Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Baccio Pintelli.
entwerfen, was aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts in Rom
auf unsere Zeit kommen sollte 1).

Baccio war vielleicht ein geübter Techniker, allein keiner von den-
jenigen Künstlern, welche die neue Formenfreiheit genial und schön
zu handhaben wussten. Sein wichtigstes Werk, die Kirche S. Ago-a
stino, ist in Betreff des Innern ein ziemlich nüchterner Versuch
hohen Gewölbebaues auf Pfeilern mit kleiner Kuppel, wobei er wie
Brunellesco die untern Wände in Nischen auflöste. Mit der phanta-
sievollen Annunziata von Arezzo könnte dieses (überdiess unangenehm
beleuchtete) Gebäude keinen Vergleich aushalten. An der Fassade
macht sich jene bei Alberti zuerst bemerkte Verbindung des obern
Stockwerkes mit den hervorragenden Theilen des untern auf eine recht
üble Weise bemerklich; die beiden Voluten haben nämlich die Ge-
stalt eines colossal vergrösserten Winkelblattes des ionischen Capi-
täls. -- An S. Maria del Popolo ist die Fassade oben umgebaut,b
sonst aber schlicht und gut; das Innere, hier ein Pfeilerbau mit Halb-
säulen, von jeher etwas gedrückt, hat durch moderne Verkleisterung
allen höhern baulichen Reiz verloren, und die achteckige Kuppel kann
gegen die sonstige breite Masse nicht mehr aufkommen. -- Einer
kleinern Aufgabe, wie S. Pietro in Montorio, genügte Baccioc
recht wohl; dieses Kirchlein, einschiffig gewölbt, mit Querschiff, Ca-
pellen als Wandnischen und polygonem Chorabschluss, bildet ein sehr
tüchtiges Ganzes und würde mit der ursprünglichen Decoration einen
trefflichen Effect machen. -- Beim Bau der sixtinischen Capelled
lag vielleicht ein bindendes Programm und die Rücksicht auf die schon
vorhandenen vaticanischen Bauten vor; sonst liesse sich schwer den-
ken, dass für die päpstliche Hauskirche eine so absolut schlichte Form
gewählt worden wäre. -- Mehrere ältere Kirchen sind von Baccio
mit Fassaden versehen worden; so S. Pietro in Vincoli, SS. Apo-e
stoli. Er berief sich vielleicht auf die mittelalterliche Kirche S. Sabaf
oder auf das frische Beispiel von S. Marco und legte eine gewölbte
Doppelhalle vor die Kirche, mit weitgespannten Rundbogen, unten auf
achteckigen Pfeilern, oben auf Säulen. Diess macht zwar keinen kirch-

1) An S. Giacomo degli Spagnuoli (1450) ist nur noch das reiche Portal be-*
merkenswerth, bei S. Salvatore in Lauro der aus derselben Zeit stammende**
graziöse Klosterhof, beides anonyme Werke.
B. Cicerone. 13

Baccio Pintelli.
entwerfen, was aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts in Rom
auf unsere Zeit kommen sollte 1).

