Handhabung einer untern und einer obern Pilasterordnung, was hier den ganzen Fortschritt des XVI. Jahrhunderts im Verhältniss zum XV. klar macht, sondern vor Allem ein höheres Gefühl der Verhältnisse. Man übersieht daneben einzelne schon überaus bedenkliche Füllfor- men, z. B. die Nischen über den Thüren u. dgl.; man rechtfertigt die Schrägpfosten der obern Fenster vielleicht sogar durch altetruskische Vorbilder und die Ausfüllung der beiden Grabnischen mit einer spie- lenden Architektur durch den Vortheil, dass die Figuren um so viel grösser scheinen. Der Contrast des dunkeln Steinwerkes mit dem geweissten Mauerwerk kommt wohl überhaupt nicht auf Michelange- lo's Rechnung 1).
Seine wahre Grösse liegt hier wie überall in den Verhältnissen, die er nirgends, auch nicht von den antiken Bauten copirt, sondern aus eigener Machtfülle erschafft, wie sie der Gegenstand gestattet. Sein erster Gedanke ist nie die Einzelbildung, auch nicht der con- structive Organismus, sondern das grosse Gegeneinanderwirken von Licht- und Schattenmassen, von einwärts- und auswärtstretenden Partien, von obern und untern, mittlern und flankirenden Flächen. Er ist vorzugsweise der im Grossen rechnende Componist. Vom De- tail verlangt er nichts als eine scharfe, wirksame Bildung. Die Folge war, dass dasselbe unter seinen Händen ganz furchtbar verwilderte und später allen Bravour-Architekten für die gröbsten Missformen zur Entschuldigung dienen konnte.
Noch im Auftrag Clemens VII begann Michelangelo im anstossen- aden Kloster die Biblioteca laurenziana. Die Vorhalle mit der Treppe ist jenes ewig lehrreiche Bauwerk, in welchem zuerst dem Sinn aller Einzelformen absichtlich Hohn gesprochen wurde. Zwischen einwärts vortretenden Mauermassen mit barocken (blinden) Fenstern stehen je zwei Säulen dicht an einander wie in engen Wandschrän- ken; darunter gewaltige Consolen; das obere Stockwerk ist unvollendet. Die berühmte Treppe, von Vasari nach einer Zeichnung Michelangelo's hineingebaut, sollte monumental aussehen und doch jenen Wandorga- nismus nicht stören, daher ihre Isolirung; dem unbeschadet dürfte sie
1) Eine Zeitlang waren bedeutende Theile der Capelle in der That bemalt und stucchirt, und zwar von der Hand des Giovanni da Udine.
Hochrenaissance. Michelangelo.
Handhabung einer untern und einer obern Pilasterordnung, was hier den ganzen Fortschritt des XVI. Jahrhunderts im Verhältniss zum XV. klar macht, sondern vor Allem ein höheres Gefühl der Verhältnisse. Man übersieht daneben einzelne schon überaus bedenkliche Füllfor- men, z. B. die Nischen über den Thüren u. dgl.; man rechtfertigt die Schrägpfosten der obern Fenster vielleicht sogar durch altetruskische Vorbilder und die Ausfüllung der beiden Grabnischen mit einer spie- lenden Architektur durch den Vortheil, dass die Figuren um so viel grösser scheinen. Der Contrast des dunkeln Steinwerkes mit dem geweissten Mauerwerk kommt wohl überhaupt nicht auf Michelange- lo’s Rechnung 1).
Seine wahre Grösse liegt hier wie überall in den Verhältnissen, die er nirgends, auch nicht von den antiken Bauten copirt, sondern aus eigener Machtfülle erschafft, wie sie der Gegenstand gestattet. Sein erster Gedanke ist nie die Einzelbildung, auch nicht der con- structive Organismus, sondern das grosse Gegeneinanderwirken von Licht- und Schattenmassen, von einwärts- und auswärtstretenden Partien, von obern und untern, mittlern und flankirenden Flächen. Er ist vorzugsweise der im Grossen rechnende Componist. Vom De- tail verlangt er nichts als eine scharfe, wirksame Bildung. Die Folge war, dass dasselbe unter seinen Händen ganz furchtbar verwilderte und später allen Bravour-Architekten für die gröbsten Missformen zur Entschuldigung dienen konnte.
