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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Hochrenaissance. Bau von S. Peter.
Sinn hineingebracht hat. (Wem das sehr bizarre Nischenwerk in
den drei Tribunen zur Last fällt, weiss ich nicht anzugeben; die
Stuccaturen ihrer Halbkuppeln sind erst aus dem vorigen Jahrhun-
dert.) Das hier ausgesprochene System ist es, welches einen so un-
geheuern Einfluss auf den Innenbau der ganzen katholischen Welt
ausgeübt hat und als Kanon in tausend Variationen nachgeahmt wurde.
Als einfaches Gerüst ist diese Bekleidung grossartig gedacht; das
Vor- und Zurücktreten des Gesimses ist verhältnissmässig sparsam
gehandhabt, sodass dem letztern seine herrschende Wirkung bleibt;
die Pilaster sind ebenfalls noch einfach; erst die Nachahmer wollten
durch Vervielfältigung der Glieder die Wirkung überbieten. Die Cas-
settirung der grossen Tonnengewölbe, zwar erst beträchtlich später,
aber doch wohl nach der Absicht des grossen Meisters ausgeführt, ist
in ihrer Art classisch zu nennen und unbedenklich als das beste De-
tail der ganzen Kirche zu betrachten, während die Einzelbildung der
Pilaster und Gesimse doch nur von mittlerm Werthe ist.

Die Kuppel Michelangelo's, an Form und Höhe derjenigen der
frühern Baupläne gewaltig überlegen, bietet vielleicht von aussen die
schönste und erhabenste Umrisslinie dar, welche die Baukunst auf
Erden erreicht hat. Hier zuerst ist der Cylinder in colossaler Grösse
zum Ausdruck tragender Kräfte (in Gestalt der gekuppelten Säulen
mit vorgekröpftem Gebälk) erhoben: über das Wie? wird man wohl
streiten, aber schwerlich innerhalb dieses Styles eine andere Lösung
angeben können. (Was an Ste. Genevieve in Paris möglich war, der
offene Säulengang ringsum, war bei den viel grössern Verhältnissen
von S. Peter unmöglich und wäre constructiv jedenfalls werthlos.)
Endlich ist die überhöhte Schale mit der Lanterna im Gedanken wohl
abhängig vom Florentiner Dom, aber in der Ausführung und in den
Verhältnissen unvergleichlich viel schöner, erstere schon durch die
Rundung.

Ins Innere fallen durch die grossen Fenster des Cylinders jene
Ströme von Oberlicht, welche die Kirche wesentlich beherrschen. Die
Wände des Cylinders und der Schale sind auf das Glücklichste or-
ganisirt durch Pilaster, Attica und Gurte, welchen sich die Mosaiken
sehr zweckmässig unterordnen. Wenn man sich das schlechte spätere
Nischenwerk der vier Hauptpfeiler sammt ihren Statuen hinwegdenkt

Hochrenaissance. Bau von S. Peter.
Sinn hineingebracht hat. (Wem das sehr bizarre Nischenwerk in
den drei Tribunen zur Last fällt, weiss ich nicht anzugeben; die
Stuccaturen ihrer Halbkuppeln sind erst aus dem vorigen Jahrhun-
dert.) Das hier ausgesprochene System ist es, welches einen so un-
geheuern Einfluss auf den Innenbau der ganzen katholischen Welt
ausgeübt hat und als Kanon in tausend Variationen nachgeahmt wurde.
Als einfaches Gerüst ist diese Bekleidung grossartig gedacht; das
Vor- und Zurücktreten des Gesimses ist verhältnissmässig sparsam
gehandhabt, sodass dem letztern seine herrschende Wirkung bleibt;
die Pilaster sind ebenfalls noch einfach; erst die Nachahmer wollten
durch Vervielfältigung der Glieder die Wirkung überbieten. Die Cas-
settirung der grossen Tonnengewölbe, zwar erst beträchtlich später,
aber doch wohl nach der Absicht des grossen Meisters ausgeführt, ist
in ihrer Art classisch zu nennen und unbedenklich als das beste De-
tail der ganzen Kirche zu betrachten, während die Einzelbildung der
Pilaster und Gesimse doch nur von mittlerm Werthe ist.