Baccio war vielleicht ein geübter Techniker, allein keiner von den-
jenigen Künstlern, welche die neue Formenfreiheit genial und schön
zu handhaben wussten. Sein wichtigstes Werk, die Kirche S. Ago-a
stino, ist in Betreff des Innern ein ziemlich nüchterner Versuch
hohen Gewölbebaues auf Pfeilern mit kleiner Kuppel, wobei er wie
Brunellesco die untern Wände in Nischen auflöste. Mit der phanta-
sievollen Annunziata von Arezzo könnte dieses (überdiess unangenehm
beleuchtete) Gebäude keinen Vergleich aushalten. An der Fassade
macht sich jene bei Alberti zuerst bemerkte Verbindung des obern
Stockwerkes mit den hervorragenden Theilen des untern auf eine recht
üble Weise bemerklich; die beiden Voluten haben nämlich die Ge-
stalt eines colossal vergrösserten Winkelblattes des ionischen Capi-
täls. — An S. Maria del Popolo ist die Fassade oben umgebaut,b
sonst aber schlicht und gut; das Innere, hier ein Pfeilerbau mit Halb-
säulen, von jeher etwas gedrückt, hat durch moderne Verkleisterung
allen höhern baulichen Reiz verloren, und die achteckige Kuppel kann
gegen die sonstige breite Masse nicht mehr aufkommen. — Einer
kleinern Aufgabe, wie S. Pietro in Montorio, genügte Baccioc
recht wohl; dieses Kirchlein, einschiffig gewölbt, mit Querschiff, Ca-
pellen als Wandnischen und polygonem Chorabschluss, bildet ein sehr
tüchtiges Ganzes und würde mit der ursprünglichen Decoration einen
trefflichen Effect machen. — Beim Bau der sixtinischen Capelled
lag vielleicht ein bindendes Programm und die Rücksicht auf die schon
vorhandenen vaticanischen Bauten vor; sonst liesse sich schwer den-
ken, dass für die päpstliche Hauskirche eine so absolut schlichte Form
gewählt worden wäre. — Mehrere ältere Kirchen sind von Baccio
mit Fassaden versehen worden; so S. Pietro in Vincoli, SS. Apo-e
stoli. Er berief sich vielleicht auf die mittelalterliche Kirche S. Sabaf
oder auf das frische Beispiel von S. Marco und legte eine gewölbte
Doppelhalle vor die Kirche, mit weitgespannten Rundbogen, unten auf
achteckigen Pfeilern, oben auf Säulen. Diess macht zwar keinen kirch-

