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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Frührenaissance. Venedig. Kirchen.
ein ganz malerisches Interieur gewährt. Höfe sind entweder nicht vor-
handen oder ohne Belang 1).

Das Innere der Kirchen ist je nach der Aufgabe sehr verschieden.

a

Die älteste des betreffenden Styles ist wohl unläugbar S. Zac-
caria
, begonnen 1457 (von Einigen dem Martino Lombardo zu-
geschrieben). Der Chorbau ist noch zum Theil gothisch, Umgang und
Capellenkranz von gleicher Höhe damit. Die gewölbten drei Schiffe
ruhen auf Säulen über hohen geschmückten Piedestalen, der Chor nach
Art einiger romanischen Kirchen auf Säulengruppen. Im Detail wagt
hier die Frührenaissance höchst unsichere und barocke Formen.
(Wulste der Säulen, mittlere Simse des Capellenkranzes u. s. w.)
Die Fassade ist mit Ausnahme des Erdgeschosses wohl um mehrere
Jahrzehnde neuer; in ihren vielen Stockwerken und runden Abschlüs-
sen zeigt sie zuerst jene nur in Venedig so ausgebildete 2) Schreiner-
phantasie, welche die Bauformen aus reinem Vergnügen an ihrer Wir-
kung vervielfacht, ohne sie zum Ausdruck von Verhältnissen zu be-
nützen. Diese Wirkung aber, erhöht durch das Material und ein
grosses decoratives Geschick, ist für den flüchtigen Blick eine sehr
angenehme.

b

Nahe mit diesem Bau verwandt, nur einfacher, ist S. Michele
(1466), welches Martino's Sohn, Moro Lombardo, angehört. Flach-
gedeckte Säulenkirche, schon vorn durch einen fast gleichzeitigen
Lettner unterbrochen; hinten drei Tribunen ohne Umgang. An der
Fassade ist ausser den runden Abschlüssen die unbeholfene Rustica-
bekleidung bemerkenswerth, eine florentinische Anleihe.

c

Es folgt das kleine Juwel unter den venezianischen Kirchen:
S. Maria de'miracoli, 1480 unter Mitwirkung des Pietro Lom-
bardo
erbaut. Es dauert eine Weile, bis das von einem "allerliebst"
zu nennenden Eindruck beherrschte Auge sich gesteht, dass der bau-

1) *Bei diesem Anlass ist vorläufig auf Pal. Pisani an Campo S. Stefano hinzu-
weisen, welcher zwar von Renaissance nicht mehr als die Zwischenhalle sei-
ner beiden Höfe besitzt, als vollständigster Privatbau der Barockzeit aber
von Interesse ist. Die grossen Schifflaternen in den untern Hallen dieser und
anderer Paläste sind Ehrenzeichen des Seecommando's der Inhaber.
2) Vielleicht durch kleinliche Römerbauten, wie Porta de' Borsari in Verona,
geweckte.

Frührenaissance. Venedig. Kirchen.
ein ganz malerisches Interieur gewährt. Höfe sind entweder nicht vor-
handen oder ohne Belang 1).

Das Innere der Kirchen ist je nach der Aufgabe sehr verschieden.

a

Die älteste des betreffenden Styles ist wohl unläugbar S. Zac-
caria
, begonnen 1457 (von Einigen dem Martino Lombardo zu-
geschrieben). Der Chorbau ist noch zum Theil gothisch, Umgang und
Capellenkranz von gleicher Höhe damit. Die gewölbten drei Schiffe
ruhen auf Säulen über hohen geschmückten Piedestalen, der Chor nach
Art einiger romanischen Kirchen auf Säulengruppen. Im Detail wagt
hier die Frührenaissance höchst unsichere und barocke Formen.
(Wulste der Säulen, mittlere Simse des Capellenkranzes u. s. w.)
Die Fassade ist mit Ausnahme des Erdgeschosses wohl um mehrere
Jahrzehnde neuer; in ihren vielen Stockwerken und runden Abschlüs-
sen zeigt sie zuerst jene nur in Venedig so ausgebildete 2) Schreiner-
phantasie, welche die Bauformen aus reinem Vergnügen an ihrer Wir-
kung vervielfacht, ohne sie zum Ausdruck von Verhältnissen zu be-
nützen. Diese Wirkung aber, erhöht durch das Material und ein
grosses decoratives Geschick, ist für den flüchtigen Blick eine sehr
angenehme.

