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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Venedig. Jacopo Sansovino.
grossartig nach einer innern Nothwendigkeit zu gestalten gewusst;
Jacopo dagegen, der mitten unter den erhabensten Bauten von Rom
und Florenz die erste Hälfte seines Lebens zugebracht hatte, bequemt
sich in der Folge als bauliches Factotum von Venedig zu allen Spie-
lereien und Liebhabereien der dortigen Frührenaissance und hilft diesel-
ben verewigen. Es muss ihm bei grossen Gaben des Geistes und Her-
zens doch am wahren Stolz gefehlt haben, der lieber eine glänzende
Bestellung ausschlägt, als sie gegen besseres Wissen durchführt.

In Rom ist von ihm das Innere von S. Marcello am Corso unda
der Pal. Niccolini an der Via de' Banchi angegeben; ersteres immerb
eines der bessern unter den kleinern Interieurs dieses Styles. -- In
Venedig bekam er eine Menge von Aufträgen und genoss bis an
seinen Tod eine künstlerische Stellung parallel mit seinem Altersge-
nossen Tizian. -- Unter seinen Kirchen ist wohl die beste S. Giorgioc
de' Greci (1550); einschiffig mit Tonnengewölbe (das in der Mitte von
einer Kuppel unterbrochen wird), aussen ein schlanker Hochbau von
zwei Ordnungen, zu welchen vorn noch eine Art von Oberbau als
dritte kommt. In der Behandlung des Ganzen erkennt man leicht die
Überlegenheit des an die Rechnung im Grossen gewöhnten Florenti-
ners; allein derselbe lässt sich doch herbei zu der venezianischen Be-
handlung des Pilasters (mit Rahmenprofil) und zu einer überaus klein-
lichen Verzierung jener obersten Ordnung der Fassade, dergleichen
ihm in Rom nicht durchgegangen wäre. -- Gleichzeitig baute er (1551)
die Fassade der nahen Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni, in dem-d
selben schreinerhaften Geist, wie die meisten Scuole von Venedig.

Das Innere von S. Francesco della Vigna (1534) ist ein wahrere
Rückschritt ins Oberitalienische, wenn man S. Marcello in Rom (1519)
damit vergleicht. Nüchterne Pilaster; tiefe Seitencapellen, aus welchen
das meiste Licht kömmt. -- An S. Martino (1540) sieht man, dassf
Sansovino bei geringern Mitteln seine Tüchtigkeit wieder fand; er
hat einem quadratischen flachgedeckten Raum durch glückliche Ein-
theilung der Wände in niedrigere und höhere Capellen Bedeutung zu
geben gewusst. (Aussen fehlt die Incrustation). -- Wiederum von ge-
ringerer Anlage: S. Giuliano (1555.) -- Die Fassade von S. Sebastianog
ist aber doch hoffentlich nicht von ihm; so tief kann er nicht gefallenh

Venedig. Jacopo Sansovino.
grossartig nach einer innern Nothwendigkeit zu gestalten gewusst;
Jacopo dagegen, der mitten unter den erhabensten Bauten von Rom
und Florenz die erste Hälfte seines Lebens zugebracht hatte, bequemt
sich in der Folge als bauliches Factotum von Venedig zu allen Spie-
lereien und Liebhabereien der dortigen Frührenaissance und hilft diesel-
ben verewigen. Es muss ihm bei grossen Gaben des Geistes und Her-
zens doch am wahren Stolz gefehlt haben, der lieber eine glänzende
Bestellung ausschlägt, als sie gegen besseres Wissen durchführt.

In Rom ist von ihm das Innere von S. Marcello am Corso unda
der Pal. Niccolini an der Via de’ Banchi angegeben; ersteres immerb
eines der bessern unter den kleinern Interieurs dieses Styles. — In
Venedig bekam er eine Menge von Aufträgen und genoss bis an
seinen Tod eine künstlerische Stellung parallel mit seinem Altersge-
nossen Tizian. — Unter seinen Kirchen ist wohl die beste S. Giorgioc
de’ Greci (1550); einschiffig mit Tonnengewölbe (das in der Mitte von
einer Kuppel unterbrochen wird), aussen ein schlanker Hochbau von
zwei Ordnungen, zu welchen vorn noch eine Art von Oberbau als
dritte kommt. In der Behandlung des Ganzen erkennt man leicht die
Überlegenheit des an die Rechnung im Grossen gewöhnten Florenti-
ners; allein derselbe lässt sich doch herbei zu der venezianischen Be-
handlung des Pilasters (mit Rahmenprofil) und zu einer überaus klein-
lichen Verzierung jener obersten Ordnung der Fassade, dergleichen
ihm in Rom nicht durchgegangen wäre. — Gleichzeitig baute er (1551)
die Fassade der nahen Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni, in dem-d
selben schreinerhaften Geist, wie die meisten Scuole von Venedig.

