Die Thürme sind in diesen Zeiten am leidlichsten, wo sie nur als kleine, schlanke Campanili von anspruchloser, leichter Bildung neben die Kirche hingestellt werden. Man gewöhnt sich bald daran, diesen durchsichtigen Pfeiler als Trabanten der Kuppel hübsch zu finden und vermisst ihn ungern wo er fehlt. -- Sobald dagegen diese Naivetät wegfällt, sobald der Thurm als solcher etwas bedeuten soll, geht der hier ganz entfesselte Barockstyl in die unglaublichsten Phan- tasien über. Borromini baut in Rom Thürme von ovalem Grund- aplan (S. Agnese in Piazza navona), mit zwei convexen und zwei concaven Seiten (Kloster der Chiesa nuova), mit spiralförmigem Ober- bau (Sapienza) u. s. w.; endlich giebt er gleichsam ein Manifest aller bseiner Stylprincipien in dem Thurm von S. Andrea delle Fratte. Wenn in diesem Wahnsinn Methode und künstlerische Sicherheit ist, so fehlt dieselbe ganz in dem (vielleicht) grössten Barockthurm Italiens: dem- djenigen an S. Sepolcro in Parma. Neben diesem abscheulichen Ge- bäude kann selbst die Nüchternheit mancher andern Thürme will- kommen sein.
Viel grössere Theilnahme wurde dem Äussern der Kuppeln zugewandt, welche das Vorbild der Peterskuppel nach Kräften re- produciren. Ein wesentlich neues Motiv kommt wohl kaum vor, ob- wohl sie unter sich äusserst verschieden sind in den Verhältnissen und im Detail des mit Halbsäulen umgebenen Cylinders und in dem Wölbungsgrad der Schale. Ich glaube nicht, dass eine in Italien vorhanden ist, welche dem ungemein schönen, beinahe parabolischen Umriss von Mansard's Invalidenkuppel gleichkömmt; doch haben die meisten spätern mit dieser genannten die bedeutendere Höhe und Schlankheit gemein. Auch hier offenbart sich der principielle Hoch- bau des Barockstyles. In Neapel ist die verhältnissmässige Niedrig- keit der Kuppeln durch die vulcanische Beschaffenheit der Gegend vorgeschrieben.
Die wichtigsten Neuerungen erfuhr die Anlage des Innern. Zu- nächst muss von dem weitern Schicksal der bisher üblichen Formen die Rede sein.
Säulenkirchen kommen zwar noch vor, aber nur als Aus- nahme und nach 1600 kaum mehr; nicht nur war die ganze ange-
Der Barockstyl.
Die Thürme sind in diesen Zeiten am leidlichsten, wo sie nur als kleine, schlanke Campanili von anspruchloser, leichter Bildung neben die Kirche hingestellt werden. Man gewöhnt sich bald daran, diesen durchsichtigen Pfeiler als Trabanten der Kuppel hübsch zu finden und vermisst ihn ungern wo er fehlt. — Sobald dagegen diese Naivetät wegfällt, sobald der Thurm als solcher etwas bedeuten soll, geht der hier ganz entfesselte Barockstyl in die unglaublichsten Phan- tasien über. Borromini baut in Rom Thürme von ovalem Grund- aplan (S. Agnese in Piazza navona), mit zwei convexen und zwei concaven Seiten (Kloster der Chiesa nuova), mit spiralförmigem Ober- bau (Sapienza) u. s. w.; endlich giebt er gleichsam ein Manifest aller bseiner Stylprincipien in dem Thurm von S. Andrea delle Fratte. Wenn in diesem Wahnsinn Methode und künstlerische Sicherheit ist, so fehlt dieselbe ganz in dem (vielleicht) grössten Barockthurm Italiens: dem- djenigen an S. Sepolcro in Parma. Neben diesem abscheulichen Ge- bäude kann selbst die Nüchternheit mancher andern Thürme will- kommen sein.
