Keine kunstgeschichtliche Eintheilung hält nach Jahr und Datum vollkommen Stich und bei den langelebenden Architekten des XVI. Jahrhunderts ist eine schärfere Stylabgrenzung nach Epochen vollends misslich. Doch wird man in denjenigen Bauten, welche etwa zwischen 1540 und 1580 fallen, einen vom Frühern abweichenden Charakter nicht verkennen. Es ist die Zeit der grossen Theoretiker, eines Vignola, Serlio, Palladio, Scamozzi; ihre Absicht ist wohl ganz die ihrer Vor- gänger: das Alterthum zu reproduciren, allein ihre Mittel sind andere. Die Ausdrucksweise erscheint einerseits schärfer: vortretende Halb- säulen- und Säulensysteme statt der früher herrschenden Pilaster und Wandbänder; demgemäss eine derbe Bildung der Fenster und Portale; auch im Innern namentlich der Kirchen eine stärkere Bekleidung mit den classischen Einzelformen, während früher das Gerüst des Baues wie es war eher nur auf irgend eine harmonische Weise decorirt wurde. Von einer andern Seite ist diese selbe Ausdrucksweise um einen beträchtlichen Grad kälter; statt des reichen Details der Frührenaissance, statt des einfach harmonischen Details der Blüthe- zeit finden wir hier ein zwar noch verhältnissmässig reines, aber schon kaltes und gleichgültiges Detail. Vom Ende des XVI. Jahr- hunderts an beginnt dann der Barockstyl, welcher das Detail miss- handelt, weglässt oder vervielfacht, je nachdem es zu willkürlichen Effekten verwerthet wird.
Die Zeit von 1540--1580 ist im Vergleich mit der frühern mehr die des rechnenden, combinirenden Verstandes, gleichwohl aber voll Geist und Originalität. Sie rechnet sehr im Grossen, und wer etwas in ihren Werken finden will, muss ihren Gesammtcompositionen und Dispositionen nachgehen und die Säulenordnungen für das nehmen, was sie hier sind: für eine conventionelle Bekleidungsweise. Auch ohne sie können die Umrisse und Verhältnisse des Ganzen Seele und Bedeutung haben. -- Die Gesinnung der Bauherren, welche jetzt mehr als je zuvor auf das Grossräumige ging und dieser Rücksicht jede andere nachsetzte, stand in völligem Einklang mit der Richtung der Architekten.
Architektur von 1540 bis 1580.
Keine kunstgeschichtliche Eintheilung hält nach Jahr und Datum vollkommen Stich und bei den langelebenden Architekten des XVI. Jahrhunderts ist eine schärfere Stylabgrenzung nach Epochen vollends misslich. Doch wird man in denjenigen Bauten, welche etwa zwischen 1540 und 1580 fallen, einen vom Frühern abweichenden Charakter nicht verkennen. Es ist die Zeit der grossen Theoretiker, eines Vignola, Serlio, Palladio, Scamozzi; ihre Absicht ist wohl ganz die ihrer Vor- gänger: das Alterthum zu reproduciren, allein ihre Mittel sind andere. Die Ausdrucksweise erscheint einerseits schärfer: vortretende Halb- säulen- und Säulensysteme statt der früher herrschenden Pilaster und Wandbänder; demgemäss eine derbe Bildung der Fenster und Portale; auch im Innern namentlich der Kirchen eine stärkere Bekleidung mit den classischen Einzelformen, während früher das Gerüst des Baues wie es war eher nur auf irgend eine harmonische Weise decorirt wurde. Von einer andern Seite ist diese selbe Ausdrucksweise um einen beträchtlichen Grad kälter; statt des reichen Details der Frührenaissance, statt des einfach harmonischen Details der Blüthe- zeit finden wir hier ein zwar noch verhältnissmässig reines, aber schon kaltes und gleichgültiges Detail. Vom Ende des XVI. Jahr- hunderts an beginnt dann der Barockstyl, welcher das Detail miss- handelt, weglässt oder vervielfacht, je nachdem es zu willkürlichen Effekten verwerthet wird.