Das Innere von S. Francesco della Vigna (1534) ist ein wahrere
Rückschritt ins Oberitalienische, wenn man S. Marcello in Rom (1519)
damit vergleicht. Nüchterne Pilaster; tiefe Seitencapellen, aus welchen
das meiste Licht kömmt. — An S. Martino (1540) sieht man, dassf
Sansovino bei geringern Mitteln seine Tüchtigkeit wieder fand; er
hat einem quadratischen flachgedeckten Raum durch glückliche Ein-
theilung der Wände in niedrigere und höhere Capellen Bedeutung zu
geben gewusst. (Aussen fehlt die Incrustation). — Wiederum von ge-
ringerer Anlage: S. Giuliano (1555.) — Die Fassade von S. Sebastianog
ist aber doch hoffentlich nicht von ihm; so tief kann er nicht gefallenh

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[325/0347] Venedig. Jacopo Sansovino. grossartig nach einer innern Nothwendigkeit zu gestalten gewusst; Jacopo dagegen, der mitten unter den erhabensten Bauten von Rom und Florenz die erste Hälfte seines Lebens zugebracht hatte, bequemt sich in der Folge als bauliches Factotum von Venedig zu allen Spie- lereien und Liebhabereien der dortigen Frührenaissance und hilft diesel- ben verewigen. Es muss ihm bei grossen Gaben des Geistes und Her- zens doch am wahren Stolz gefehlt haben, der lieber eine glänzende Bestellung ausschlägt, als sie gegen besseres Wissen durchführt. In Rom ist von ihm das Innere von S. Marcello am Corso und der Pal. Niccolini an der Via de’ Banchi angegeben; ersteres immer eines der bessern unter den kleinern Interieurs dieses Styles. — In Venedig bekam er eine Menge von Aufträgen und genoss bis an seinen Tod eine künstlerische Stellung parallel mit seinem Altersge- nossen Tizian. — Unter seinen Kirchen ist wohl die beste S. Giorgio de’ Greci (1550); einschiffig mit Tonnengewölbe (das in der Mitte von einer Kuppel unterbrochen wird), aussen ein schlanker Hochbau von zwei Ordnungen, zu welchen vorn noch eine Art von Oberbau als dritte kommt. In der Behandlung des Ganzen erkennt man leicht die Überlegenheit des an die Rechnung im Grossen gewöhnten Florenti- ners; allein derselbe lässt sich doch herbei zu der venezianischen Be- handlung des Pilasters (mit Rahmenprofil) und zu einer überaus klein- lichen Verzierung jener obersten Ordnung der Fassade, dergleichen ihm in Rom nicht durchgegangen wäre. — Gleichzeitig baute er (1551) die Fassade der nahen Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni, in dem- selben schreinerhaften Geist, wie die meisten Scuole von Venedig. a b c d Das Innere von S. Francesco della Vigna (1534) ist ein wahrer Rückschritt ins Oberitalienische, wenn man S. Marcello in Rom (1519) damit vergleicht. Nüchterne Pilaster; tiefe Seitencapellen, aus welchen das meiste Licht kömmt. — An S. Martino (1540) sieht man, dass Sansovino bei geringern Mitteln seine Tüchtigkeit wieder fand; er hat einem quadratischen flachgedeckten Raum durch glückliche Ein- theilung der Wände in niedrigere und höhere Capellen Bedeutung zu geben gewusst. (Aussen fehlt die Incrustation). — Wiederum von ge- ringerer Anlage: S. Giuliano (1555.) — Die Fassade von S. Sebastiano ist aber doch hoffentlich nicht von ihm; so tief kann er nicht gefallen e f g h

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/347>, abgerufen am 05.12.2024.