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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Hochrenaissance. Verona. Sanmicheli.
fordert. Unser Geschlecht sucht in seinen derartigen Zierbauten nicht
den Genuss, sondern die Abspannung oder die Zerstreuung, daher ist
ihm entweder das Formloseste oder auch das Bunteste willkommen.

Das Vorbild Falconetto's hielt in Padua noch einige Zeit die
abessere Architektur aufrecht. Der obere Hof im Pal. del Podesta und
mehrere einfache Privatpaläste geben hievon Zeugniss. Auch der
bvierte Klosterhof bei S. Giustina, dessen Bogenpfeiler unten mit ioni-
schen, oben mit korinthischen Halbsäulen bekleidet sind, ist ein gutes
Gebäude. (Es soll sich unter den Höfen dieses Klosters einer von
Pietro Lombardo befinden, was kaum auf einen von den fünfen passen
kann, welche ich gesehen habe, ausgenommen etwa auf den zweiten,
cnoch halb mittelalterlichen. Sonst sind mir nur die einfachen Renais-
sancehöfe beim Seminar bekannt.)


In Verona ist die Blüthezeit der Baukunst repräsentirt durch
Michele Sanmicheli (1484--1559), welcher seine wesentlichen
Anregungen schon frühe in Rom fand und auch seine ersten Gebäude
dim Kirchenstaat ausführte. (Dom von Montefiascone; S. Domenico (?)
in Orvieto; auch Privatgebäude an beiden Orten.) Später wurde ihm
hauptsächlich als Festungsbaumeister Ruhm und reichliche Beschäf-
tigung zu Theil, doch blieb ihm nicht nur Zeit und Anlass für Pracht-
bauten übrig, sondern er durfte auch den Festungsbau selbst mit einer
Majestät der Ausführung behandeln, welche nur selten wieder so ge-
stattet und noch seltener wieder erreicht worden ist.

Im Dienst seines Souverains, der Republik Venedig, vergrösserte
und verbesserte er fast alle Befestigungen, welche dieselbe nah und
efern (bis Cypern) besass. Bei Venedig selbst gehört ihm die Forti-
fication des Lido; in Verona die wichtigsten Basteien und Thore.
Der militärische Werth seiner Neuerungen wird sehr hoch angeschla-
gen; wir haben es nur mit dem Styl seiner Thore zu thun. -- Von
unfertigen Römerbauten, wie zum Beispiel das Amphitheater von Ve-
rona, abstrahirte er (vielleicht von allen Architekten zuerst?) die Be-
fugniss, nicht bloss Flächen, sondern auch Gliederungen (Säulen, Wand-
säulen, Pilaster etc.) mit Rustica zu bekleiden; sein Zweck war, den
ernsten, trotzigen Charakter des Festungsbaues mit der Schönheit des

Hochrenaissance. Verona. Sanmicheli.
fordert. Unser Geschlecht sucht in seinen derartigen Zierbauten nicht
den Genuss, sondern die Abspannung oder die Zerstreuung, daher ist
ihm entweder das Formloseste oder auch das Bunteste willkommen.

Das Vorbild Falconetto’s hielt in Padua noch einige Zeit die
abessere Architektur aufrecht. Der obere Hof im Pal. del Podesta und
mehrere einfache Privatpaläste geben hievon Zeugniss. Auch der
bvierte Klosterhof bei S. Giustina, dessen Bogenpfeiler unten mit ioni-
schen, oben mit korinthischen Halbsäulen bekleidet sind, ist ein gutes
Gebäude. (Es soll sich unter den Höfen dieses Klosters einer von
Pietro Lombardo befinden, was kaum auf einen von den fünfen passen
kann, welche ich gesehen habe, ausgenommen etwa auf den zweiten,
cnoch halb mittelalterlichen. Sonst sind mir nur die einfachen Renais-
sancehöfe beim Seminar bekannt.)


