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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Hochrenaissance. Venedig. Jac. Sansovino.
asein. In Padua kann S. Francesco von ihm nur umgebaut, nicht er-
baut sein.

b

Die Loggia unten am Marcusthurm (1540), ehemals der Warte-
raum für die Procuratoren, welche während der Sitzungen des grossen
Rathes die Wache zu befehligen hatten, ist im Grunde mehr eine
plastische Decoration als ein Gebäude. Dass die Attica viel zu hoch
ist, würde man weniger empfinden, wenn die vorgekröpften Gebälke
die beabsichtigten Statuen erhalten hätten.

c

Von Sansovins Palästen ist offenbar der frühste Pal. Corner della
Ca grande (am Canal gr. rechts); man könnte sagen, es sei sein letz-
tes Gebäude von römisch-modernem Gefühl der Verhältnisse; unten
Rustica, die beiden obern Stockwerke mit Bogen zwischen Doppel-
dsäulen (1532). -- Wenige Jahre später (1536) begann er die Biblio-
teca
an der Piazzetta 1), welche man wohl als das prächtigste pro-
fane Gebäude Italiens bezeichnen darf. Hier zuerst erfuhren die
Venezianer, welche Fortschritte das übrige Italien seit den letzten
Jahrzehnden in der Ergründung und Neuanwendung der echten römi-
schen Säulenordnungen gemacht hatte; alle bisherige venezianische
Renaissance war eine Nachfolge des Alterthums auf blosses Hören-
sagen hin neben diesem einzigen Werke. Von dem römischen Pila-
sterbau mit Halbsäulen, wie man ihn von den Theatern und Amphi-
theatern her kannte, war hier nicht bloss das Allgemeine abstrahirt,
sondern die sicherste Künstlerhand hatte diese Formen mit der ge-
diegensten plastischen Pracht durch und durch belebt. Wir dürfen
glauben, dass Venedig sich an der grandios energischen Behandlung
der Halbsäulen und Gesimse, an dem derben Schattenschlag der Glie-
derungen, vorzüglich aber an dem ungeheuern Reichthum des Figür-
lichen kaum satt sehen konnte. Allein das Gebäude ist seinem inner-
sten Wesen nach eben nicht mehr als eine prächtige Decoration, wie
die Venezianer sie gerade haben wollten. Mit dem Programm, eine
Bibliothek auf diesen Raum zu bauen, hätte sich etwas Bedeutenderes,
durch Verhältnisse und Eintheilung Sprechendes componiren lassen.
Man braucht nicht einmal an Bramante, nur z. B. an Peruzzi zu den-

1) Jetzt theilweise Palazzo reale.

Hochrenaissance. Venedig. Jac. Sansovino.
asein. In Padua kann S. Francesco von ihm nur umgebaut, nicht er-
baut sein.

b

Die Loggia unten am Marcusthurm (1540), ehemals der Warte-
raum für die Procuratoren, welche während der Sitzungen des grossen
Rathes die Wache zu befehligen hatten, ist im Grunde mehr eine
plastische Decoration als ein Gebäude. Dass die Attica viel zu hoch
ist, würde man weniger empfinden, wenn die vorgekröpften Gebälke
die beabsichtigten Statuen erhalten hätten.