Die Kuppel Michelangelo’s, an Form und Höhe derjenigen der
frühern Baupläne gewaltig überlegen, bietet vielleicht von aussen die
schönste und erhabenste Umrisslinie dar, welche die Baukunst auf
Erden erreicht hat. Hier zuerst ist der Cylinder in colossaler Grösse
zum Ausdruck tragender Kräfte (in Gestalt der gekuppelten Säulen
mit vorgekröpftem Gebälk) erhoben: über das Wie? wird man wohl
streiten, aber schwerlich innerhalb dieses Styles eine andere Lösung
angeben können. (Was an Ste. Geneviève in Paris möglich war, der
offene Säulengang ringsum, war bei den viel grössern Verhältnissen
von S. Peter unmöglich und wäre constructiv jedenfalls werthlos.)
Endlich ist die überhöhte Schale mit der Lanterna im Gedanken wohl
abhängig vom Florentiner Dom, aber in der Ausführung und in den
Verhältnissen unvergleichlich viel schöner, erstere schon durch die
Rundung.

Ins Innere fallen durch die grossen Fenster des Cylinders jene
Ströme von Oberlicht, welche die Kirche wesentlich beherrschen. Die
Wände des Cylinders und der Schale sind auf das Glücklichste or-
ganisirt durch Pilaster, Attica und Gurte, welchen sich die Mosaiken
sehr zweckmässig unterordnen. Wenn man sich das schlechte spätere
Nischenwerk der vier Hauptpfeiler sammt ihren Statuen hinwegdenkt

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[336/0358] Hochrenaissance. Bau von S. Peter. Sinn hineingebracht hat. (Wem das sehr bizarre Nischenwerk in den drei Tribunen zur Last fällt, weiss ich nicht anzugeben; die Stuccaturen ihrer Halbkuppeln sind erst aus dem vorigen Jahrhun- dert.) Das hier ausgesprochene System ist es, welches einen so un- geheuern Einfluss auf den Innenbau der ganzen katholischen Welt ausgeübt hat und als Kanon in tausend Variationen nachgeahmt wurde. Als einfaches Gerüst ist diese Bekleidung grossartig gedacht; das Vor- und Zurücktreten des Gesimses ist verhältnissmässig sparsam gehandhabt, sodass dem letztern seine herrschende Wirkung bleibt; die Pilaster sind ebenfalls noch einfach; erst die Nachahmer wollten durch Vervielfältigung der Glieder die Wirkung überbieten. Die Cas- settirung der grossen Tonnengewölbe, zwar erst beträchtlich später, aber doch wohl nach der Absicht des grossen Meisters ausgeführt, ist in ihrer Art classisch zu nennen und unbedenklich als das beste De- tail der ganzen Kirche zu betrachten, während die Einzelbildung der Pilaster und Gesimse doch nur von mittlerm Werthe ist. Die Kuppel Michelangelo’s, an Form und Höhe derjenigen der frühern Baupläne gewaltig überlegen, bietet vielleicht von aussen die schönste und erhabenste Umrisslinie dar, welche die Baukunst auf Erden erreicht hat. Hier zuerst ist der Cylinder in colossaler Grösse zum Ausdruck tragender Kräfte (in Gestalt der gekuppelten Säulen mit vorgekröpftem Gebälk) erhoben: über das Wie? wird man wohl streiten, aber schwerlich innerhalb dieses Styles eine andere Lösung angeben können. (Was an Ste. Geneviève in Paris möglich war, der offene Säulengang ringsum, war bei den viel grössern Verhältnissen von S. Peter unmöglich und wäre constructiv jedenfalls werthlos.) Endlich ist die überhöhte Schale mit der Lanterna im Gedanken wohl abhängig vom Florentiner Dom, aber in der Ausführung und in den Verhältnissen unvergleichlich viel schöner, erstere schon durch die Rundung. Ins Innere fallen durch die grossen Fenster des Cylinders jene Ströme von Oberlicht, welche die Kirche wesentlich beherrschen. Die Wände des Cylinders und der Schale sind auf das Glücklichste or- ganisirt durch Pilaster, Attica und Gurte, welchen sich die Mosaiken sehr zweckmässig unterordnen. Wenn man sich das schlechte spätere Nischenwerk der vier Hauptpfeiler sammt ihren Statuen hinwegdenkt

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/358>, abgerufen am 05.12.2024.