Noch im Auftrag Clemens VII begann Michelangelo im anstossen- aden Kloster die Biblioteca laurenziana. Die Vorhalle mit der Treppe ist jenes ewig lehrreiche Bauwerk, in welchem zuerst dem Sinn aller Einzelformen absichtlich Hohn gesprochen wurde. Zwischen einwärts vortretenden Mauermassen mit barocken (blinden) Fenstern stehen je zwei Säulen dicht an einander wie in engen Wandschrän- ken; darunter gewaltige Consolen; das obere Stockwerk ist unvollendet. Die berühmte Treppe, von Vasari nach einer Zeichnung Michelangelo’s hineingebaut, sollte monumental aussehen und doch jenen Wandorga- nismus nicht stören, daher ihre Isolirung; dem unbeschadet dürfte sie
1) Eine Zeitlang waren bedeutende Theile der Capelle in der That bemalt und stucchirt, und zwar von der Hand des Giovanni da Udine.
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Hochrenaissance. Michelangelo.
Handhabung einer untern und einer obern Pilasterordnung, was hier
den ganzen Fortschritt des XVI. Jahrhunderts im Verhältniss zum XV.
klar macht, sondern vor Allem ein höheres Gefühl der Verhältnisse.
Man übersieht daneben einzelne schon überaus bedenkliche Füllfor-
men, z. B. die Nischen über den Thüren u. dgl.; man rechtfertigt die
Schrägpfosten der obern Fenster vielleicht sogar durch altetruskische
Vorbilder und die Ausfüllung der beiden Grabnischen mit einer spie-
lenden Architektur durch den Vortheil, dass die Figuren um so viel
grösser scheinen. Der Contrast des dunkeln Steinwerkes mit dem
geweissten Mauerwerk kommt wohl überhaupt nicht auf Michelange-
lo’s Rechnung 1).
Seine wahre Grösse liegt hier wie überall in den Verhältnissen,
die er nirgends, auch nicht von den antiken Bauten copirt, sondern
aus eigener Machtfülle erschafft, wie sie der Gegenstand gestattet.
Sein erster Gedanke ist nie die Einzelbildung, auch nicht der con-
structive Organismus, sondern das grosse Gegeneinanderwirken von
Licht- und Schattenmassen, von einwärts- und auswärtstretenden
Partien, von obern und untern, mittlern und flankirenden Flächen.
Er ist vorzugsweise der im Grossen rechnende Componist. Vom De-
tail verlangt er nichts als eine scharfe, wirksame Bildung. Die Folge
war, dass dasselbe unter seinen Händen ganz furchtbar verwilderte
und später allen Bravour-Architekten für die gröbsten Missformen
zur Entschuldigung dienen konnte.
Noch im Auftrag Clemens VII begann Michelangelo im anstossen-
den Kloster die Biblioteca laurenziana. Die Vorhalle mit der
Treppe ist jenes ewig lehrreiche Bauwerk, in welchem zuerst dem
Sinn aller Einzelformen absichtlich Hohn gesprochen wurde. Zwischen
einwärts vortretenden Mauermassen mit barocken (blinden) Fenstern
stehen je zwei Säulen dicht an einander wie in engen Wandschrän-
ken; darunter gewaltige Consolen; das obere Stockwerk ist unvollendet.
Die berühmte Treppe, von Vasari nach einer Zeichnung Michelangelo’s
hineingebaut, sollte monumental aussehen und doch jenen Wandorga-
nismus nicht stören, daher ihre Isolirung; dem unbeschadet dürfte sie
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1) Eine Zeitlang waren bedeutende Theile der Capelle in der That bemalt und
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/352>, abgerufen am 05.12.2024.
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