Die Zeit von 1540—1580 ist im Vergleich mit der frühern mehr die des rechnenden, combinirenden Verstandes, gleichwohl aber voll Geist und Originalität. Sie rechnet sehr im Grossen, und wer etwas in ihren Werken finden will, muss ihren Gesammtcompositionen und Dispositionen nachgehen und die Säulenordnungen für das nehmen, was sie hier sind: für eine conventionelle Bekleidungsweise. Auch ohne sie können die Umrisse und Verhältnisse des Ganzen Seele und Bedeutung haben. — Die Gesinnung der Bauherren, welche jetzt mehr als je zuvor auf das Grossräumige ging und dieser Rücksicht jede andere nachsetzte, stand in völligem Einklang mit der Richtung der Architekten.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0362"n="340"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Architektur von 1540 bis 1580.</hi></fw><lb/><p>Keine kunstgeschichtliche Eintheilung hält nach Jahr und Datum<lb/>
vollkommen Stich und bei den langelebenden Architekten des XVI.<lb/>
Jahrhunderts ist eine schärfere Stylabgrenzung nach Epochen vollends<lb/>
misslich. Doch wird man in denjenigen Bauten, welche etwa zwischen<lb/>
1540 und 1580 fallen, einen vom Frühern abweichenden Charakter<lb/>
nicht verkennen. Es ist die Zeit der grossen Theoretiker, eines Vignola,<lb/>
Serlio, Palladio, Scamozzi; ihre Absicht ist wohl ganz die ihrer Vor-<lb/>
gänger: das Alterthum zu reproduciren, allein ihre Mittel sind andere.<lb/>
Die Ausdrucksweise erscheint einerseits <hirendition="#g">schärfer</hi>: vortretende Halb-<lb/>
säulen- und Säulensysteme statt der früher herrschenden Pilaster und<lb/>
Wandbänder; demgemäss eine derbe Bildung der Fenster und Portale;<lb/>
auch im Innern namentlich der Kirchen eine stärkere Bekleidung mit<lb/>
den classischen Einzelformen, während früher das Gerüst des Baues<lb/>
wie es war eher nur auf irgend eine harmonische Weise <hirendition="#g">decorirt</hi><lb/>
wurde. Von einer andern Seite ist diese selbe Ausdrucksweise um<lb/>
einen beträchtlichen Grad <hirendition="#g">kälter</hi>; statt des reichen Details der<lb/>
Frührenaissance, statt des einfach harmonischen Details der Blüthe-<lb/>
zeit finden wir hier ein zwar noch verhältnissmässig reines, aber<lb/>
schon kaltes und gleichgültiges Detail. Vom Ende des XVI. Jahr-<lb/>
hunderts an beginnt dann der Barockstyl, welcher das Detail miss-<lb/>
handelt, weglässt oder vervielfacht, je nachdem es zu willkürlichen<lb/>
Effekten verwerthet wird.</p><lb/><p>Die Zeit von 1540—1580 ist im Vergleich mit der frühern mehr<lb/>
die des rechnenden, combinirenden Verstandes, gleichwohl aber voll<lb/>
Geist und Originalität. Sie rechnet sehr im Grossen, und wer etwas<lb/>
in ihren Werken finden will, muss ihren Gesammtcompositionen und<lb/>
Dispositionen nachgehen und die Säulenordnungen für das nehmen,<lb/>
was sie hier sind: für eine conventionelle Bekleidungsweise. Auch<lb/>
ohne sie können die Umrisse und Verhältnisse des Ganzen Seele und<lb/>
Bedeutung haben. — Die Gesinnung der Bauherren, welche jetzt mehr<lb/>
als je zuvor auf das Grossräumige ging und dieser Rücksicht jede<lb/>
andere nachsetzte, stand in völligem Einklang mit der Richtung der<lb/>
Architekten.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[340/0362]
Architektur von 1540 bis 1580.
Keine kunstgeschichtliche Eintheilung hält nach Jahr und Datum
vollkommen Stich und bei den langelebenden Architekten des XVI.
Jahrhunderts ist eine schärfere Stylabgrenzung nach Epochen vollends
misslich. Doch wird man in denjenigen Bauten, welche etwa zwischen
1540 und 1580 fallen, einen vom Frühern abweichenden Charakter
nicht verkennen. Es ist die Zeit der grossen Theoretiker, eines Vignola,
Serlio, Palladio, Scamozzi; ihre Absicht ist wohl ganz die ihrer Vor-
gänger: das Alterthum zu reproduciren, allein ihre Mittel sind andere.
Die Ausdrucksweise erscheint einerseits schärfer: vortretende Halb-
säulen- und Säulensysteme statt der früher herrschenden Pilaster und
Wandbänder; demgemäss eine derbe Bildung der Fenster und Portale;
auch im Innern namentlich der Kirchen eine stärkere Bekleidung mit
den classischen Einzelformen, während früher das Gerüst des Baues
wie es war eher nur auf irgend eine harmonische Weise decorirt
wurde. Von einer andern Seite ist diese selbe Ausdrucksweise um
einen beträchtlichen Grad kälter; statt des reichen Details der
Frührenaissance, statt des einfach harmonischen Details der Blüthe-
zeit finden wir hier ein zwar noch verhältnissmässig reines, aber
schon kaltes und gleichgültiges Detail. Vom Ende des XVI. Jahr-
hunderts an beginnt dann der Barockstyl, welcher das Detail miss-
handelt, weglässt oder vervielfacht, je nachdem es zu willkürlichen
Effekten verwerthet wird.
Die Zeit von 1540—1580 ist im Vergleich mit der frühern mehr
die des rechnenden, combinirenden Verstandes, gleichwohl aber voll
Geist und Originalität. Sie rechnet sehr im Grossen, und wer etwas
in ihren Werken finden will, muss ihren Gesammtcompositionen und
Dispositionen nachgehen und die Säulenordnungen für das nehmen,
was sie hier sind: für eine conventionelle Bekleidungsweise. Auch
ohne sie können die Umrisse und Verhältnisse des Ganzen Seele und
Bedeutung haben. — Die Gesinnung der Bauherren, welche jetzt mehr
als je zuvor auf das Grossräumige ging und dieser Rücksicht jede
andere nachsetzte, stand in völligem Einklang mit der Richtung der
Architekten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/362>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.