In Verona ist die Blüthezeit der Baukunst repräsentirt durch
Michele Sanmicheli (1484—1559), welcher seine wesentlichen
Anregungen schon frühe in Rom fand und auch seine ersten Gebäude
dim Kirchenstaat ausführte. (Dom von Montefiascone; S. Domenico (?)
in Orvieto; auch Privatgebäude an beiden Orten.) Später wurde ihm
hauptsächlich als Festungsbaumeister Ruhm und reichliche Beschäf-
tigung zu Theil, doch blieb ihm nicht nur Zeit und Anlass für Pracht-
bauten übrig, sondern er durfte auch den Festungsbau selbst mit einer
Majestät der Ausführung behandeln, welche nur selten wieder so ge-
stattet und noch seltener wieder erreicht worden ist.

Im Dienst seines Souverains, der Republik Venedig, vergrösserte
und verbesserte er fast alle Befestigungen, welche dieselbe nah und
efern (bis Cypern) besass. Bei Venedig selbst gehört ihm die Forti-
fication des Lido; in Verona die wichtigsten Basteien und Thore.
Der militärische Werth seiner Neuerungen wird sehr hoch angeschla-
gen; wir haben es nur mit dem Styl seiner Thore zu thun. — Von
unfertigen Römerbauten, wie zum Beispiel das Amphitheater von Ve-
rona, abstrahirte er (vielleicht von allen Architekten zuerst?) die Be-
fugniss, nicht bloss Flächen, sondern auch Gliederungen (Säulen, Wand-
säulen, Pilaster etc.) mit Rustica zu bekleiden; sein Zweck war, den
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[322/0344] Hochrenaissance. Verona. Sanmicheli. fordert. Unser Geschlecht sucht in seinen derartigen Zierbauten nicht den Genuss, sondern die Abspannung oder die Zerstreuung, daher ist ihm entweder das Formloseste oder auch das Bunteste willkommen. Das Vorbild Falconetto’s hielt in Padua noch einige Zeit die bessere Architektur aufrecht. Der obere Hof im Pal. del Podesta und mehrere einfache Privatpaläste geben hievon Zeugniss. Auch der vierte Klosterhof bei S. Giustina, dessen Bogenpfeiler unten mit ioni- schen, oben mit korinthischen Halbsäulen bekleidet sind, ist ein gutes Gebäude. (Es soll sich unter den Höfen dieses Klosters einer von Pietro Lombardo befinden, was kaum auf einen von den fünfen passen kann, welche ich gesehen habe, ausgenommen etwa auf den zweiten, noch halb mittelalterlichen. Sonst sind mir nur die einfachen Renais- sancehöfe beim Seminar bekannt.) a b c In Verona ist die Blüthezeit der Baukunst repräsentirt durch Michele Sanmicheli (1484—1559), welcher seine wesentlichen Anregungen schon frühe in Rom fand und auch seine ersten Gebäude im Kirchenstaat ausführte. (Dom von Montefiascone; S. Domenico (?) in Orvieto; auch Privatgebäude an beiden Orten.) Später wurde ihm hauptsächlich als Festungsbaumeister Ruhm und reichliche Beschäf- tigung zu Theil, doch blieb ihm nicht nur Zeit und Anlass für Pracht- bauten übrig, sondern er durfte auch den Festungsbau selbst mit einer Majestät der Ausführung behandeln, welche nur selten wieder so ge- stattet und noch seltener wieder erreicht worden ist. d Im Dienst seines Souverains, der Republik Venedig, vergrösserte und verbesserte er fast alle Befestigungen, welche dieselbe nah und fern (bis Cypern) besass. Bei Venedig selbst gehört ihm die Forti- fication des Lido; in Verona die wichtigsten Basteien und Thore. Der militärische Werth seiner Neuerungen wird sehr hoch angeschla- gen; wir haben es nur mit dem Styl seiner Thore zu thun. — Von unfertigen Römerbauten, wie zum Beispiel das Amphitheater von Ve- rona, abstrahirte er (vielleicht von allen Architekten zuerst?) die Be- fugniss, nicht bloss Flächen, sondern auch Gliederungen (Säulen, Wand- säulen, Pilaster etc.) mit Rustica zu bekleiden; sein Zweck war, den ernsten, trotzigen Charakter des Festungsbaues mit der Schönheit des e

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/344>, abgerufen am 05.12.2024.