viel kühnere Mittel der Scheinerweiterung vor. Derselbe Pietro da Cortona wusste der kleinen und übel gelegenen S. M. della Pacea ein majestätisches Ansehen zu geben, indem er vor die Fassade eine kleine halbrunde Vorhalle, um die hintere Hälfte der Kirche aber eine grosse, hohe, decorirte Halbrundmauer hinstellte, deren vordere Ab- schlüsse durch reichmotivirte Zwischenbauten mit der Kirche verbun- den sind. Das Auge setzt nicht nur hinter dieser Mauer ein grösseres Gebäude voraus, sondern es würde auch von den beiden contrastirenden Curven und der schönwechselnden Schattenwirkung auf das ange- nehmste berührt werden, wenn die Einzelformen etwas reiner wären. -- Bernini, als er um die Kirche von Ariccia ebenfalls eine Halb-b rundmauer anlegte, brauchte die List, dieselbe nach hinten hin all- mälig niedriger werden zu lassen, damit das Auge ihr eine weitere Entfernung und grössere Ausdehnung zutraue; er rechnete nicht dar- auf, dass nach 200 Jahren eine Brücke über das Thal würde geführt werden, von welcher aus sein Betrug sich durch die Seitenansicht verräth. Wir werden ihn noch auf andern Erfindungen dieser Art betreten.
Die Seitenfassaden, wie überhaupt das ganze Äussere mit Ausnahme der Hauptfassade und Kuppel, sind in der Regel blosse Zugabe. Nicht nur wurden die vorhandenen Mittel durch möglichste Grossräumigkeit (und Pracht) des Innern und durch möglichsten Hoch- bau in Anspruch genommen, sondern die Kunst hat, auch wo das Geld ausreichte, auf eine höhere Durchbildung dieser Theile beinahe verzichtet. Höchstens werden die beiden Ordnungen der Fassade, zu Pilastern ermässigt, so gut es geht zur Einrahmung und Theilung der Mauerflächen benützt. Wo Strebepfeiler an die Mauer des Ober- schiffes hinansteigen, sind sie meist von todter oder sehr barocker Gestalt. Die tüchtigste Physiognomie zeigen die Aussentheile einiger oberitalischen Kirchen, vermöge des Backsteins, der hier ungescheut zu Tage tritt; so z. B. an S. Salvatore in Bologna (von Magenta).c Der blosse Mörtel dagegen offenbart die ganze Formlosigkeit. Von den römischen Kirchen bietet nächst S. Peter der Hinterbau von S. Maria maggiore wenigstens eine grosse und malerisch gut disponirted Travertinmasse dar.
Fassaden. Perspectivische Reizmittel.
viel kühnere Mittel der Scheinerweiterung vor. Derselbe Pietro da Cortona wusste der kleinen und übel gelegenen S. M. della Pacea ein majestätisches Ansehen zu geben, indem er vor die Fassade eine kleine halbrunde Vorhalle, um die hintere Hälfte der Kirche aber eine grosse, hohe, decorirte Halbrundmauer hinstellte, deren vordere Ab- schlüsse durch reichmotivirte Zwischenbauten mit der Kirche verbun- den sind. Das Auge setzt nicht nur hinter dieser Mauer ein grösseres Gebäude voraus, sondern es würde auch von den beiden contrastirenden Curven und der schönwechselnden Schattenwirkung auf das ange- nehmste berührt werden, wenn die Einzelformen etwas reiner wären. — Bernini, als er um die Kirche von Ariccia ebenfalls eine Halb-b rundmauer anlegte, brauchte die List, dieselbe nach hinten hin all- mälig niedriger werden zu lassen, damit das Auge ihr eine weitere Entfernung und grössere Ausdehnung zutraue; er rechnete nicht dar- auf, dass nach 200 Jahren eine Brücke über das Thal würde geführt werden, von welcher aus sein Betrug sich durch die Seitenansicht verräth. Wir werden ihn noch auf andern Erfindungen dieser Art betreten.