b

Nahe mit diesem Bau verwandt, nur einfacher, ist S. Michele
(1466), welches Martino’s Sohn, Moro Lombardo, angehört. Flach-
gedeckte Säulenkirche, schon vorn durch einen fast gleichzeitigen
Lettner unterbrochen; hinten drei Tribunen ohne Umgang. An der
Fassade ist ausser den runden Abschlüssen die unbeholfene Rustica-
bekleidung bemerkenswerth, eine florentinische Anleihe.

c

Es folgt das kleine Juwel unter den venezianischen Kirchen:
S. Maria de’miracoli, 1480 unter Mitwirkung des Pietro Lom-
bardo
erbaut. Es dauert eine Weile, bis das von einem „allerliebst“
zu nennenden Eindruck beherrschte Auge sich gesteht, dass der bau-

1) *Bei diesem Anlass ist vorläufig auf Pal. Pisani an Campo S. Stefano hinzu-
weisen, welcher zwar von Renaissance nicht mehr als die Zwischenhalle sei-
ner beiden Höfe besitzt, als vollständigster Privatbau der Barockzeit aber
von Interesse ist. Die grossen Schifflaternen in den untern Hallen dieser und
anderer Paläste sind Ehrenzeichen des Seecommando’s der Inhaber.
2) Vielleicht durch kleinliche Römerbauten, wie Porta de’ Borsari in Verona,
geweckte.
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[216/0238] Frührenaissance. Venedig. Kirchen. ein ganz malerisches Interieur gewährt. Höfe sind entweder nicht vor- handen oder ohne Belang 1). Das Innere der Kirchen ist je nach der Aufgabe sehr verschieden. Die älteste des betreffenden Styles ist wohl unläugbar S. Zac- caria, begonnen 1457 (von Einigen dem Martino Lombardo zu- geschrieben). Der Chorbau ist noch zum Theil gothisch, Umgang und Capellenkranz von gleicher Höhe damit. Die gewölbten drei Schiffe ruhen auf Säulen über hohen geschmückten Piedestalen, der Chor nach Art einiger romanischen Kirchen auf Säulengruppen. Im Detail wagt hier die Frührenaissance höchst unsichere und barocke Formen. (Wulste der Säulen, mittlere Simse des Capellenkranzes u. s. w.) Die Fassade ist mit Ausnahme des Erdgeschosses wohl um mehrere Jahrzehnde neuer; in ihren vielen Stockwerken und runden Abschlüs- sen zeigt sie zuerst jene nur in Venedig so ausgebildete 2) Schreiner- phantasie, welche die Bauformen aus reinem Vergnügen an ihrer Wir- kung vervielfacht, ohne sie zum Ausdruck von Verhältnissen zu be- nützen. Diese Wirkung aber, erhöht durch das Material und ein grosses decoratives Geschick, ist für den flüchtigen Blick eine sehr angenehme. Nahe mit diesem Bau verwandt, nur einfacher, ist S. Michele (1466), welches Martino’s Sohn, Moro Lombardo, angehört. Flach- gedeckte Säulenkirche, schon vorn durch einen fast gleichzeitigen Lettner unterbrochen; hinten drei Tribunen ohne Umgang. An der Fassade ist ausser den runden Abschlüssen die unbeholfene Rustica- bekleidung bemerkenswerth, eine florentinische Anleihe. Es folgt das kleine Juwel unter den venezianischen Kirchen: S. Maria de’miracoli, 1480 unter Mitwirkung des Pietro Lom- bardo erbaut. Es dauert eine Weile, bis das von einem „allerliebst“ zu nennenden Eindruck beherrschte Auge sich gesteht, dass der bau- 1) Bei diesem Anlass ist vorläufig auf Pal. Pisani an Campo S. Stefano hinzu- weisen, welcher zwar von Renaissance nicht mehr als die Zwischenhalle sei- ner beiden Höfe besitzt, als vollständigster Privatbau der Barockzeit aber von Interesse ist. Die grossen Schifflaternen in den untern Hallen dieser und anderer Paläste sind Ehrenzeichen des Seecommando’s der Inhaber. 2) Vielleicht durch kleinliche Römerbauten, wie Porta de’ Borsari in Verona, geweckte.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/238>, abgerufen am 04.12.2024.