c

Von Sansovins Palästen ist offenbar der frühste Pal. Corner della
Ca grande (am Canal gr. rechts); man könnte sagen, es sei sein letz-
tes Gebäude von römisch-modernem Gefühl der Verhältnisse; unten
Rustica, die beiden obern Stockwerke mit Bogen zwischen Doppel-
dsäulen (1532). — Wenige Jahre später (1536) begann er die Biblio-
teca
an der Piazzetta 1), welche man wohl als das prächtigste pro-
fane Gebäude Italiens bezeichnen darf. Hier zuerst erfuhren die
Venezianer, welche Fortschritte das übrige Italien seit den letzten
Jahrzehnden in der Ergründung und Neuanwendung der echten römi-
schen Säulenordnungen gemacht hatte; alle bisherige venezianische
Renaissance war eine Nachfolge des Alterthums auf blosses Hören-
sagen hin neben diesem einzigen Werke. Von dem römischen Pila-
sterbau mit Halbsäulen, wie man ihn von den Theatern und Amphi-
theatern her kannte, war hier nicht bloss das Allgemeine abstrahirt,
sondern die sicherste Künstlerhand hatte diese Formen mit der ge-
diegensten plastischen Pracht durch und durch belebt. Wir dürfen
glauben, dass Venedig sich an der grandios energischen Behandlung
der Halbsäulen und Gesimse, an dem derben Schattenschlag der Glie-
derungen, vorzüglich aber an dem ungeheuern Reichthum des Figür-
lichen kaum satt sehen konnte. Allein das Gebäude ist seinem inner-
sten Wesen nach eben nicht mehr als eine prächtige Decoration, wie
die Venezianer sie gerade haben wollten. Mit dem Programm, eine
Bibliothek auf diesen Raum zu bauen, hätte sich etwas Bedeutenderes,
durch Verhältnisse und Eintheilung Sprechendes componiren lassen.
Man braucht nicht einmal an Bramante, nur z. B. an Peruzzi zu den-

1) Jetzt theilweise Palazzo reale.
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[326/0348] Hochrenaissance. Venedig. Jac. Sansovino. sein. In Padua kann S. Francesco von ihm nur umgebaut, nicht er- baut sein. a Die Loggia unten am Marcusthurm (1540), ehemals der Warte- raum für die Procuratoren, welche während der Sitzungen des grossen Rathes die Wache zu befehligen hatten, ist im Grunde mehr eine plastische Decoration als ein Gebäude. Dass die Attica viel zu hoch ist, würde man weniger empfinden, wenn die vorgekröpften Gebälke die beabsichtigten Statuen erhalten hätten. Von Sansovins Palästen ist offenbar der frühste Pal. Corner della Ca grande (am Canal gr. rechts); man könnte sagen, es sei sein letz- tes Gebäude von römisch-modernem Gefühl der Verhältnisse; unten Rustica, die beiden obern Stockwerke mit Bogen zwischen Doppel- säulen (1532). — Wenige Jahre später (1536) begann er die Biblio- teca an der Piazzetta 1), welche man wohl als das prächtigste pro- fane Gebäude Italiens bezeichnen darf. Hier zuerst erfuhren die Venezianer, welche Fortschritte das übrige Italien seit den letzten Jahrzehnden in der Ergründung und Neuanwendung der echten römi- schen Säulenordnungen gemacht hatte; alle bisherige venezianische Renaissance war eine Nachfolge des Alterthums auf blosses Hören- sagen hin neben diesem einzigen Werke. Von dem römischen Pila- sterbau mit Halbsäulen, wie man ihn von den Theatern und Amphi- theatern her kannte, war hier nicht bloss das Allgemeine abstrahirt, sondern die sicherste Künstlerhand hatte diese Formen mit der ge- diegensten plastischen Pracht durch und durch belebt. Wir dürfen glauben, dass Venedig sich an der grandios energischen Behandlung der Halbsäulen und Gesimse, an dem derben Schattenschlag der Glie- derungen, vorzüglich aber an dem ungeheuern Reichthum des Figür- lichen kaum satt sehen konnte. Allein das Gebäude ist seinem inner- sten Wesen nach eben nicht mehr als eine prächtige Decoration, wie die Venezianer sie gerade haben wollten. Mit dem Programm, eine Bibliothek auf diesen Raum zu bauen, hätte sich etwas Bedeutenderes, durch Verhältnisse und Eintheilung Sprechendes componiren lassen. Man braucht nicht einmal an Bramante, nur z. B. an Peruzzi zu den- d 1) Jetzt theilweise Palazzo reale.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/348>, abgerufen am 05.12.2024.