Die Seitenfassaden, wie überhaupt das ganze Äussere mit Ausnahme der Hauptfassade und Kuppel, sind in der Regel blosse Zugabe. Nicht nur wurden die vorhandenen Mittel durch möglichste Grossräumigkeit (und Pracht) des Innern und durch möglichsten Hoch- bau in Anspruch genommen, sondern die Kunst hat, auch wo das Geld ausreichte, auf eine höhere Durchbildung dieser Theile beinahe verzichtet. Höchstens werden die beiden Ordnungen der Fassade, zu Pilastern ermässigt, so gut es geht zur Einrahmung und Theilung der Mauerflächen benützt. Wo Strebepfeiler an die Mauer des Ober- schiffes hinansteigen, sind sie meist von todter oder sehr barocker Gestalt. Die tüchtigste Physiognomie zeigen die Aussentheile einiger oberitalischen Kirchen, vermöge des Backsteins, der hier ungescheut zu Tage tritt; so z. B. an S. Salvatore in Bologna (von Magenta).c Der blosse Mörtel dagegen offenbart die ganze Formlosigkeit. Von den römischen Kirchen bietet nächst S. Peter der Hinterbau von S. Maria maggiore wenigstens eine grosse und malerisch gut disponirted Travertinmasse dar.
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Fassaden. Perspectivische Reizmittel.
viel kühnere Mittel der Scheinerweiterung vor. Derselbe Pietro da
Cortona wusste der kleinen und übel gelegenen S. M. della Pace
ein majestätisches Ansehen zu geben, indem er vor die Fassade eine
kleine halbrunde Vorhalle, um die hintere Hälfte der Kirche aber eine
grosse, hohe, decorirte Halbrundmauer hinstellte, deren vordere Ab-
schlüsse durch reichmotivirte Zwischenbauten mit der Kirche verbun-
den sind. Das Auge setzt nicht nur hinter dieser Mauer ein grösseres
Gebäude voraus, sondern es würde auch von den beiden contrastirenden
Curven und der schönwechselnden Schattenwirkung auf das ange-
nehmste berührt werden, wenn die Einzelformen etwas reiner wären.
— Bernini, als er um die Kirche von Ariccia ebenfalls eine Halb-
rundmauer anlegte, brauchte die List, dieselbe nach hinten hin all-
mälig niedriger werden zu lassen, damit das Auge ihr eine weitere
Entfernung und grössere Ausdehnung zutraue; er rechnete nicht dar-
auf, dass nach 200 Jahren eine Brücke über das Thal würde geführt
werden, von welcher aus sein Betrug sich durch die Seitenansicht
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Die Seitenfassaden, wie überhaupt das ganze Äussere mit
Ausnahme der Hauptfassade und Kuppel, sind in der Regel blosse
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Grossräumigkeit (und Pracht) des Innern und durch möglichsten Hoch-
bau in Anspruch genommen, sondern die Kunst hat, auch wo das
Geld ausreichte, auf eine höhere Durchbildung dieser Theile beinahe
verzichtet. Höchstens werden die beiden Ordnungen der Fassade, zu
Pilastern ermässigt, so gut es geht zur Einrahmung und Theilung der
Mauerflächen benützt. Wo Strebepfeiler an die Mauer des Ober-
schiffes hinansteigen, sind sie meist von todter oder sehr barocker
Gestalt. Die tüchtigste Physiognomie zeigen die Aussentheile einiger
oberitalischen Kirchen, vermöge des Backsteins, der hier ungescheut
zu Tage tritt; so z. B. an S. Salvatore in Bologna (von Magenta).
Der blosse Mörtel dagegen offenbart die ganze Formlosigkeit. Von
den römischen Kirchen bietet nächst S. Peter der Hinterbau von S.
Maria maggiore wenigstens eine grosse und malerisch gut disponirte
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/397>, abgerufen am 05.12.2024.
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