzo vorkämen.


Hier müssen wir auch den grossen Bildhauer Andrea (Contucci
da Monte) Sansovino (+ 1529) anschliessen, wegen eines köstlichen
kleinen Baues, der dem Charakter nach eher noch dem XV. Jahr-
hundert angehört als dem XVI., in welchem er errichtet wurde. Es
ist dies der oblonge Durchgang zwischen der Kirche und der Sacri-e
stei von S. Spirito in Florenz; sechs Säulen auf jeder Seite, vor
der Wand stehend, tragen ein Tonnengewölbe; dass sie der (sehr rei-
chen) Cassettirung desselben nicht entsprechen, benimmt dem Ge-

Cronaca. Andrea Sansovino.

Cronaca behandelte aber auch andere Gattungen von Gebäuden
mit feinem Sinn. So sollte Pal. Guadagni (Piazza S. Spiritoa
N. 2086) nur ein stattliches florentinisches Haus werden und erhielt
diesen Charakter rein und vollständig. Der Quaderbau beschränkt
sich auf das Erdgeschoss, die Ecken und die Fenstereinfassungen;
mit bescheidenen Mitteln ist die Abstufung der Stockwerke trefflich
durchgeführt; das oberste ist eine offene Säulenhalle, welche das weit
vorgeschrägte Dach trägt. — Der Hof trefflich in der Art des Giul.
da S. Gallo; an der Treppe schon der strengere Organismus, wie wir
ihn bei Baccio d’Agnolo werden ausgebildet finden. — Die Sacristeib
von S. Spirito ist ein höchst reizender Zierbau; achteckig, unten
mit Nischen, die Wände mit Pilastern eingefasst (doch so, dass die
Ecken selbst frei bleiben); viereckige Fenster an den Oberwänden,
runde in den Lunetten, über welchen die einzelnen Kappen der Kup-
pel beginnen. — Wiederum von einer ganz andern Seite zeigt sich
Cronaca in der Kirche San Francesco al Monte (vor Portac
S. Miniato), welche Michelangelo „das schöne Landmädchen“ zu nennen
pflegte. Es ist die einfachste Bettelordenskirche, deren Dachstuhl
selbst bis ins Chor hinein sichtbar ist; schlichte Pilaster trennen
unten die Capellen, oben die Wandflächen um die Fenster, — allein
gerade in dieser absoluten Schmucklosigkeit treten die reinen Ver-
hältnisse ernst und bedeutend hervor. — Ob zu dem Umbau des Klo-d
sters der Annunziata, welcher diesem Meister zugeschrieben wird, auch
der vordere Kreuzgang und die Sacristei gehört, weiss ich nicht an-
zugeben; beide bieten keine Formen dar, die nicht schon seit Miche-
lozzo vorkämen.


Hier müssen wir auch den grossen Bildhauer Andrea (Contucci
da Monte) Sansovino († 1529) anschliessen, wegen eines köstlichen
kleinen Baues, der dem Charakter nach eher noch dem XV. Jahr-
hundert angehört als dem XVI., in welchem er errichtet wurde. Es
ist dies der oblonge Durchgang zwischen der Kirche und der Sacri-e
stei von S. Spirito in Florenz; sechs Säulen auf jeder Seite, vor
der Wand stehend, tragen ein Tonnengewölbe; dass sie der (sehr rei-
chen) Cassettirung desselben nicht entsprechen, benimmt dem Ge-

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[189/0211] Cronaca. Andrea Sansovino. Cronaca behandelte aber auch andere Gattungen von Gebäuden mit feinem Sinn. So sollte Pal. Guadagni (Piazza S. Spirito N. 2086) nur ein stattliches florentinisches Haus werden und erhielt diesen Charakter rein und vollständig. Der Quaderbau beschränkt sich auf das Erdgeschoss, die Ecken und die Fenstereinfassungen; mit bescheidenen Mitteln ist die Abstufung der Stockwerke trefflich durchgeführt; das oberste ist eine offene Säulenhalle, welche das weit vorgeschrägte Dach trägt. — Der Hof trefflich in der Art des Giul. da S. Gallo; an der Treppe schon der strengere Organismus, wie wir ihn bei Baccio d’Agnolo werden ausgebildet finden. — Die Sacristei von S. Spirito ist ein höchst reizender Zierbau; achteckig, unten mit Nischen, die Wände mit Pilastern eingefasst (doch so, dass die Ecken selbst frei bleiben); viereckige Fenster an den Oberwänden, runde in den Lunetten, über welchen die einzelnen Kappen der Kup- pel beginnen. — Wiederum von einer ganz andern Seite zeigt sich Cronaca in der Kirche San Francesco al Monte (vor Porta S. Miniato), welche Michelangelo „das schöne Landmädchen“ zu nennen pflegte. Es ist die einfachste Bettelordenskirche, deren Dachstuhl selbst bis ins Chor hinein sichtbar ist; schlichte Pilaster trennen unten die Capellen, oben die Wandflächen um die Fenster, — allein gerade in dieser absoluten Schmucklosigkeit treten die reinen Ver- hältnisse ernst und bedeutend hervor. — Ob zu dem Umbau des Klo- sters der Annunziata, welcher diesem Meister zugeschrieben wird, auch der vordere Kreuzgang und die Sacristei gehört, weiss ich nicht an- zugeben; beide bieten keine Formen dar, die nicht schon seit Miche- lozzo vorkämen. a b c d Hier müssen wir auch den grossen Bildhauer Andrea (Contucci da Monte) Sansovino († 1529) anschliessen, wegen eines köstlichen kleinen Baues, der dem Charakter nach eher noch dem XV. Jahr- hundert angehört als dem XVI., in welchem er errichtet wurde. Es ist dies der oblonge Durchgang zwischen der Kirche und der Sacri- stei von S. Spirito in Florenz; sechs Säulen auf jeder Seite, vor der Wand stehend, tragen ein Tonnengewölbe; dass sie der (sehr rei- chen) Cassettirung desselben nicht entsprechen, benimmt dem Ge- e

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/211>, abgerufen am 04.12.2024.