1) An S. Giacomo degli Spagnuoli (1450) ist nur noch das reiche Portal be-*
merkenswerth, bei S. Salvatore in Lauro der aus derselben Zeit stammende**
graziöse Klosterhof, beides anonyme Werke.
B. Cicerone. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0215" n="193"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Baccio Pintelli.</hi></fw><lb/>
entwerfen, was aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts in Rom<lb/>
auf unsere Zeit kommen sollte <note place="foot" n="1)">An S. Giacomo degli Spagnuoli (1450) ist nur noch das reiche Portal be-<note place="right">*</note><lb/>
merkenswerth, bei S. Salvatore in Lauro der aus derselben Zeit stammende<note place="right">**</note><lb/>
graziöse Klosterhof, beides anonyme Werke.</note>.</p><lb/>
        <p>Baccio war vielleicht ein geübter Techniker, allein keiner von den-<lb/>
jenigen Künstlern, welche die neue Formenfreiheit genial und schön<lb/>
zu handhaben wussten. Sein wichtigstes Werk, die Kirche S. <hi rendition="#g">Ago-</hi><note place="right">a</note><lb/><hi rendition="#g">stino</hi>, ist in Betreff des Innern ein ziemlich nüchterner Versuch<lb/>
hohen Gewölbebaues auf Pfeilern mit kleiner Kuppel, wobei er wie<lb/>
Brunellesco die untern Wände in Nischen auflöste. Mit der phanta-<lb/>
sievollen Annunziata von Arezzo könnte dieses (überdiess unangenehm<lb/>
beleuchtete) Gebäude keinen Vergleich aushalten. An der Fassade<lb/>
macht sich jene bei Alberti zuerst bemerkte Verbindung des obern<lb/>
Stockwerkes mit den hervorragenden Theilen des untern auf eine recht<lb/>
üble Weise bemerklich; die beiden Voluten haben nämlich die Ge-<lb/>
stalt eines colossal vergrösserten Winkelblattes des ionischen Capi-<lb/>
täls. &#x2014; <hi rendition="#g">An S. Maria del Popolo</hi> ist die Fassade oben umgebaut,<note place="right">b</note><lb/>
sonst aber schlicht und gut; das Innere, hier ein Pfeilerbau mit Halb-<lb/>
säulen, von jeher etwas gedrückt, hat durch moderne Verkleisterung<lb/>
allen höhern baulichen Reiz verloren, und die achteckige Kuppel kann<lb/>
gegen die sonstige breite Masse nicht mehr aufkommen. &#x2014; Einer<lb/>
kleinern Aufgabe, wie S. <hi rendition="#g">Pietro in Montorio</hi>, genügte Baccio<note place="right">c</note><lb/>
recht wohl; dieses Kirchlein, einschiffig gewölbt, mit Querschiff, Ca-<lb/>
pellen als Wandnischen und polygonem Chorabschluss, bildet ein sehr<lb/>
tüchtiges Ganzes und würde mit der ursprünglichen Decoration einen<lb/>
trefflichen Effect machen. &#x2014; Beim Bau der <hi rendition="#g">sixtinischen Capelle</hi><note place="right">d</note><lb/>
lag vielleicht ein bindendes Programm und die Rücksicht auf die schon<lb/>
vorhandenen vaticanischen Bauten vor; sonst liesse sich schwer den-<lb/>
ken, dass für die päpstliche Hauskirche eine so absolut schlichte Form<lb/>
gewählt worden wäre. &#x2014; Mehrere ältere Kirchen sind von Baccio<lb/>
mit Fassaden versehen worden; so S. <hi rendition="#g">Pietro in Vincoli, SS. Apo-</hi><note place="right">e</note><lb/><hi rendition="#g">stoli</hi>. Er berief sich vielleicht auf die mittelalterliche Kirche S. Saba<note place="right">f</note><lb/>
oder auf das frische Beispiel von S. Marco und legte eine gewölbte<lb/>
Doppelhalle vor die Kirche, mit weitgespannten Rundbogen, unten auf<lb/>
achteckigen Pfeilern, oben auf Säulen. Diess macht zwar keinen kirch-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#i">B. Cicerone.</hi> 13</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0215] Baccio Pintelli. entwerfen, was aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts in Rom auf unsere Zeit kommen sollte 1). Baccio war vielleicht ein geübter Techniker, allein keiner von den- jenigen Künstlern, welche die neue Formenfreiheit genial und schön zu handhaben wussten. Sein wichtigstes Werk, die Kirche S. Ago- stino, ist in Betreff des Innern ein ziemlich nüchterner Versuch hohen Gewölbebaues auf Pfeilern mit kleiner Kuppel, wobei er wie Brunellesco die untern Wände in Nischen auflöste. Mit der phanta- sievollen Annunziata von Arezzo könnte dieses (überdiess unangenehm beleuchtete) Gebäude keinen Vergleich aushalten. An der Fassade macht sich jene bei Alberti zuerst bemerkte Verbindung des obern Stockwerkes mit den hervorragenden Theilen des untern auf eine recht üble Weise bemerklich; die beiden Voluten haben nämlich die Ge- stalt eines colossal vergrösserten Winkelblattes des ionischen Capi- täls. — An S. Maria del Popolo ist die Fassade oben umgebaut, sonst aber schlicht und gut; das Innere, hier ein Pfeilerbau mit Halb- säulen, von jeher etwas gedrückt, hat durch moderne Verkleisterung allen höhern baulichen Reiz verloren, und die achteckige Kuppel kann gegen die sonstige breite Masse nicht mehr aufkommen. — Einer kleinern Aufgabe, wie S. Pietro in Montorio, genügte Baccio recht wohl; dieses Kirchlein, einschiffig gewölbt, mit Querschiff, Ca- pellen als Wandnischen und polygonem Chorabschluss, bildet ein sehr tüchtiges Ganzes und würde mit der ursprünglichen Decoration einen trefflichen Effect machen. — Beim Bau der sixtinischen Capelle lag vielleicht ein bindendes Programm und die Rücksicht auf die schon vorhandenen vaticanischen Bauten vor; sonst liesse sich schwer den- ken, dass für die päpstliche Hauskirche eine so absolut schlichte Form gewählt worden wäre. — Mehrere ältere Kirchen sind von Baccio mit Fassaden versehen worden; so S. Pietro in Vincoli, SS. Apo- stoli. Er berief sich vielleicht auf die mittelalterliche Kirche S. Saba oder auf das frische Beispiel von S. Marco und legte eine gewölbte Doppelhalle vor die Kirche, mit weitgespannten Rundbogen, unten auf achteckigen Pfeilern, oben auf Säulen. Diess macht zwar keinen kirch- a b c d e f 1) An S. Giacomo degli Spagnuoli (1450) ist nur noch das reiche Portal be- merkenswerth, bei S. Salvatore in Lauro der aus derselben Zeit stammende graziöse Klosterhof, beides anonyme Werke. B. Cicerone. 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/215
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/215>, abgerufen am 04.12.2024.