Viel grössere Theilnahme wurde dem Äussern der Kuppeln zugewandt, welche das Vorbild der Peterskuppel nach Kräften re- produciren. Ein wesentlich neues Motiv kommt wohl kaum vor, ob- wohl sie unter sich äusserst verschieden sind in den Verhältnissen und im Detail des mit Halbsäulen umgebenen Cylinders und in dem Wölbungsgrad der Schale. Ich glaube nicht, dass eine in Italien vorhanden ist, welche dem ungemein schönen, beinahe parabolischen Umriss von Mansard’s Invalidenkuppel gleichkömmt; doch haben die meisten spätern mit dieser genannten die bedeutendere Höhe und Schlankheit gemein. Auch hier offenbart sich der principielle Hoch- bau des Barockstyles. In Neapel ist die verhältnissmässige Niedrig- keit der Kuppeln durch die vulcanische Beschaffenheit der Gegend vorgeschrieben.
Die wichtigsten Neuerungen erfuhr die Anlage des Innern. Zu- nächst muss von dem weitern Schicksal der bisher üblichen Formen die Rede sein.
Säulenkirchen kommen zwar noch vor, aber nur als Aus- nahme und nach 1600 kaum mehr; nicht nur war die ganze ange-
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Der Barockstyl.
Die Thürme sind in diesen Zeiten am leidlichsten, wo sie nur
als kleine, schlanke Campanili von anspruchloser, leichter Bildung
neben die Kirche hingestellt werden. Man gewöhnt sich bald daran,
diesen durchsichtigen Pfeiler als Trabanten der Kuppel hübsch zu
finden und vermisst ihn ungern wo er fehlt. — Sobald dagegen diese
Naivetät wegfällt, sobald der Thurm als solcher etwas bedeuten soll,
geht der hier ganz entfesselte Barockstyl in die unglaublichsten Phan-
tasien über. Borromini baut in Rom Thürme von ovalem Grund-
plan (S. Agnese in Piazza navona), mit zwei convexen und zwei
concaven Seiten (Kloster der Chiesa nuova), mit spiralförmigem Ober-
bau (Sapienza) u. s. w.; endlich giebt er gleichsam ein Manifest aller
seiner Stylprincipien in dem Thurm von S. Andrea delle Fratte. Wenn
in diesem Wahnsinn Methode und künstlerische Sicherheit ist, so fehlt
dieselbe ganz in dem (vielleicht) grössten Barockthurm Italiens: dem-
jenigen an S. Sepolcro in Parma. Neben diesem abscheulichen Ge-
bäude kann selbst die Nüchternheit mancher andern Thürme will-
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Viel grössere Theilnahme wurde dem Äussern der Kuppeln
zugewandt, welche das Vorbild der Peterskuppel nach Kräften re-
produciren. Ein wesentlich neues Motiv kommt wohl kaum vor, ob-
wohl sie unter sich äusserst verschieden sind in den Verhältnissen
und im Detail des mit Halbsäulen umgebenen Cylinders und in dem
Wölbungsgrad der Schale. Ich glaube nicht, dass eine in Italien
vorhanden ist, welche dem ungemein schönen, beinahe parabolischen
Umriss von Mansard’s Invalidenkuppel gleichkömmt; doch haben die
meisten spätern mit dieser genannten die bedeutendere Höhe und
Schlankheit gemein. Auch hier offenbart sich der principielle Hoch-
bau des Barockstyles. In Neapel ist die verhältnissmässige Niedrig-
keit der Kuppeln durch die vulcanische Beschaffenheit der Gegend
vorgeschrieben.
Die wichtigsten Neuerungen erfuhr die Anlage des Innern. Zu-
nächst muss von dem weitern Schicksal der bisher üblichen Formen
die Rede sein.
Säulenkirchen kommen zwar noch vor, aber nur als Aus-
nahme und nach 1600 kaum mehr; nicht nur war die ganze ange-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/398>, abgerufen am 05.12.2024.
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